Süddeutsche Zeitung

Finanzen:So überlisten Sie die Geldfresser

Lesezeit: 5 min

Von Lea Hampel

20 000 Seiten sind von Johann Wolfgang von Goethe überliefert. In Haushaltsbüchern aus 57 Jahren ist nachzulesen, dass der Erschaffer des "Faust" Geld für das Futter eines Fuchses ausgab, der zu seinem Haushalt gehörte, aber auch fürs Lotto-Spielen und für teure Wäsche. Wohl wenige Menschen können heute eine ähnliche Übersicht vorweisen. Das Haushaltsbuch, einst weit verbreitet, kommt aus der Mode. Die Zahlen variieren, laut einer Befragung von 1000 Bundesbürgern im vergangenen Jahr für das Unternehmen Creditplus führt immerhin jeder Dritte Buch über seine Einnahmen und Ausgaben. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2009 war es schon damals unter unverheiratet Zusammenlebenden nur jeder Zehnte - und das, obwohl Apps und Software es heute einfacher machen als je zuvor.

Heute dürfte es häufiger Katzen- statt Fuchsfutter sein, dazu ein Kaffee hier, ein T-Shirt dort, dazwischen Klopapier, doch wie einst gilt: Es hat große Nachteile, nie zu schauen, wofür das Geld so drauf geht. Wer nichts notiert, verliert den Überblick. Gerade kleine und mittlere Beträge schlagen stärker zu Buche, als man vermutet. Ein Klassiker, sagt Annabel Oelmann, Vorständin und Finanzexpertin bei der Verbraucherzentrale Bremen, sei Essengehen. "Das wird gnadenlos unterschätzt."

Doch die meisten Menschen verkalkulieren sich auch bei Fixkosten. "Manche wissen nicht mal genau, welche Kosten ihr Haus verursacht oder wie viel sie im Monat für ihren Handyvertrag zahlen", sagt Oelmann. Verschärft wird das dadurch, dass viele Posten automatisch abgebucht werden. Eva Richter arbeitet seit 22 Jahren bei der Schuldner- und Insolvenzberatung des Evangelisches Hilfswerks München. "Gerade bei bargeldlosem Zahlungsverkehr geht jeglicher Überblick verloren", sagt sie. "Wenn ich mir vorstelle, dass künftig immer öfter mit dem Handy bezahlt wird, wird mir angst und bange." Dass Kontoauszüge zunehmend digital verschickt werden, macht es noch schwieriger. Da wundert es wenig, dass 2018 fast sieben Millionen Deutsche überschuldet waren.

Doch wo anfangen? Noch verwendet Umfragen zufolge die Mehrheit derjenigen, die ihre Ausgaben protokollieren, ein Buch und einen Stift. Das hat den Vorteil, dass der Akt, es aufzuschreiben, bewusst stattfindet - auch Schuldnerberaterin Richter praktiziert das mit ihren Klienten. Übersichtlicher und hilfreicher wird es mit digitalen Hilfsmitteln. Vor allem seit den 1990er-Jahren gibt es zahlreiche Computerprogramme. Meist als Tabellen aufgebaut, trägt man in die Zeilen Einnahmen und Ausgaben nach Zweck ein. Je nach Ausführung muss man regelmäßige Ausgaben nicht wiederholt eingeben und kann sich Grafiken erstellen lassen, beispielsweise dafür, welchen Anteil Kleidung an den Ausgaben im Jahr ausgemacht hat.

Auch Banken setzen immer öfter auf solche Angebote. Sparkassen bieten einen digitalen Haushaltsplaner, Volks- und Raiffeisenbanken haben seit fünf Jahren einen "Finanzmanager". Bei dem Programm sind zwei Millionen Nutzer angemeldet, man sieht Kontodaten, kann aber auch Bargeldverkehr eintragen. "Es ging darum, einen ganzheitlichen Blick zu geben und Mehrwert für den Kunden zu schaffen", sagt Philip Ade, der das Programm mitentwickelt hat.

Wenn das Haushaltsbuch eine Zukunft hat, dann liegt sie im Smartphone

Die Idee liegt nahe: Je weniger Kunden in die Filiale kommen, umso wichtiger ist der digitale Kontakt - Werkzeuge wie der Finanzmanager helfen dabei, diesen Austausch aufrecht zu erhalten und den Kunden beispielsweise bei der Liquiditätsplanung zu betreuen. Seit der Einführung wurde das Programm weiterentwickelt. Gern nutzen Kunden etwa die Möglichkeit, anhand bisheriger Kosten ihr Budget fürs kommende Jahr zu berechnen.

Der Finanzmanager ist laut Angaben der Volks- und Raiffeisenbanken auch das erste Programm, das es in Verbindung mit einer App gab. Denn wenn das Haushaltsbuch eine Zukunft haben sollte, liegt sie da, wo inzwischen viele Aspekte des menschlichen Lebens verwaltet werden: im Smartphone. Wer seine Joggingkilometer damit zählt, verwaltet vielleicht auch das eigene Geld damit.

Unzählige Anwendungen bieten einen Überblick über die Konten, Ausgaben und Einnahmen - von Finanzguru über Mint und Moneymanager bis zu Moneycontrol und Monefy. "Mit Einführung der ersten Lösungen in den USA und auch in Island gab es einen regelrechten Hype in diesem Bereich", sagt Philip Ade. Die Verbindung mit dem Konto ist zunehmend Standard. "Der Nutzer", so Ade, "erwartet eine derartige Funktion integriert in seinem Online-Banking ohne größeren Administrationsaufwand". Zwar gibt es noch einige Apps, die reine digitale Haushaltsbücher sind. Ein großer Teil kann aber mit Konten, Kreditkarten und Verträgen verknüpft werden, und die Ausgaben werden automatisch Kategorien zugeordnet.

Das nimmt einerseits eine Hürde der finanziellen Selbstkontrolle: Wenn Miete und Handyvertrag automatisch verbucht werden, sinkt die Zahl der einzugebenden Daten. "Andererseits ist ein zu großes Maß an Synchronisation nicht sinnvoll", sagt Verbraucherschützerin Oelmann, weil man am Ende einen Überblick hat, aber keinen Durchblick, wenn ein Großteil der Daten ohne eigenes Zutun generiert wurde.

Hilfreich sind Apps für kleine Dinge, die große Geldfresser sind. Ist eine App gut strukturiert, lässt sich das unterwegs gekaufte Brot schnell verbuchen. Und wie bei der Software lassen sich Daten leichter interpretieren, weil man im Nu eine Übersicht hat, wie viel Geld in den Bausparvertrag geflossen ist. "Es ist natürlich ein spielerischer Zugang. Wenn einem gleich angezeigt wird, wie viel man gespart hat, kann das vielleicht eine junge Klientel reizen", sagt Oelmann. Sie weist allerdings auf Nachteile hin: "Viele Apps sind zwar kostenlos, aber man zahlt in der Regel mit seinen Daten." Oelmann rät, genau zu schauen, ob die Apps von einer vertrauenswürdigen Quelle kommen. "Um bei Bankdaten so sensibel wie möglich damit umzugehen, sollten die Daten nicht auf ausländischen Server, Clouds oder sonst über zu viel Kanäle gestreut werden."

Der Trick: Sich am Anfang vornehmen, dass man am Ende Geld spart

Das alles klingt, als wäre es so einfach wie nie, Buch zu führen. Und doch hielten es in einer Studie von 2014 immerhin 17 Prozent der Befragten für sinnvoll, ihre Ausgaben zu notieren, praktizierten es aber trotzdem nicht. Auch beim Finanzmanager der Volks- und Raiffeisenbanken, berichtet Ade, "kann die Nutzungsintensität abnehmen". Gleich ob Notizheft oder App, es kann eben unangenehm sein, zu erfahren, wie viel Geld man monatlich vom Bankautomaten in Restaurants trägt. Und es kostet Zeit. Wer hat schon Lust, stehen zu bleiben und 2,40 Euro für den Cappuccino einzutippen, wenn man ihn deshalb unterwegs gekauft hat, weil man es eilig hat. Auch bei Goethe war es dessen Diener Seidel, der die Notizen gemacht hat, nicht der Dichter selbst.

Der Trick, sagt Verbraucherschützerin Oelmann, sei, sich am Anfang vorzunehmen, dass man am Ende Geld spart. Sie sagt aber auch: Niemand müsse jahrelang akribisch Buch führen. Sie rät, regelmäßig zwei Monate auszuwählen, alle fixen und variablen Ausgaben auszurechnen, die Versicherungsverträge anzuschauen, zu prüfen, ob es günstigere gibt und Jahresausgaben wie die Nebenkosten zu prüfen, ob sich beispielsweise ein Stromanbieterwechsel lohnt.

So deutet auch Philip Ade den Fakt, dass einige Kunden den Finanzmanager nicht lange nutzen: "Der Kunde hat durch die Nutzung die richtigen Schlüsse gezogen und seine Ausgaben optimiert", ist er überzeugt. Damit hat die Anwendung ihren Zweck erfüllt. Schuldnerberaterin Richter hat statt einer kurzfristigen Überprüfung einen pragmatischen Tipp, um ein besseres Gefühl für die eigenen Verhältnisse zu bekommen. Hat man einen Durchschnittsmonat analysiert, soll man den verbleibenden Betrag durch 30 teilen - und den jeweiligen Betrag in 30 Umschläge stecken. Einen Monat lang täglich maximal einen Umschlag zu verwenden, glaubt sie, ist lehrreicher als jedes Haushaltsbuch.

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Quelle:
SZ vom 07.01.2019
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