Am Anfang stand die schwarze Null, der ausgeglichene Haushalt. Nun ist aus der schwarzen Null sogar eine schwarze 18 geworden. 18 Milliarden Euro beträgt der Überschuss, den Bund, Länder, Kommunen und Sozialkassen in den ersten sechs Monaten des Jahres erzielt haben. Aufs Jahr hochgerechnet sind dies 36 Milliarden Euro - fast zehnmal so viel, wie das Land Berlin pro Jahr für Soziales ausgibt, also für Grundsicherung, Ausbildungsförderung, soziale Dienste, Wohn- oder Seniorenhilfe. Mit dieser gewaltigen Summe ließe sich viel anfangen, weshalb nun 13 Monate vor der Bundestagswahl eine Debatte entbrannt ist, wofür man denn das Geld am besten hernehmen soll.
Wolfgang Schäuble will es am liebsten gar nicht hernehmen, sondern die Schulden abbauen. Denn für ihn ist die schwarze Null ein Ziel, dem er fast alles unterordnet; sein Finanzplan bis 2020 sieht Jahr für Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vor. Die schwarze Null - nicht bloß im Bund, sondern auf allen Ebenen des Staates - ist für ihn ein Zeichen der Stabilität, der Sicherheit, der Vernunft.
Man könnte es aber auch als ein Zeichen der ökonomischen Unvernunft bezeichnen - jedenfalls wenn die schwarze Null zum Selbstzweck verkommen sollte. Denn ein ausgeglichener Etat ist ja nicht per se sinnvoll. Sondern es kommt darauf an, in welchem wirtschaftlichen Umfeld man sich gerade bewegt: im Aufschwung - oder in der Rezession? In einer Krise, in der es nötig ist, die Konjunktur anzukurbeln - oder im Boom, in dem der Staat sich zügeln sollte, damit die Wirtschaft nicht überhitzt?
Die Lehren aus der Weltwirtschaftskrise 1929
Seit John Maynard Keynes weiß man dies, der britische Ökonom hat in den 1930er-Jahren mit seiner "Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" die Lehren aus der Weltwirtschaftskrise gezogen, welche zwar von den Finanzmärkten ausging, aber verschärft wurde durch Notenbanken, die das Geld verknappten, und durch Regierungen wie die des deutschen Reichskanzlers Heinrich Brüning, die sparten, ohne die ökonomischen Folgen zu bedenken.
Acht Jahrzehnte später ist die Wirtschaftskrise in Europa nicht ganz so tief wie nach dem Crash von 1929 und der deutschen Bankenkrise von 1931. Das liegt nicht zuletzt an den Notenbanken, die diesmal ihre Geldpolitik massiv gelockert und die Zinsen drastisch gesenkt haben. Die Regierungen, auch die deutsche, haben nach 2008 anfangs ebenfalls gesteuert und große Konjunkturpakete aufgelegt; man erinnere sich etwa an die Abwrackprämie für Autos. Die Kanzlerin hieß schon damals Angela Merkel, der Finanzminister aber war ein anderer als heute: Der Sozialdemokrat Peer Steinbrück galt im Herzen als Keynesianer.
Die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik veränderte sich jedoch nach dem Ende der ersten großen Koalition unter Merkel: Von 2009 an regierte Schwarz-Gelb, nun galt wieder das alte, konservative Stabilitätsdogma, wonach Sparen immer gut ist. An die Stelle eines aktivierenden Staats à la Keynes trat stattdessen die Idee von der schwarzen Null; Schäuble und Merkel machten sie nicht nur zum Maßstab ihrer eigenen Politik, sondern stülpten diesen Maßstab im Gefolge der Schuldenkrise auch den anderen Euro-Staaten über.
Seither gilt in der Währungsunion nicht mehr nur der Stabilitätspakt, den die schwarz-gelbe Regierung von Helmut Kohl in den 1990er-Jahren durchsetzte, mit seiner berühmten Drei-Prozent-Schuldengrenze. Sondern es wurde als Ergänzung dazu der EU-Fiskalpakt geschaffen. Dieser erlaubt den Euro-Staaten - wenn man alle konjunkturellen Schwankungen herausrechnet - nur noch ein Defizit von 0,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung.