Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz:Da geht noch mehr

Das neue Gebäudeenergiegesetz soll helfen, die Klimabilanz zu verbessern. Manchen Architekten und Planern reicht das nicht - sie fordern einen Kulturwandel.

Von Marcel Grzanna

Energieeffizientes Bauen ist nicht nur erwünscht, sondern seit Jahren auch Pflicht. Wer in Deutschland ein Haus baut oder ein altes von Grund auf saniert, dem verlangt seit November 2020 die Rechtslage ein neues Maß an Nachhaltigkeit ab. Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) vereint alle Gesetze und Verordnungen, die es zuvor bereits gab: das Energieeinsparungsgesetz, die Energieeinsparverordnung und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz. Seit diesem Jahr gelten die Vorgaben für den Bau von Niedrigstenergiegebäuden damit als Standard.

Das Gesetz ist Teil des Klimaschutzprogramms 2030 der Bundesregierung. Es schafft ein einheitliches Regelwerk, das die Vorgaben der Europäischen Union zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden vollständig umsetzen soll. Den Bauherren soll die Lust auf Öl- oder Kohleheizungen gründlich vergehen. Doch die Frage ist, ob der neue Gesetzesrahmen tatsächlich ausreicht, um die Klimaziele zu erreichen.

"Der Architekt wird vom einfachen Dienstleister zum Antrieb der Bewegung."

Roberto Gonzalo glaubt das nicht. Der Architekt aus München fordert einen Kulturwandel in der Branche. Nicht Gesetze, neue Materialien und Technologien allein seien die Motoren nachhaltigen Bauens. Stattdessen rückt die Arbeit der Planer in den Mittelpunkt. "Der Architekt werde vom einfachen Dienstleister zum Antrieb der Bewegung, sagt Gonzalo. "Nachhaltigkeit müssen wir als Berufsethos betrachten und unsere gesellschaftliche Aufgabe darin erkennen. Wir dürfen nicht in Versuchung geraten, unsere Fehler und Sorglosigkeit bei der Planung durch Technologie zu kaschieren und darauf zu warten, dass Neuentwicklungen uns retten. Es liegt an uns selbst zu zeigen, dass wir besser sind. Gute Architekten schaffen Energieeffizienz in höchster Qualität", sagt er.

Gonzalo ist Unterstützer des Bündnisses "Liste Klimawandel" (klimawende-planen.bayern), durch die Dutzende Architekten und Planer neue Impulse sowohl in die bayerische Architektenkammer als auch nach außen geben wollen. Die aktuell 77 Unterstützer der Initiative finden, dass "Klimaschutz und Nachhaltigkeit einen grundlegenden Wandel im Planungshandeln erforderlich machen". Damit soll auch die Wahrnehmung der Kompetenz des Berufsstandes in der Öffentlichkeit gefördert werden, heißt es. Ein starker Rückhalt innerhalb der Planerschaft sei Voraussetzung, um diese Ziele konsequent umsetzen zu können.

"Ich nehme eine Aufbruchsstimmung wahr. Energieeffizienz und Nachhaltigkeit in der Architektur sind aus der Nische herausgekommen. Es gibt eine kontinuierliche Entwicklung, wenn auch noch nicht in dem Rhythmus, den wir bräuchten", sagt Gonzalo. Ob die gewünschten Erfolge im Kampf gegen den Klimawandel erzielt werden, wird zudem davon abhängen, nach welchen Kriterien die Bauherren künftig entscheiden wollen. Vordergründig geht es bei diesen Entscheidungen um die Höhe der Investition, die jeweils nötig wäre, um energieeffizienter zu bauen. Doch ein Knackpunkt sei auch die Frage nach der Suffizienz, dem Begrenzen, sagt der Architekt: "Wie viel Fläche ist wirklich nötig, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen? Wie viel Extravaganz sollten wir uns leisten, wenn wir dadurch die Ökobilanz drastisch verschlechtern? Es gibt immer gute Alternativen."

Greenwashing oder nicht, das ist die Frage

Es liegt an den Architekten und Experten, entsprechend kritisch und kenntnisreich zu argumentieren, um Bauherren das Potenzial zum Energiesparen schmackhaft zu machen. Auch der Gesetzgeber hat die Bedeutung der Planung im GEG berücksichtigt. Beim Verkauf oder bei größeren Sanierungen von Ein- und Zweifamilienhäusern müssen die Käufer beziehungsweise Eigentümer nun "eine obligatorische energetische Beratung" akzeptieren. Damit diese auch Wirkung zeigt, müsste die Zunft an einem Strang ziehen. "Entscheidend für einen wirklichen Kulturwandel wird sein, dass der Bauherr oder Investor klar erkennen kann, bei welchen Planern und Projektentwicklern nur 'Greenwashing' betrieben wird und welche eine ganzheitliche Nachhaltigkeit in Planung und Realisierung umsetzen", sagt Michael Joachim vom Münchner Architekturbüro NEST Ecoarchitektur, das sich auf die Umsetzung ökologisch und wirtschaftlich nachhaltiger Bauvorhaben spezialisiert hat.

