Hauptversammlungen:Die Einflüsterer im Dax

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Gähnende Leere auf der Hauptversammlung. Dabei haben Aktionäre eine Stimme und können sich einmischen. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Viele Großinvestoren und Fondsgesellschaften vertrauen bei ihrem Votum auf die Empfehlungen von Beratern wie ISS und Glass Lewis. Die werden zunehmend zur Macht im Hintergrund.

Von Victor Gojdka

Es war zu später Stunde an einem heißen Sommerabend vor zwei Jahren, als das Schicksal von Martin Abend feststand. Die Servicemitarbeiter waren schon gegangen, Getränke gab es nicht mehr auf der Hauptversammlung des Pharmakonzerns Stada. Selbst, dass der Konzern in den Tagungssaal "Harmonie" geladen hatte, nutzte Abend am Ende nichts. Die Aktionäre wählten den Aufsichtsratschef mehrheitlich ab.

In einem 26-seitigen Papier hatte der Stimmrechtsberater ISS das zuvor empfohlen. Stada entwickele sich schlechter als viele Konkurrenten, dafür müsse Abend Verantwortung übernehmen, hieß es in dem Traktat. Eine Empfehlung, die vor allem mächtige Großinvestoren bei Stada genau zur Kenntnis nahmen.

Die Schlappe für den Aufsichtsratschef lenkte ein Schlaglicht auf Unternehmen, von denen auch viele Kleinaktionäre noch nie etwas gehört haben dürften: Stimmrechtsberater wie ISS und Glass Lewis. Diese Unternehmen empfehlen großen institutionellen Investoren, wie sie auf Hauptversammlungen abstimmen sollen. Allein ISS durchleuchtet jährlich 42 000 Unternehmen weltweit - von A wie Adidas bis Z wie Zalando.

Auch die US-Börsenaufsicht wirft einen kritischen Blick auf die Branche

Dabei geht es um wichtige Fragen für Aktionäre: Wer zieht in den Aufsichtsrat ein, wie fällt die Dividende aus - und was ist eigentlich von der Vergütung der Topmanager zu halten? In Deutschland bestellt und bezahlt unter anderem die Fondsgesellschaft Union Investment Analysen der Berater. Experten schätzen, dass alleine die beiden größten Berater ISS und Glass Lewis mit ihren Empfehlungen indirekt etwa 30 Prozent der Stimmen auf Hauptversammlungen weltweit bewegen können.

Sind die Berater im Hintergrund zu mächtig geworden? Die Frage beunruhigt viele. Am späten Donnerstagabend war der Einfluss dieser Berater Thema eines runden Tisches der US-Börsenaufsicht. Und amerikanische Politiker diskutieren derzeit einen Gesetzesentwurf, der den Einfluss der Berater begrenzen soll.

In der Karlsruher Innenstadt sitzt Anke Zschorn an ihrem Computer. Sie arbeitet als Analystin für die deutsche Tochtergesellschaft Ivox des amerikanischen Stimmberaters Glass Lewis. 500 Hauptversammlungsagenden ackern Zschorn und ihre vier Analystenkollegen jedes Jahr durch, Punkt für Punkt. Arbeiten sich durch Vergütungssysteme, checken die Lebensläufe der Kandidaten für den Aufsichtsrat. In den Geschäftsberichten der Unternehmen markiert die Analystin jeden einzelnen Quellenverweis. "Das ist alles Handarbeit", sagt Zschorn. Auf der Basis von Kriterienkatalogen erhalten die Kunden dann Ratschläge. Pünktlich, 21 Tage vor der Hauptversammlung. Manchmal rufen danach aufgebrachte Unternehmensvertreter an, wenn Zschorn mal wieder ihren Daumen gesenkt hat, und reden auf sie ein.

Das zeigt: Die Stimmrechtsberater schauen den Unternehmen auf die Finger. Doch viele Experten fürchten inzwischen den Einfluss der Stimmrechtsberater selbst. Vor allem, wenn Investoren die Empfehlungen der Berater nicht selbst noch einmal prüfen, sondern blind übernehmen. "Gerade kleine Investmentgesellschaften folgen den Stimmberatern oft blind", sagt Michael Kramarsch von der Beratungsgesellschaft Hkp, die Konzerne in Sachen Unternehmensführung berät. Sie hätten gar nicht das Personal, um für mehrere Hundert Aktiengesellschaften durchschnittlich etwa zehn Abstimmungspunkte pro Hauptversammlung durchzukämmen. "Aber auch manches Schlachtschiff macht sich keine eigenen Gedanken." Kramarsch und andere Experten stellen sich daher eine Frage: Folgt bei den Hauptversammlungen eine große Stimmmasse wie ein Echo den Empfehlungen der Berater?

Ivox-Analystin Anke Zschorn wehrt sich gegen diese Sichtweise. "Unsere Kunden sind ja keine Schafherde, sondern haben eigene Gehirnwindungen", sagt sie. Soll heißen: Die Unternehmen könnten die Berichte sehr wohl selbst überprüfen - und anders votieren. Beim Mutterkonzern Glass Lewis, der Nummer zwei weltweit, ließen inzwischen gute 60 Prozent der Kunden die Auswertungen nicht mehr nach Schema F machen, sondern legten eigene Kriterien an. Nach denen müssen die Analysten dann prüfen.

Ihren Anfang hat die Geschichte der Stimmrechtsberater in den Vereinigten Staaten der 1980er-Jahre. Im Weißen Haus sitzt zu dieser Zeit Ronald Reagan und macht Robert A. Monks zu seinem Rentenberater. Monks fällt schnell auf: Viele Aktienunternehmen schalten und walten, wie sie wollen. Große Pensionsfonds folgen bei Aktionärsentscheidungen bisweilen blind den Empfehlungen des Managements. Monks will die Fonds animieren, den Unternehmen, in die sie investiert haben, stärker auf die Finger zu schauen, und gründet den heutigen Marktführer Institutional Shareholder Services, ISS. Auf Deutsch: Service für institutionelle Investoren.

Aus der Idee von Monks ist inzwischen ein Koloss geworden, der 2000 Kunden weltweit bedient und jährlich Zehntausende Unternehmen durchleuchtet. Inzwischen wurde ISS mehrfach verkauft, ist nun in den Händen des Private-Equity-Unternehmens Genstar Capital. Und prüft inzwischen nicht nur für Investoren, ob sich Unternehmen korrekt verhalten - sondern berät die Aktiengesellschaften mit der Unternehmenstochter ISS Corporate Solutions auch, wie sie Abstimmungen bestehen können. "Interessenkonflikte sind da programmiert", sagt Unternehmensberater Michael Kramarsch. ISS argumentiert, zwischen den eigenen Analysten und ihren Beratern bestünde eine "chinesische Mauer". Analysten wüssten nicht einmal, für wen der Beratungsarm des Unternehmens arbeite. Am Ende bleibt für Governance-Berater Kramarsch jedoch ein fader Beigeschmack: "Sie können den Apfelstrudel nicht von beiden Seiten essen", sagt er. "Das geht einfach nicht."

Fondsmanager Ingo Speich kennt diese Kritik. Für die genossenschaftliche Fondsgesellschaft Union Investment ist Speich auf vielen Hauptversammlungen präsent. In der Finanzszene eilt ihm der Ruf voraus: Speich ist einer, der sich einmischt, der eine Haltung hat. "In fast jedem Papier der Stimmrechtsberater stoße ich auf interessante Aspekte", sagt Speich. Denn die Daten zu Hunderten Hauptversammlungen kann auch Speich nicht alle im Kopf haben. Elf Leute arbeiten inzwischen in seinem Team daran, die Empfehlungen der Berater zu prüfen. Eigene Daten und Quellen dazuzufügen. Und sich am Ende eine eigene Meinung zu bilden. Das, sagt Speich, sei die beste Versicherung gegen eine Übermacht der stillen Stimmberater.

© SZ vom 16.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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