Aktionärsdemokratie:Heuchelei um die Hauptversammlungen

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Bilder, die künftig der Vergangenheit angehören? Aktionäre auf der Volkswagen-Hauptversammlung 2018 in Berlin. (Foto: stefan zeitz/imago/Stefan Zeitz)

Die Corona-Ausnahme wird zum Dauerzustand: Unternehmen dürfen ihre Hauptversammlungen künftig digital abhalten. Das schadet der deutschen Aktionärsdemokratie.

Kommentar von Meike Schreiber , Frankfurt

Glaubt man den Begrüßungsformeln, mit denen viele Aufsichtsratschefs und Firmenlenker zuletzt ihre Reden auf Hauptversammlungen eröffneten, dann haben die Herren - und wenigen Damen - regelrecht darunter gelitten, dass sie die jährlichen Aktionärstreffen wegen Corona ins Internet verlegen mussten. Kaum ein Konzernchef, der nicht darauf verwies, dass ein persönliches Treffen "einschließlich der Lebhaftigkeit einer Debatte mit vor Ort anwesenden Teilnehmern" doch wirklich schöner gewesen wäre, und kaum einer, der nicht betonte, wie sehr viel lieber man doch "persönlich" zu den Aktionären gesprochen und sich "direkt" den Fragen gestellt hätte. Als wäre es eine nette Party.

Die Enttäuschung dürfte in vielen Fällen geheuchelt gewesen sein. Nichts nervt Konzernlenker mehr, als sich einen ganzen Tag mit den Fragen lästiger Klein- und Großaktionäre herumzuschlagen, zumindest dann, wenn die geschäftlichen Erfolge nicht gerade zu Szenenapplaus anregen. Kein Wunder, dass viele Firmen Gefallen an der digitalen Hauptversammlung gefunden haben, wo sich der Ablauf viel leichter steuern lässt. Und so ist es der einflussreichen Industrielobby nun offenbar gelungen, die virtuelle Hauptversammlung als feste Option im Aktiengesetz zu verankern, wie aus einem Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums hervorgeht. Zwar muss die Hauptversammlung der längerfristigen Verlagerung ins Internet zustimmen. Das Fragerecht aber wird eingeschränkt. Die ohnehin schwach ausgeprägte Aktionärsdemokratie in Deutschland nimmt dadurch weiter Schaden.

Dabei ist die Hauptversammlung mehr als nur Folklore mit Gratis-Würstchen, Werbefilmen und ungehaltenen Reden. Neben Vorstand und Aufsichtsrat ist sie das wichtigste Entscheidungsgremium einer Aktiengesellschaft. Nur einmal im Jahr haben Aktionäre die Gelegenheit, der Führung ihres Unternehmens auch persönlich die Meinung zu sagen sowie Fragen zu stellen, die der Vorstand auch beantworten muss. Es geht oft um ganz zentrale Dinge: Managementfehler, die Bezahlung der Führungsriege und immer mehr auch darum, wie nachhaltig eine Firma arbeitet. Zudem treffen die Anteilseigner wichtige Entscheidungen: Die Hauptversammlung stimmt ab über Ausschüttung und mögliche Kapitalerhöhungen, und sie wählt den Aufsichtsrat. Die Ampelkoalition hatte im Koalitionsvertrag versprochen, die Aktionärsrechte zu wahren, selbst wenn dauerhaft Online-Hauptversammlungen ermöglicht werden.

Eingeschränktes Fragerecht

Das allerdings ist misslungen. Es fängt damit an, dass Firmen die Hauptversammlung komplett ins Netz verlegen können. Hybride Lösungen, die das Beste aus beiden Welten vereinen könnten, sind nicht vorgesehen. Es geht weiter mit dem eingeschränkten Fragerecht: Aktionäre müssen ihre Anliegen vier Tage vorher einreichen, was schon bei kürzeren Fristen oft nicht klappt, wenn die Zugangsdaten für das Hauptversammlungs-Portal nicht rechtzeitig ankommen. Zudem kann der Vorstand Nachfragen "ohne sachlichen Zusammenhang" unterbinden, was der Willkür Tür und Tor öffnet. Videobotschaften von Anteilseignern dürfen zudem keine Fragen enthalten, selbst wenn eine Firma damit einverstanden ist. Es ist außerdem nicht vorgesehen, dass die Fragen vorher schriftlich beantwortet werden. Stattdessen werden die Antworten oft über Stunden vorgelesen, wobei wichtige Details gerne mal in einem juristischen Klangbrei untergerührt oder an das Ende der Tagesordnung geschoben werden.

Firmenchefs bemängeln gerne, wie unterentwickelt der deutsche Kapitalmarkt sei. Tatsächlich tragen viele Unternehmen selbst dazu bei, wenn sie Kleinaktionäre wie lästige Bittsteller behandeln und sogenannte "aktivistische" Anteilseigner zumeist versuchen, als unseriös abzuschütteln, wenn diese bei Managementfehlern auch schon mal lautstark den Austausch der Führungsmannschaft oder Bonuskürzungen fordern. Es passt aber durchaus zu Corporate Germany, wo sich Firmenchefs nicht nur leichtfertig in die Abhängigkeit von russischem Gas begeben haben, sondern oft stille Geldgeber bevorzugen, selbst wenn sie aus Staaten wie Katar kommen. Wer es also ernst meint mit der Aktionärskultur, der setzt "nach Corona" wieder auf die Hauptversammlung in Präsenz. Verboten ist sie ja nicht.

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