Das Ziel einer "ganzheitlichen Nachhaltigkeit" zieht automatisch viele Fragen nach sich: Wie und wo werden die Baustoffe produziert? Wie lang sind die Transportwege? Sind Rückbaubarkeit und Wiederverwendung von Baustoffen möglich? Auch sollten die Betriebskosten eines Hauses bei der Planung berücksichtigt werden. Andernfalls fließen nur Bau- und Investitionskosten in die Rechnung ein, was die Nachhaltigkeitsbilanz eines Gebäudes trübt. Joachims Erfahrung ist es, dass die Auftraggeber oftmals auch bereit seien, mehr als nur den gesetzlich geforderten Mindeststandard baulich umzusetzen, wenn die Beratung all diese Aspekte umfangreich abdeckt.

Joachim kritisiert die Bundesregierung. Das neue GEG sei hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben. "Will man als Gesellschaft die gesteckten Klimaziele erreichen, müssen mutigere und zwingend erforderliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Diesen Mut können wir im aktuellen Gebäudeenergiegesetz leider nicht erkennen", sagt der Architekt. "Abgesehen davon, dass die bisherigen Verordnungen und Gesetze vereint wurden, sehen wir keinen großen Fortschritt. Die Mindestanforderung an die Gebäudehülle ist identisch zur Energieeinsparverordnung."

Der Staat will die Begeisterung für energieeffiziente Gebäude vor allem mit Förderungen entfachen. Beim Bau oder der Sanierung von Eigentumswohnungen, Ein- und Mehrfamilienhäusern, Wohnheimen sowie Gewerbegebäuden, kommunalen Gebäuden oder Krankenhäusern greift künftig die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG). Sie soll Anreize setzen, um den Primärenergiebedarf von Gebäuden bis zum Jahr 2050 um rund 80 Prozent im Vergleich zu 2008 reduzieren zu können - ein erklärtes Ziel der Bundesregierung. Für private Bauherren bedeutet das, sie erhalten bis zu 75 000 Euro staatliche Zuschüsse über die KfW, wenn sie nach dem Standard Effizienzhaus 40 bauen. Auch individuell erstellte Sanierungspläne können mit höherer Förderung belohnt werden. Ist der Standard geringer, sinkt auch das Volumen der Förderung.

Das Effizienzhaus 40 gilt laut staatlicher KfW als Blaupause für das Optimum energieeffizienten Bauens. Es benötigt nur 40 Prozent der Primärenergie des KfW-Effizienzhaus 100, das als Referenzgebäude den Anforderungen der Energiesparverordnung aus dem Jahr 2009 entspricht. Der gesetzliche Neubaustandard durch das GEG liegt allerdings bei 75 Prozent des Referenzwertes und bleibt damit hinter dem Optimum von 40 Prozent zurück. Die Lücke schließen können vorerst nur Bauherren, Planer und Architekten. Roberto Gonzalo: "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass der einzige emissionsfreie Quadratmeter eines Gebäudes jener Quadratmeter ist, der nicht gebaut wird."

Ein weiteres Entgegenkommen des Staates auf die Bauherren sind auch mehrere Klauseln, die im GEG formuliert sind. Beispielsweise wird es bis Ende 2025 möglich sein, "bei Änderungen von bestehenden Gebäuden die Einhaltung der Anforderungen über eine gemeinsame Erfüllung im Quartier, also eine Gebäudemehrheit, sicherzustellen", schreibt das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI). "Die Regelung sowie die Möglichkeit von Vereinbarungen über eine gemeinsame Wärmeversorgung im Quartier dienen der Stärkung von quartiersbezogenen Konzepten."

Die Zukunft der Bauindustrie entscheidet sich auch daran, ob die Betrachtung des ganzen Lebenszyklus, also die gesamte Ökobilanz eines Gebäudes, immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Zentrale Fragen dabei sind: Wie und wo werden die Baustoffe produziert? Wie sehen die Transportwege aus? Ist die Rückbaubarkeit und die Wiederverwendung eines Baustoffes möglich? Der Primärenergiebedarf eines Hauses beantwortet all diese Fragen nicht, und der Gesetzgeber bietet keine allgemein gültige Definition für den Begriff Nachhaltigkeit.

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