Hartz IV: Debatte über Mindestlöhne:Stundenlohn knapp über drei Euro

Die SPD macht ihre Zustimmung zu den neuen Hartz-IV-Sätzen von einer Diskussion über Mindestlöhne abhängig. Denn des gibt Vollzeit-Beschäftigte, die grotesk wenig verdienen.

S. Haas, M.Heckel und F. Heckenberger

SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert eine neue Debatte über Mindestlöhne. Auf einer Veranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Berlin machte Gabriel am Dienstag die Zustimmung der Sozialdemokraten zu Hartz IV im Bundesrat von solch einer Diskussion abhängig. "Man muss die Themen Hartz IV und Mindestlohn zusammen diskutieren. Da hat der Bundesrat eine schöne Aufgabe vor sich", sagte der Parteivorsitzende.

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Friseure in Brandenburg verdienen nur knapp drei Euro in der Stunde. Bei Vollbeschäftigung kommen sie damit auf einen Monatslohn von 550 Euro.

(Foto: ddp)

Man dürfe nicht künstlich Hartz IV wegen des Lohnabstandsgebots niedrig halten und das Thema Mindestlöhne verschweigen. Das Lohnabstandsgebot bedeutet, dass die staatliche Grundsicherung (Hartz IV) deutlich unter den Einkommen liegen soll, die in den unteren Lohngruppen am Arbeitsmarkt erzielt werden können. Gabriel hält auch eine großzügigere Freibetragsregelungen bei Hinzuverdiensten von Hartz-IV-Empfängern für falsch. Das führe nur zu einer Ausweitung des Niedriglohnsektors.

Die schwarz-gelbe Regierungskoalition hatte am Wochenende neue Regelsätze in der Grundsicherung für Arbeitssuchende und damit eine Anhebung des Arbeitslosengeld II für Erwachsene um fünf auf 364 Euro beschlossen. Ergänzend dazu bekommen Kinder und Jugendliche ein Bildungspaket als Sachleistung im Wert von jährlich bis zu 250 Euro je Kind. Dies umfasst etwa die Mitgliedschaft in einem Verein, Schulmaterial und Zuschüsse zu Schulausflügen.

Plädoyer für Mindestlöhne

Die Tarifexperten der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung plädieren vehement für Mindestlöhne. In zahlreichen westeuropäischen Staaten liege der bei mindestens 8,40 Euro pro Stunde, halten die Wissenschaftler der Politik entgegen.

In Deutschland würden dagegen fünf Millionen Arbeitnehmer maximal acht Euro pro Stunde erhalten. Dass einige Menschen sogar noch weniger verdienen, zeigt ein Blick ins Tarifarchiv der Hans-Böckler-Stiftung. Friseure in Brandenburg kommen demnach in der untersten Tarifgruppe auf einen Stundenlohn von knapp über drei Euro, im Monat macht das 515 Euro für einen Vollzeitjob. Wachleute in Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern steigen brutto bei etwa 750 Euro ein.

Die Koalitonsbeschlüsse haben daher die politische Debatte darüber wieder entfacht, ob es sich für Geringverdiener lohnt zu arbeiten. "Jeder, der arbeitet, steht besser da als ein arbeitsloser Hartz-IV-Empfänger. Selbst wer nur einen Minijob hat und 400 Euro im Monat verdient, hat 160 Euro mehr als ein Arbeitslosengeld-II-Empfänger ohne Job. Diese 160 Euro werden nämlich nicht von seinem Arbeitslosengeld II abgezogen", sagte Ulrich Walwei, Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg der Süddeutschen Zeitung.

325.000 "Aufstocker" in Vollzeit

Der Arbeitsmarktexperte gesteht ein, dass es ein Lohnabstandsproblem gibt. Allerdings werde es manchmal dramatisiert. "In vielen Beispielrechnungen werden Wohngeld, Kindergeld und Kinderzuschläge nicht einberechnet", so Walwei. "Wenn man all das berücksichtigt, entspricht das Arbeitslosengeld II rein rechnerisch, noch ohne Berücksichtigung der Hinzuverdienstregelungen, bei Alleinstehenden einem Nettolohn von weniger als vier Euro in der Stunde. Bei einer Alleinerziehenden liegt die Grenze bei fünf Euro. Wenn bei einem Paar mit zwei Kindern nur ein Elternteil arbeitet, dann verschiebt sich die Grenze auf rund sechs Euro", erläutert Walwei.

Im Januar dieses Jahres gab es mehr als 1,3 Millionen Menschen, die trotz Arbeit Geld von der Arbeitsagentur erhielten. Das passiert, wenn jemand trotz Beschäftigung nur ein Einkommen unterhalb der Grundsicherung hat.

Unter diesen "Aufstockern" sind etwa 325.000 Menschen, die Vollzeit arbeiten. Weitere 120.000 lassen sich ihr Gehalt aufstocken, obwohl sie selbstständig sind. Die anderen Bezieher arbeiten Teilzeit oder sind geringfügig beschäftigt.

Viele Niedrigverdiener im Gastgewerbe

Arbeitsmarktexperten vermuten, dass eine weitere halbe Million Menschen Anspruch auf die Leistungen vom Amt hätte, diesen aber aus Scham oder Unkenntnis nicht erhebt. Der Niedriglohnsektor beginnt laut dem Institut für Arbeit und Qualifikation bereits bei einem Bruttoverdienst von weniger als 9,06 Euro pro Stunde.

Diese Niedriglohngrenze beträgt zwei Drittel des mittleren Einkommens aller Arbeitnehmer. Einen besonders hohen Anteil von Niedrigverdienern sieht das Statistische Bundesamt im Grundstücks- und Wohnungswesen sowie im Gastgewerbe. Hier erhalten über 60 Prozent der Beschäftigten einen Lohn, der unter dieser Grenze liegt.

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