Süddeutsche Zeitung

Haschisch-Historie:Schon arabische Krieger berauschten sich damit

Lesezeit: 4 min

Woher kommt eigentlich Haschisch? Eine kleine Kulturgeschichte des Kiffens.

Von Ronen Steinke

Eines der größeren Rätsel der arabischen Geschichte betrifft eine blutrünstige Guerilla, die ein Faible ausgerechnet für das Kiffen gepflegt haben soll. Der Zeitpunkt: die erste Jahrtausendwende. Es toben die frühen Erbfolgekriege des Islam. Gerade hat sich die arabische Welt gespalten in Sunniten und Schiiten.

Da taucht eine dritte, sehr viel kleinere Gruppe auf, ein rotes Tuch für die Etablierten, brutal entschlossen und zu jeder List bereit: die Nizari. Ihr Anführer, Hasan y Sabah, steht an einem Herbsttag des Jahres 1090 mit dreihundert seiner Gefolgsleute vor den Toren der Festung Alamut, "Adlernest", die als uneinnehmbar gilt. Der Guerillero, so geht die Sage, hat die Frechheit, die Bewohner zur friedlichen Kapitulation aufzufordern. Man lacht ihn aus.

Drei Tage später hat er die Burg eingenommen. Zwei Jahre später gehören ihm noch Dutzende weitere Burgen zwischen Täbris und Damaskus, sein Ruf ist nun der eines Supersoldaten, die Legenden und Schauermärchen über ihn schießen ins Kraut. Seine Nizari-Kämpfer werden von ihren Gegnern verächtlich "Haschisch-Esser" genannt, Haschischyyin. Denn angeblich berauschen sie sich vor jeder Schlacht mit Cannabis. In europäische Geschichtsbücher gehen sie als "Assassinen" ein. In den romanischen Sprachen stammt von dort das Wort für Mord.

Haschisch in kleinen Kuchen, mit Feigen, Ingwer und Honig

Cannabisprodukte waren schon früh ein wichtiges Handelsgut des Orients. Mekka, die Kaufmannsstadt im heutigen Saudi-Arabien, bildete den Kreuzungspunkt zweier uralter Handelsstraßen. Von Ost nach West kreuzte die "Gewürzstraße", über die aus Indien via Muskat - die heutige Hauptstadt des Sultanats Oman - Parfums, Farben, Elfenbein und spätestens seit dem zweiten Jahrhundert nach Christus auch Haschisch kamen.

Haschisch heißt Gras auf Arabisch. Geraucht wurde es damals nicht. Die geläufigste Zubereitungsform war stattdessen ein kleiner Kuchen, der Madschun, gebacken aus Hanf-Blütenständen, feingehackten Datteln, getrockneten Feigen, Ingwer, Honig und Zimt.

Anders als Alkohol, das Ritualgetränk der Christen und Juden, wurde Cannabis unter den muslimischen Herrschern, die vom siebten Jahrhundert an die Stämme einten, nicht verboten. Es ließen sich gute Geschäfte damit machen; in Jemen etwa gedieh der Hanf gut. In verarbeiteter Form war er kostbar und leicht zu transportieren. Der als "Weihrauchstraße" bekannte Handelsweg in nord-südlicher Richtung verlief durch Mekka bis nach Europa.

Aber stimmt es, dass Haschisch für die Nizari-Kämpfer ein Aufputschmittel war? Die Legende von den "Assassinen" klingt heute umso sonderbarer, als die arabische Dichtung schon damals reich war an Spott über schläfrig-entspannte Cannabis-Konsumenten.

Schon die Witz-Enzyklopädie "Verstreute Perlen" aus dem 11. Jahrhundert kennt die Erzählung vom Haschisch-Liebhaber, der zehn Esel hat. Beim Reiten zählt er sie durch. Er kommt auf die Zahl Neun. Erschrocken steigt er ab von seinem Reittier und zählt erneut. Da kommt er auf zehn. Also sagt er: Lieber gehe ich zu Fuß und besitze zehn, als dass ich reite und nur neun besitze.

Noch heute ist Haschisch ein vor allem arabischer Stoff. Bekannte Sortennamen wie "Schwarzer Afghane" sollten nicht täuschen: Nach Schätzung von Ermittlern kommen allein 70 Prozent des in Europa gerauchten Cannabis aus Marokko, etwa 3000 Tonnen im Jahr. Kif heißt der Stoff dort umgangssprachlich.

Vor allem im Rif-Gebirge im Norden des Landes herrscht weithin landwirtschaftliche Monokultur. Eine Million der insgesamt 33 Millionen Marokkaner leben direkt oder indirekt von der Cannabis-Produktion, schätzt der im marokkanischen Tanger lebende deutsche Reporter Alfred Hackensberger. Er nennt die Droge das "grüne Öl" Marokkos.

Im Vergleich zu den Preisen, die auf dem europäischen Schwarzmarkt erzielt werden, ist Haschisch in Marokko spottbillig. Um 20 Dirham (umgerechnet etwa zwei Euro) kosten drei bis vier Gramm dort heute. Die Gewinnspannen sind trotzdem enorm, Oliven- oder Avocado-Plantagen können da nicht mithalten, weshalb in den vergangenen Jahren die Versuche der marokkanischen Polizei, örtliche Landwirte zu einem Umstieg auf legale Früchte zu bewegen, weitgehend als gescheitert gelten.

Auf Druck der USA wie auch der EU wurden zuletzt Cannabis-Ernten zerstört. Das waren Tropfen auf einem heißen Stein: Das nordafrikanische Königreich blieb ein Riese im globalen Cannabis-Geschäft. Der Schmuggel in die EU hinein fällt leicht, die Meerenge von Gibraltar ist nur 14 Kilometer breit. Den Schmuggel auf Schnellbooten oder mit Kleinflugzeugen organisieren Kif-Barone. Es versteht sich, dass bei Marokkos Bauern nur wenig von ihren Profiten ankommt.

Guerilla ohne Tötungshemmungen?

In Libanon hat Haschisch schon den Bürgerkrieg (1975-1990) mitfinanziert, der Hanf spielte dort eine ähnliche Rolle wie zwanzig Jahre später der Schlafmohn in Afghanistan. Schon in den Sechzigerjahren, als in der Zedernrepublik noch Frieden herrschte, waren Prominente wie Alain Delon oder Romy Schneider an die Beiruter Riviera gekommen. Junge, reiche Westler taten es ihnen nach und trugen den exzellenten Ruf des "roten Libanesen" - eine Haschisch-Sorte, angebaut in der Bekaa-Ebene an der Grenze zu Syrien - nach Europa.

So lukrativ wie in dieser Zeit war der Handel mit dem Stoff nie zuvor. Zu Lebzeiten des muslimischen Religionsstifters Mohammed, im siebten Jahrhundert, war Cannabis bloß ein kostbares Gewürz unter vielen gewesen; auf dem Markt spielten staatliche Verbote, die Preise in die Höhe schießen lassen, noch keine Rolle. Auch stand das arabische Kif damals noch im Schatten des indischen Opiums.

Und die Assassinen? Die legendäre Nizari-Guerilla, die angeblich im Rausch alle Tötungshemmungen fallen ließ? Was sie betrifft, so schreibt der österreichische Buchautor Hans-Georg Behr in seiner 1995 erschienenen Kulturgeschichte des Hanfs, "ist das Gewebe so dicht, dass es erst in unserem Jahrhundert gelang, den Faden der Realität unter den Goldgespinsten der Legenden aufzuspüren.

Die Tatsachen sind nicht viel weniger abenteuerlich, und das mag der Grund sein." Für den Kiffer-Mythos um die Guerilla fehlen historische Belege. Möglicherweise setzten die Kämpfer sogar eher auf Askese: "Haschisch macht sanft; der Dolch trifft dann nicht, da das Herz zu Zärtlichkeit neigt", heißt es in einer Nizari-Schrift.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2015
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