Süddeutsche Zeitung

Hauptversammlung von Thyssen-Krupp:Hiesinger trifft der Zorn der Aktionäre

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Er kam als Aufräumer, nun fällt das Wort "Versager" im Zusammenhang mit Heinrich Hiesinger und der Konzernspitze. Die Aktionäre auf der Hauptversammlung von Thyssen-Krupp sind wütend - auch über die Personalie René Obermann. Nur ein mächtiger Investor ist auffallend still.

Von Kirsten Bialdiga, Bochum

Heinrich Hiesinger schaut angestrengt geradeaus, dann kurz an die Decke der Versammlungshalle. Der Thyssen-Krupp-Chef wirkt heute bleicher als sonst. Sein Gesicht nimmt sich fast maskenhaft auf dem Podium aus. Gerade hat der erste Aktionär auf der diesjährigen Hauptversammlung des strauchelnden Ruhrkonzerns das Wort ergriffen.

Es ist Thomas Hechtfischer, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Er ist ein routinierter Redner, seine Organisation tritt für den Schutz von Aktionären ein. Hechtfischer ist keiner, der die Stimmung in einem Saal anheizen kann oder will. Wohl auch aus diesem Grund darf er an diesem Freitag im Bochumer RuhrCongress als erster ans Rednerpult treten. Erwartet unaufgeregt trägt Hechtfischer seine Kritik vor, Punkt für Punkt. Aber ganz am Ende kommt er doch noch, der direkte Angriff: "Jetzt beginnt bei den Vorstandsverträgen die zweite Halbzeit: Sie müssen nachlegen." Zurzeit überwögen die schlechten Nachrichten eindeutig die guten. "Nur Schlimmeres verhindert zu haben, das kann es nicht sein."

Die Situation ist ungewohnt für Konzernchef Hiesinger. Noch vor einem Jahr schienen die Rollen klar verteilt. Hier Hiesinger, der Hoffnungsträger. Der Aufräumer, der alles zum Besseren wenden wird. Der mutig genug ist, Seilschaften zu durchtrennen, Traditionen aufzubrechen und den Konzern konsequent zu sanieren.

Dort Gerhard Cromme, der selbstgewisse, mächtige Aufsichtsratschef. Der tatenlos zusah, wie sich der Traditionskonzern einen Fehler nach dem anderen leistete und stets rechtzeitig zur Seite trat, wenn es für ihn gefährlich wurde.

Jetzt ist Cromme weg, und die alten Muster haben ausgedient. Nur wenige Monate vor seinem Tod ließ der 99-jährige Konzernpatriarch Berthold Beitz seinen Ziehsohn fallen und brachte ihn damit um sein Lebenswerk. Von Cromme spricht an diesem Freitag in Bochum kaum noch jemand.

Dafür ziehen die Aktionäre erstmals Hiesinger zur Rechenschaft für das, was er in den letzten zwölf Monaten geleistet hat. Lange hielten sie dem 53-Jährigen zugute, dass die Altlasten zu schwer wogen, um den Konzern nach vorn zu bringen. Doch nach drei Jahren an der Spitze taugt diese Entschuldigung längst nicht mehr allen.

Und längst nicht allen Aktionären gelingt es, angesichts der existenzbedrohenden Lage bei Thyssen-Krupp sachlich zu bleiben.

Bernd Günther etwa, dessen Gesellschaft Idunahall seit Jahren ein größeres Aktienpaket verwaltet, hält sich nicht zurück. "Es sind viele taktische Fehler gemacht worden", ruft er dem Vorstand entgegen, "das Fiasko geht weiter". Der strategische Umbau des Konzerns gehe nicht voran, es gebe nur Verkäufe, und die zum falschen Zeitpunkt. Zwar habe Hiesinger einen großen Teil der Probleme geerbt, "aber ob schnell genug gedreht wurde, das ist die Frage." Wenn nächstes Jahr keine Dividende gezahlt werde, gehöre der Vorstand in die Rubrik "Versager".

Die Rückschläge der vergangenen Monate haben die Aktionäre erzürnt. Da wäre der Verkauf der Stahlwerke in Übersee, der nur zur Hälfte gelang. Ursprünglich wollte Hiesinger das Werk im US-Bundesstaat Alabama und die Hütte in Brasilien verkaufen. Nach eineinhalbjährigen Verhandlungen erwies sich die Anlage in Südamerika aber als unverkäuflich. Zwar gelang es Hiesinger, das US-amerikanische Werk für 1,1 Milliarden Euro zu verkaufen und einen Abnahmevertrag für Vorprodukte aus Brasilien auszuhandeln. Das dürfte aber kaum ausreichen, um die Hütte in Südamerika profitabel zu machen.

Noch desaströser entwickelte sich der Verkauf der Edelstahlsparte. Thyssen-Krupp hatte das defizitäre Geschäft bereits an Outokumpu verkauft. Der finnische Stahlkonzern geriet selbst in Schwierigkeiten, der Konzernvorstand musste den Deal teilweise rückabwickeln. Nun hat Thyssen-Krupp die zwei Edelstahltöchter VDM und die defizitäre Terni erneut in den Büchern. Fast hätte der missglückte Verkauf den gesamten Konzern in den Abgrund gerissen, es drohte der Verlust des halben Grundkapitals. "Wäre Outokumpu pleite gewesen, dann wäre der Niedergang von Thyssen-Krupp besiegelt gewesen - ich weiß nicht, ob das hier allen bewusst ist", ruft Aktionär Günther in den Saal.

Es ist nicht leicht für Hiesinger und seinen Aufsichtsratschef Lehner, die Aktionäre an diesem Freitag zu besänftigen. Wieder und wieder erklärt Hiesinger, zu der teilweisen Rückabwicklung habe es keine Alternative gegeben. Mit der Rücknahme von VDM und Terni werde das Vermögen von Thyssen-Krupp gesichert, da eine Forderung im Risiko gestanden habe. Ohne den Edelstahl-Deal hätte Thyssen-Krupp deutlich größere Probleme auf der Finanzseite, bei Schulden und Eigenkapital. Zudem verweist Hiesinger auf Erfolge im operativen Geschäft.

Doch auch so sind die Probleme schon groß genug. Trotz der jüngsten Kapitalerhöhung liegt die Eigenkapitalquote nur bei 9,4 Prozent. Jetzt sollen die Aktionäre einem Beschluss zustimmen, mit dem sie ohne neue Hauptversammlung eine weitere Kapitalerhöhung von bis zu 25 Prozent durchziehen könnten. Doch einige Investoren sind vergrätzt. Zu frisch sind die Misserfolge der vergangenen Wochen. Auch der Luxus eines eigenen Firmenfliegers erzürnt manchen Aktionär.

"Das Volumen ist zu hoch, da eine Strategie nicht klar ersichtlich ist", sagt Fondsmanager Ingo Speich von Union Investment, der Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken. Die vergangenen Transaktionen stimmten ihn nicht zuversichtlich, dass die Mittel zielgenau eingesetzt würden. Er will gegen die entsprechenden Tagesordnungspunkte stimmen. Das hat zwar keine weiteren Auswirkungen - seine Fondsgesellschaft hält nur 0,13 Prozent der Aktien. Ein Signal ist es dennoch.

Speich ist noch nicht fertig. Er rügt die Besetzung des Aufsichtsrats, vor allem die Berufung von René Obermann. Der ist als ehemaliger Chef der Telekom nicht der einzige mit einem Hintergrund bei dem Kommunikations-Konzern. Den haben nämlich auch Thyssen-Krupp-Finanzchef Guido Kerkhoff und Chefkontrolleur Ulrich Lehner. Das "Telekom-Triumvirat" , nennt Speich die drei. Er will gegen die Wahl von Obermann stimmen und fordert zugleich einen Sitz für den neuen Großaktionär Cevian, der inzwischen rund elf Prozent an Thyssen-Krupp hält.

Das richtet sich gegen Aufsichtsratschef Lehner, der ebenso den Ärger vieler Aktionäre auf sich zieht. Der erfahrene Multi-Aufseher ist gefordert auf dieser Hauptversammlung. Denn auch die Entscheidung, mit Donatus Kaufmann einen weiteren Konzernvorstand für Recht und Compliance zu etablieren, findet nicht überall Zustimmung. Für Christian Strenger, Experte für gute Unternehmensführung, wäre ein Stahl-Vorstand sinnvoller. Ein Compliance-Vorstand sei nicht frei in seinen Entscheidungen, weil er wegen der Gesamtverantwortung aller Vorstandsmitglieder im Zweifelsfall gegen sich selbst ermittle.

Kaufmann, 51, hatte zuvor beim Handelskonzern Metro und dem Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim gearbeitet. Er wird einiges zu tun haben. Nach verschiedenen Kartellfällen schwebt noch immer ein weiteres offenes Verfahren über Thyssen-Krupp. Es geht um Preisabsprachen bei Autoblechen, die Ermittlungen laufen.

Am Freitagnachmittag sind bis halb drei Uhr schon etwa ein Dutzend Aktionäre zu Wort gekommen. Nur einer schweigt. Der schwedische Finanzinvestor Cevian Capital, die zweitwichtigste Aktionär bei Thyssen-Krupp.

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