Hartz-IV-Rückforderungen:Schluss mit der Millionen-Verschwendung

Hartz-IV-Rückforderungen: Viel Zeit müssen die Mitarbeiter der Arbeitsagentur aufwenden, um Kleinstbeträge von Hartz-IV-Empfängern einzutreiben.

Viel Zeit müssen die Mitarbeiter der Arbeitsagentur aufwenden, um Kleinstbeträge von Hartz-IV-Empfängern einzutreiben.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Jobcenter müssen auch kleinste Beträge von Hartz-IV-Empfängern zurückfordern. Das verursacht enorme Kosten, die man mit einer einfachen Regel verhindern könnte.

Kommentar von Henrike Roßbach, Berlin

Wenn das Kind nach Hause kommt und erzählt, es habe in der Schule zwei 3D-Sticker gegen einen Glitzersticker getauscht, dann rutscht einem als kühl kalkulierendem Erwachsenen schon mal raus: "Oha, ein schlechtes Geschäft!" Dabei haben Eltern einfach nur keine Ahnung von den aktuellen Schulhofpreisen für Glitzersticker, weshalb ein solcher Tausch ein durchaus hervorragender gewesen sein kann.

Deutlich einfacher als schlechtes Geschäft zu erkennen ist es hingegen, wenn eine deutsche Behörde mitteilt, sie habe vergangenes Jahr 60 Millionen Euro investiert, um 18 Millionen Euro zu bekommen. Was sich vollkommen unglaublich anhört, ist in der Bundesagentur für Arbeit (BA) Realität. Den gebühren- und steuerzahlenden Bürgern gegenüber kann man das unmöglich vertreten.

Die Jobcenter müssen, wenn sie Hartz-IV-Empfängern rückblickend betrachtet zu viel Geld überwiesen haben, selbst kleinste Summe zurückfordern. 2018 summierten sich Forderungen bis 50 Euro auf besagte 18 Millionen. Die Feststellung und Verbuchung der Ausstände, das Versenden von Erstattungsbescheiden, Mahnungen und im schlimmsten Fall die Vollstreckungsversuche aber haben 60 Millionen Euro gekostet - mehr als dreimal so viel. Noch drastischer fällt das Missverhältnis bei Forderungen bis 20 Euro aus: Für 4,6 Millionen Euro an Forderungen fielen Verwaltungskosten in Höhe von 40,6 Millionen an.

Der Grund für dieses schlechte Geschäft mit Ansage ist, dass für die BA keine Bagatellgrenze gilt. Die Nürnberger Behörde fordert seit Jahren, dass sie bei Kleinbeträgen nicht mehr tätig werden muss. Dass also Hartz-IV-Empfänger 14,73 Euro, die sie wegen einer erst nachträglich berücksichtigen Übungsleiterpauschale zurückzahlen müssten, schlicht behalten dürfen - und die Jobcenter-Mitarbeiter nicht die ganze Rückforderungsmaschinerie anschmeißen müssen.

Ja, es gibt auch heute schon Eskalationsstufen. Bis sieben Euro müssen Ausstände "nur" erfasst und als Soll verbucht werden, bis 36 Euro werden zwar Bescheide und Mahnungen verschickt, Vollstreckungsmaßnahmen aber werden nicht eingeleitet. Und trotzdem stehen Aufwand und Ertrag in einem grotesken Missverhältnis. Das Motiv ist dabei ein durchaus edles: Der Bund schreibt seinen Behörden ein besonders redliches Verhalten vor - natürlich zu Recht. Und in der Tat bringen Bagatellgrenzen Probleme mit sich: Wenn jeder weiß, dass vier, zwanzig oder 43,78 Euro im Zweifel niemals zurückgefordert werden, besteht durchaus die Gefahr einer generell sinkenden Zahlungsmoral. Und zwar nicht nur in der Grundsicherung, sondern womöglich auch auf anderen Feldern, vom Strafzettel bis zur Steuererklärung. Doch der Ansatz, auch noch den allerletzten Cent zu ehren, bewirkt im Fall der Jobcenter genau das Gegenteil: Verschwendung.

Hartz IV ist ohnehin zu bürokratisch

Es kann nicht sein, dass ausgerechnet die Jobcenter gezwungen sind, auf diese Weise Millionen Euro zum Fenster hinaus zu werfen. Immer wieder wird gefordert, Hartz IV zu entbürokratisieren. Jobcenter-Mitarbeiter sollen mehr Zeit haben für ihre eigentliche Arbeit - die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt oder in eine sinnvolle Weiterbildung. Zudem wird in der Grundsicherung mit spitzer Feder gerechnet. Die Zuverdienste, die Hartz-IV-Sätze, die Heizkosten - für alles gibt es detaillierte Vorschriften und Regeln. Was durchaus berechtig ist, denn all diese Leistungen müssen von der Allgemeinheit finanziert werden, auch von Menschen mit harten, anstrengenden und nicht gerade üppig bezahlten Jobs. Gerade denen aber lässt sich überhaupt nicht vermitteln, warum der Bedarf eines Hartz-IV-Empfängers auf den Cent genau statistisch ermittelt und festgelegt wird, gleichzeitig aber Millionen ausgegeben werden für rein gar nichts.

Bürokratieabbau ist eine komplizierte Sache. Eine Bagatellgrenze für die Arbeit der Jobcenter aber wäre auf diesem weiten Feld eine der wenigen, wirklich niedrig hängenden Früchte. Es wird Zeit, dass sie jemand erntet.

Zur SZ-Startseite
Studie zu Hartz IV

Pro und Contra zur sozialen Wende der SPD
:Der Abschied von Hartz IV ist ein nötiger Neuanfang

Der Wirtschaftsboom in Deutschland hat einen schweren Makel: Viele merken davon nichts. Deshalb ist es richtig, dass die SPD den Umgang mit Arbeitslosen reformieren und den Reichtum im Land anders verteilen will.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: