Hartz IV: Regelsätze für Kinder:Preis der Würde

Wie viel Geld braucht ein Kind zum Leben? Der Bund hat dafür pauschale Beträge ermittelt. Jetzt prüft das Verfassungsgericht die Regelsätze - und bittet Experten zum Vorrechnen.

H. Kerscher u. T. Öchsner

Das neue Hartz-IV-Rätsel heißt aller Voraussicht nach "300 Millionen plus x = ?" Die 300 Millionen stehen für die Summe der Mehrausgaben, die Schwarz-Gelb für Hartz-IV-Empfänger mit kleineren Vermögen schon beschlossen hat. Das "x" steht für eine noch unbekannte Summe, die Karlsruhe wohl der neuen Regierungskoalition auferlegen wird: An diesem Dienstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht über Klagen von drei Familien gegen die Höhe des "Sozialgelds" für die meisten der 1,7 Millionen Kinder unter den Hartz-IV-Empfängern. Kaum jemand zweifelt daran, dass der im Frühjahr erwartete Richterspruch auf ein "Zu niedrig!" hinauslaufen wird.

Hartz IV, Foto: dpa

Das Bundesverfassungsgericht prüft die Hartz-IV-Regelsätze für Kinder.

(Foto: Foto: dpa)

Zu diesem Ergebnis sind immerhin schon das Bundessozialgericht und das Hessische Landessozialgericht gekommen. Sie legten die Klagen mit krachenden Begründungen in Karlsruhe vor, weil die zugrunde liegenden Gesetze verfassungswidrig seien. Die darin festgeschriebenen Beträge diskriminieren nach Ansicht der Gerichte besonders Kinder unter 14 Lebensjahren und führen ohne nachvollziehbare Begründung zu einer pauschal verringerten "Regelleistung".

Die lag zum Zeitpunkt der Klagen bei 207 Euro bis zum 14. Geburtstag; das entsprach 60 Prozent der "Regelleistung für Alleinstehende". Mittlerweile hat der Gesetzgeber etwas nachgebessert. Seit dem 1. Juli unterscheidet er, wie im Unterhaltsrecht üblich, zwischen drei statt bisher zwei Altersgruppen: Bis zu sechs Jahren erhalten Kinder 215 Euro, danach 251 und nach dem 14. Geburtstag 287 Euro. Das folgt aus der neuen Staffelung von 60, 70 und 80 Prozent.

DGB: Regelsätze für Kinder erhöhen

Wie diese Prozentzahlen zustande kommen und ob der Ausgangsbetrag von 359 Euro, das sind die "100 Prozent für Alleinstehende", korrekt ist, wird das Verfassungsgericht sehr gründlich prüfen. Außer den Anwälten der Familien und dem Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Detlef Scheele, der die Berliner Beschlüsse verteidigt, kommen jede Menge Experten zu Wort - vom Statistischen Bundesamt, vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge sowie von weiteren Verbänden.

Die acht Gerichtsmitglieder wollen es genau wissen: Wie viel Euro braucht ein Erwachsener zum Leben und wie viel weniger brauchen Minderjährige? Und sie werden vor allem prüfen, ob die pauschalen Abzüge nach Prozentsätzen gerechtfertigt sind. Denn die vorlegenden Gerichte kritisieren besonders heftig, dass die Prozentsätze für Kinder unter 14 ohne tragfähige Begründung niedriger ausfallen. Der Gesetzgeber hätte gerade im "grundrechtssensiblen Bereich der Sicherung des Existenzminimums" erst einmal den genauen Bedarf von Kindern und Jugendlichen ermitteln müssen, fand das Bundessozialgericht.

Wohlfahrtsverbände und der DGB fordern deshalb schon lange, die Hartz-IV-Regelsätze für Kinder anzuheben. "Kinder sind nicht einfach ,kleine Erwachsene, die mit einem willkürlich festgelegten Prozentsatz vom Regelsatz eines Alleinstehenden abgespeist werden dürfen", sagt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Kinder benötigten etwa für Bücher, Computer oder Turnschuhe Geld. "Der Bedarf für Bildung und soziale Teilhabe der Kinder muss bei ihren Regelsätzen stärker berücksichtigt werden", fordert Buntenbach. Noch besser wäre es aus Sicht des Gewerkschaftsbundes, Kinder aus der Abhängigkeit von Hartz IV herauszuholen. Der DGB plädiert deshalb auch dafür, den Kinderzuschlag zu erhöhen.

"Lähmende Wirkung"

Linke und Grüne sind ebenfalls für höhere Hartz-IV-Regelsätze. Dieser Vorschlag ist aber umstritten, nicht nur weil er viel Geld kostet. Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), einem Stadtteil mit sehr vielen Hartz-IV-Empfängern, hält es für problematisch, dass von Arbeitslosigkeit geprägte Familien mit ihrer Kopfzahl ihr Einkommen steuern können.

In bestimmten Konstellationen habe ein Hartz-IV-Empfänger mit drei Kindern netto mehr Geld als ein Arbeiter mit geringem Verdienst und ebenfalls drei Kindern. Dies habe gerade bei Minderqualifizierten eine "lähmende Wirkung", bestimmte Jobangebote anzunehmen, sagt er. Andererseits hält er höhere Regelsätze für Alleinerziehende für nötig. "Versuchen Sie mal mit einem Kind, zwölf Jahre alt, mit 700 Euro monatlich über die Runden zu kommen. Das geht eigentlich gar nicht", sagt der Bürgermeister.

Die Prozessaussichten für die drei Familien sowie für viele andere Betroffene sind jedenfalls recht gut. Die künftige Regierung, die gerade mit Wohltaten in Milliardenhöhe - auch für besser gestellte Eltern - jongliert, kann sich schon mal auf unfreiwillige Mehrausgaben für arme Kinder einstellen. Exakte Beträge wird Karlsruhe im Urteil kaum vorschreiben. Aber die noch unbekannte Größe "x" könnte weit über den bisherigen 300 "Hartz-IV-Millionen" liegen.

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