Hauptversammlung:Die Ohrfeige

Reihenweise sprechen Aktionäre den Chefs der Deutschen Bank ihr Misstrauen aus.

Von Harald Freiberger und Meike Schreiber, Frankfurt

Was bleibt Aufsichtsratschef Paul Achleitner jetzt auch anderes übrig, als Asche auf sein Haupt zu streuen? "Keine Frage, das öffentliche Bild der Deutschen Bank ist heute stark angeschlagen" - so eröffnet er am Donnerstag die Hauptversammlung der Deutschen Bank. Mit Imagefilmen allein, wie sie vorher über die Leinwand der Festhalle liefen, lässt sich die Lage der Bank nicht mehr verschleiern: Aktienkurs und Reputation sind am Boden, die Kritik der Anteilseigner hat sich von Tag zu Tag hochgeschaukelt.

Die rund 9000 Aktionäre auf den Rängen sollen merken: Der Oberaufseher hat verstanden. Niemand könne zufrieden sein, positive Dinge seien von einer Vielzahl von Rechtsfällen in den Schatten gestellt worden. Es sei Aufgabe der Bank, "die unrühmliche Vergangenheit konsequent aufzuarbeiten".

Hauptversammlungen der Deutschen Bank waren immer Hochämter des Kapitalismus - und der Kapitalismuskritik. Blockupy-Aktivisten störten in den letzten Jahren die Rede von Co-Chef Anshu Jain, Umweltschützer prangerten Agrarspekulationen an und kippten Gülle vor die Tür. Es ging laut und bunt zu, aber im Kern war es harmlos. Am Ende gab es immer eine satte Mehrheit für Vorstand und Aufsichtsrat.

Ein Aktionär fragt: "Herr Jain, sind Sie die Lösung oder das Problem?"

Diesmal ist es umgekehrt: Vor der Tür ist kaum etwas los, jemand verteilt ein paar Erdnüsse ("Peanuts"), auch drinnen überwiegen die ruhigen, sachlichen Töne. Aber das sind die viel gefährlicheren, die das Management ernst nehmen muss. Es geht ans Eingemachte. Zahlreiche Aktionärsberater und Aktionärsschützer empfehlen, dem Vorstand und teils auch Aufsichtsrat die Entlastung zu verweigern - ein Novum in der Geschichte der Bank. Aktionärsschützer Hans-Martin Buhlmann ruft Jain und Fitschen zu: "Ich möchte das T im Wort ,entlasten' durch ein S ersetzen und Sie entlassen." Markus Kienle von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger fragt: "Herr Jain, sind Sie die Lösung der Bank oder das Problem - oder beides?" Sie treffen damit auch die Stimmung der Kleinaktionäre: "Wer den Vorstand entlastet, dem ist nicht zu helfen", sagte schon am Morgen eine Frau.

Als eine Art Befreiungsschlag hatte sich die Bankführung noch in der Nacht davor zu einem hektischen Vorstandsumbau durchgerungen, um die Führungsspitze zu schützen. So wird Rechtsvorstand Christian Sewing (siehe unten) das Privatkundengeschäft von Rainer Neske übernehmen, der die Bank verlässt, weil er die neue Strategie nicht unterstützte - besonders den Verkauf der Postbank. Strategie- und Finanzvorstand Stefan Krause bekommt die Verantwortung für den Zahlungsverkehr sowie die konzerninterne Bad Bank. Seinen bisherigen Vorstandsposten für Strategie übernimmt zusätzlich Jain. Vor allem die Bedeutung von Jain strich der Aufsichtsrat damit heraus. Das heißt aber auch: Er wird an der Umsetzung der neuen Strategie gemessen werden. Es ist seine letzte Chance.

Achleitner stärkt dem Führungsduo demonstrativ den Rücken. "Alle berechtigte und unberechtigte Kritik darf nicht davon ablenken, mit welchem Engagement und auch Frustrationstoleranz sich die Vorstandsmitglieder einbringen", sagt er. Dafür gebühre ihnen und ihren Familien Dank. Es gibt dünnen Applaus.

Jain hält seine Rede anders als im Vorjahr auf Englisch. "Weil jedes Wort zählt, wähle ich heute meine Muttersprache", sagt er. Für die Aktionäre wird die Rede simultan übersetzt, sie sehen nur, wie sich Jains Lippen bewegen. "Meine Damen und Herren, wir wissen, dass Sie enttäuscht sind. Jürgen und mir und den Vorstandskollegen geht es genauso", versucht Jain es mit einer kleinen Charmeoffensive, erntet aber nur ein paar Lacher im Publikum.

Er gibt zu, wichtige Ziele verfehlt zu haben. "Wir haben uns sehr viele geschäftliche Optionen offengelassen", sagt er. Das sei nicht durchzuhalten gewesen, weil die regulatorischen Anforderungen viele Geschäfte teurer machten. Als er vor drei Jahren antrat, wollte er anderen Großbanken Geschäft vor allem im Investmentbanking abnehmen. Während Institute wie die Schweizer UBS sich aus vielen Bereichen verabschiedeten, machte die Deutsche Bank munter weiter. Das drückte auf Gewinne und Aktienkurs. Es ist das Eingeständnis des Scheiterns.

Den Privatkundenvorstand Neske verabschiedet Jain mit warmen Worten: "Rainer, ich darf dir für deine wertvollen Beiträge und viele Jahre der Partnerschaft danken. Wir wünschen dir von Herzen alles Gute für die Zukunft." Neske steht kurz auf, die Aktionäre spenden ihm Applaus. Mit ihm geht das größte Gegengewicht zu den Investmentbankern im Vorstand.

Die Aktionäre zollen dem jedoch nicht wirklich Beifall: Mit den Personalentscheidungen sei zwar ein Anfang gemacht. "Aber warum haben Sie erst so spät gehandelt", fragt Fondsmanager Ingo Speich von der genossenschaftlichen Union Investment. Die Bank habe seit der Finanzkrise bereits "acht verlorene Jahre" hinter sich, und nun würden schon wieder "fünf unprofitable Übergangsjahre mit Restrukturierungskosten in Milliardenhöhe in Aussicht gestellt". Die Fondsgesellschaft, die 0,9 Prozent der Aktien hält, werde den Vorstand nicht entlasten.

Auch dem Aktionärsberater Hermes reichen die Veränderungen im Vorstand nicht. Das Führungsgremium müsse "weit über das gestrige Stühlerücken hinaus" umgebaut werden, sagt Hermes-Manager Hans-Christoph Hirt. Er wollte dem Vorstand die Entlastung ebenfalls verweigern.

Klaus Nieding von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz kritisierte, die neue Strategie sei bei Weitem nicht der vom Kapitalmarkt fast schon sehnsüchtig erwartete große Wurf einer Trennung von Privatkunden- und Geschäftskundenbank, sondern "von allem ein wenig, aber vor allem keine Vision". Zudem traue man den Ankündigungen des Managements nicht mehr über den Weg. Nieding will eine Sonderprüfung durchsetzen, um zu untersuchen, ob die Rückstellungen für Strafzahlungen nun ausreichten.

Wie die Sache ausging, stand bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht fest. Da nur ein Drittel der Anteilseigner anwesend war, ist formal nur eine Zustimmung von rund 15 Prozent nötig - ein Wert, den Jain und Fitschen schaffen könnte. Doch was wäre das für ein Zeichen - normalerweise gilt schon eine Ablehnung von zehn Prozent als Ohrfeige für Management und Aufsichtsrat.

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