Arbeitsmarkt:Hartz IV ist nicht genug

Gerhard Schröder und Peter Hartz

Vor mehr als 16 Jahren erhielt der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder die Vorschläge der Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Chef des Gremiums war Peter Hartz (links), damals Personalvorstand bei VW.

(Foto: Wolfgang Kumm/dpa)
  • Bei einem Kongress in Berlin diskutieren Politiker und Wissenschaftler darüber, was Hartz IV gebracht hat und welche Reformen nötig sind.
  • Demnach hat die Grundsicherung zwar die Arbeitslosigkeit reduziert, doch sie schüre Ängste und verunsichere die Menschen.
  • SPD-Politiker sprechen sich gegen zu strenge Sanktionen aus.

Von Alexander Hagelüken und Henrike Roßbach, Berlin

Es war ein feierlicher Moment, als Peter Hartz hier im August 2002 ans Podium trat. Im Französischen Dom in Berlin präsentierte der damalige VW-Manager, wie seine Kommission den deutschen Arbeitsmarkt reformieren wolle: "Dies ist ein guter Tag für die Arbeitslosen in Deutschland", rief er den Gästen zu. Diese Ideen, darunter Hartz IV für Langzeitarbeitslose, prägten später tatsächlich die Reformen der Regierung Gerhard Schröder (SPD). Am Dienstag wählten zwei Wirtschaftsforscher erneut die Kuppelhalle aus dem 18. Jahrhundert - für einen Gegenkongress. Titel: "Hat Hartz IV eine Zukunft?"

Die meisten deutschen Ökonomen finden die Reformen der Regierung Schröder nach wie vor gut. Sie machen sie mitverantwortlich dafür, dass sich die Zahl der Arbeitslosen seitdem auf rund 2,3 Millionen halbierte. "Die Wirkung von Hartz IV auf den Arbeitsmarkt wird überschätzt", hält Gustav Horn dagegen, der den Kongress gemeinsam mit dem Wirtschaftsweisen Peter Bofinger initiierte. "Viele Deutsche empfinden Hartz IV als ungerecht. Wer länger gearbeitet hat, darf nicht sofort auf eine so geringe Unterstützung fallen", sagt Horn, der das gewerkschaftsnahe IMK-Institut leitet.

Noch bevor es um Korrekturen ging, sollte eine Reihe von Vorträgen klären, was die Forschung heute über Hartz weiß. Martin Scheffel vom Karlsruher Institut für Technologie erklärt den Rückgang der Arbeitslosenquote von damals zehn auf drei Prozent zur Hälfte mit einer besseren Konjunktur. Und der Rest? Habe teilweise durchaus mit den Reformen zu tun. Weil der Abstand zwischen Lohn und Sozialleistungen für Arbeitslose größer wurde, stieg der Anreiz, einen Job anzunehmen. Das zeigen auch Studien von US-Forschern: Kurz bevor Jobsuchende vom deutlich höheren Arbeitslosengeld auf Hartz IV fallen, bemühen sie sich viel stärker um eine neue Stelle. Allerdings drückt dies alles die Arbeitslosenquote laut Scheffel nur um knapp einen Prozentpunkt.

Stärker wirke etwas anderes, so Philip Jung von der TU Dortmund: "Hartz IV nimmt den Menschen Sicherheit, es verschlechtert ihre Verhandlungsposition." Den Job zu behalten, rücke in den Vordergrund. Um sein Leben nicht mit etwas mehr als 400 Euro bestreiten zu müssen, erkauften sich Arbeitnehmer Jobsicherheit, indem sie Zugeständnisse beim Lohn machen. Das tun laut Jung vor allem Beschäftigte mit mittlerem Einkommen und jene, die schon lange im Beruf sind. Sie haben am meisten zu verlieren, weil ihr Lohn viel höher als Hartz IV ist - und sie selbst nach langem Berufsleben schneller aus dem Arbeitslosengeld auf sehr wenig Unterstützung fallen. Allein dieser Mechanismus reduzierte die Arbeitslosenrate laut Jung um 1,5 Prozentpunkte. "Gewinner sind die Unternehmen, die durch niedrigere Löhne höhere Profite haben. Verlierer Berufstätige vor allem zwischen 45 und 64, die weniger Lohn bekommen."

Der Jobboom ist mit Hartz IV allein nicht zu erklären

Fazit: Hartz IV reduzierte die Arbeitslosigkeit, aber mit Nebenwirkungen - und es erklärt den deutschen Jobboom nur zum geringeren Teil. Andere Effekte wie die Konjunktur oder bessere Stellenvermittlung (auch das eine Schröder-Reform) sind in der Summe wichtiger.

Inzwischen fordern immer mehr Politiker "eine große Reform von Hartz IV" - so auch Thomas Kutschaty, Chef der SPD-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen: "Hartz IV schürt Ängste, das darf kein Instrument der Arbeitsmarktpolitik sein." Kutschaty verlangt, die Sanktionen für Leistungsempfänger zu verringern und länger Arbeitslosengeld zu zahlen, wenn jemand lange im Beruf ist. Er will aber auch eine breitere Sozialreform: mit allgemeinverbindlichen Tarifverträgen und zwölf Euro Mindestlohn.

Dass in der Bundesregierung längst über eine Hartz-IV-Reform nachgedacht wird, machte Leonie Gebers deutlich, Staatssekretärin bei Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Heil habe bereits deutlich gemacht, "dass überzogene Sanktionen weg müssen", etwa die strengeren Strafen für unter 25-Jährige oder Kürzungen bei den Unterkunftskosten. "Das heißt aus unserer Sicht jedoch nicht, dass sämtliche Mitwirkungspflichten weg müssen. Wer Regeln etablieren will, muss in der Lage sein, die Einhaltung auch zu kontrollieren und Nichteinhaltung zu sanktionieren." Positive Anreize statt Bestrafungen lehnte Gebers zumindest bei Terminversäumnissen ab. "Auch der normale Arbeitnehmer muss Termine wahrnehmen und bekommt dafür keine Prämie", sagte sie. Denen sei es "schwer zu vermitteln", wenn Arbeitslose belohnt würden, nur weil sie pünktlich zu einem Termin erscheinen. Beim Thema Weiterbildung dagegen sprach sie sich für positive Anreize aus. Wichtiger als Sanktionen aber sei es, den Menschen die Angst vor großen Härten zu nehmen - etwa davor, ihr Haus oder ihre Wohnung zu verlieren. "Ich könnte mir Schutzfristen vorstellen für Menschen, die nur vorübergehend in Grundsicherung sind."

Peter Hartz übrigens, der damals seine Vorschläge am Gendarmenmarkt präsentierte, war später unglücklich darüber, wie das Konzept seiner Kommission umgesetzt wurde. Sie hatte damals mehr als 500 Euro Hartz IV im Monat vorgeschlagen, die Politik machte daraus zunächst nur 345 Euro. "Wir waren übrigens auch für einen Mindestlohn. Unser Abschlussbericht hatte 343 Seiten. Die Regierung hat jedoch nur einen Teil umgesetzt."

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