Donnerwetter! Da macht sich im Land die Stimmung breit, dass die amtierende Koalition abgewirtschaftet habe, dass sie ausgelaugt sei und entscheidungsunfähig und bei der Bundestagswahl dringend abgelöst gehöre. Firmen beschweren sich über kostenintensive Regulierung, die Gewerkschaften vermissen Wertschätzung für die Arbeitnehmer. Wissenschaftler beklagen fehlende Investitionen, Armutsforscher eine wachsende Spaltung des Landes. Eine Allianz der Angstmacher will die Grenzen schließen, weil die Flüchtlinge das Land auch finanziell überforderten - und dann ergibt der Kassensturz einen gewaltigen Haushaltsüberschuss.
Fast 24 Milliarden Euro hat der Staat 2016 auf allen Ebenen - Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherung - mehr eingenommen als ausgegeben; der höchste Überschuss seit der Wiedervereinigung. Und dies nicht etwa, weil besonders hart gespart worden wäre, im Gegenteil. Finanzminister Wolfgang Schäuble beispielsweise, der sich gerne knurrig gibt, hat den Forderungen der Kollegen häufig genug nachgegeben.
Image und Kassenlage - wie passt das zusammen? Könnte es womöglich sein, dass die Merkel-Koalition (an der neben der Union auch die SPD beteiligt ist, was ihr Kanzlerkandidat Martin Schulz gerne vergessen machen will) in Wirklichkeit die erfolgreichste Bundesregierung aller Zeiten ist? Oder ist das viele Geld in der Kasse eher der Wirtschaft zu verdanken, deren Spitzenchefs unverdient hohe Gehälter vorgeworfen werden?
Konjunktur:Hört auf, die schwarze Null anzubeten!
Bislang trotzt Deutschland den globalen Risiken, die Wirtschaft wächst weiter. Doch der Wohlstand ist gefährdet. Das Land braucht dringend mehr Investitionen - und höhere Löhne.
Wer sind Deutschlands Wohltäter: Merkel, Gabriel, Seehofer - oder Kaeser, Zetsche, Baumann, die Chefs von Siemens, Daimler und Bayer?
Genauer betrachtet, ergibt sich der Überschuss vor allem durch höhere Steuereinnahmen und geringere Sozialausgaben, Spiegelbild der guten Lage der deutschen Volkswirtschaft. Selten haben Unternehmen so viel verdient, nie haben sie bisher so viele Waren ins Ausland verkaufen können. Nie hatten so viele Menschen Beschäftigung, und zwar nicht nur in Billigjobs, sondern als reguläre, sozialversicherungspflichtige Arbeit.
Manches liegt im Argen, ja, aber eines stimmt sicher nicht, auch wenn es so forsch behauptet wird: dass Deutschland sozusagen am Abgrund stehe. Man muss einfach mal anerkennen, dass die deutsche Wirtschaft, die Unternehmen, die Arbeiter, die Forscher, auch die Chefs in den vergangenen Jahren häufig ein verdammt guten Job gemacht haben. Sie haben umstrukturiert und investiert und oft die richtige Mischung gefunden zwischen der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und der Absicherung der Mitarbeiter.
Das betrifft die großen Konzerne, aber ebenso die Mittelständler, die häufig Familienunternehmen sind, in der Öffentlichkeit kaum bekannte Weltmarktführer mit Sitz und Produktion in der Provinz. In keinem anderen Land der Welt gibt es diese Wirtschaftsstruktur, die mit ihrem industriellen Know-how, ihrer Agilität und Präzision ihre Güter selbst dann noch verkaufen kann, wenn in weiten Teilen der Welt Krise herrscht. Die Wirtschaft profitiert dabei von langfristigen Strukturen und den Rahmenbedingungen einer sozialen Marktwirtschaft, die eine Balance sucht zwischen Freiheit und Regelwerk. Übrigens profitiert das Land auch von den Arbeitsmarktreformen des Kanzlers Gerhard Schröder, so umstritten sie in der SPD auch sind.
Der Dank gebürt der Europäischen Zentralbank
All dies hat die Merkel-Koalition vorgefunden und nur zaghaft weitergetrieben. Lieber hat sie sich, auf Druck der SPD, auf sozialpolitische Maßnahmen konzentriert, die den Staat und die Unternehmen zusätzliches Geld kosten. Dass die Wirtschaft das weggesteckt hat, dafür kann das Land sich bei jemanden bedanken, der hier noch gar nicht erwähnt worden ist: die Europäischen Zentralbank.
Die EZB pumpt, um die Wirtschaft im Euro-Raum in Schwung zu halten, so viel Geld in den Markt, dass die Zinsen am Boden liegen. Deutschland konnte seine Alt-Schulden 2016 zeitweise zum Nulltarif refinanzieren; Experten schätzen die Zinsersparnis auf bis zu 50 Milliarden Euro, doppelt so hoch also wie der jüngste Haushaltsüberschuss. Damit ist aber auch klar: Wenn die Zinsen wieder steigen, dann stellt sich der Haushaltslage schnell ganz anders dar.
Es ist deshalb kein Zufall, dass die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute hartnäckig eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik fordern. Es geht um Investitionen in die Infrastruktur, in Bildung und Forschung, um Steuer- und Arbeitsmarktreformen - um alles also, was liegen geblieben ist in der Ära Merkel. Noch wirken solche Forderungen deplatziert. Aber der Tag wird kommen, da es verpasste Chancen sein werden.