Hartz-IV-Empfänger:Drei Euro für zwei Beutel Lebensmittel

Der eine schreibt acht Bewerbungen im Monat, der andere lebt seit 30 Jahren aufs Staatskosten - ganz gut, wie er meint. Der Lebensalltag von Hartz-IV-Empfängern.

"359 Euro reichen zum Leben"

Hartz IV Arno Dübel oh

Arno Dübel

(Foto: Foto: oh)

Von Sibylle Haas

Arno Dübel ist im Moment wahrscheinlich der berühmteste Hartz-IV-Empfänger Deutschlands. Der 54-jährige Hamburger gibt Interviews und tritt in Talkshows auf. Seine Botschaft ist immer die gleiche: "Hartz IV reicht zum Leben." Mitte Januar war der gebürtige Hamburger zu Gast in der Sendung Menschen bei Maischberger - spätestens seither ist er vielen in Deutschland bekannt, andere Fernsehauftritte folgten. "Ich brauche nicht viel", erklärt Dübel. 359 Euro seien genug - so viel Geld bekommt Dübel momentan zum Leben. So hoch ist der Regelsatz, der Sozialhilfeempfängern das Überleben und eine Teilhabe an der Gesellschaft sichern soll.

Er sei bescheiden, kaufe Sonderangebote beim Discounter. "Ich backe mir mal eine Frikadelle oder mache eine Dose auf und esse eine Scheibe Brot dazu. Da werde ich doch satt", sagt Dübel. Es gehe ihm gut. Strom und die Miete für die Zwei-Zimmer-Wohnung würden doch auch vom Staat bezahlt. Was wolle er mehr. Zur Tafel in Wilhelmsburg, einer der vielen ehrenamtlichen Einrichtungen in Deutschland, die Bedürftige mit Lebensmitteln versorgen, gehe er nicht. Einmal sei er mit einem Freund dort gewesen. "Das war furchtbar. Es waren viele Frauen mit kleinen Kindern da. Da bekomme ich Mitleid. Ich lasse die Tafel denjenigen, denen es viel schlechter geht als mir", erklärt er. Solche Sätze lassen den Mann solidarisch rüberkommen.

Doch Arno Dübel hat auch eine andere Seite. Er lebt seit mehr als 30 Jahren auf Staatskosten - ganz einfach deshalb, weil er das so will. Er hat es sich in der Grundsicherung eingerichtet und es nie länger als drei Wochen in einer Firma ausgehalten. "Die Jobs sind mir zu stressig oder die Kollegen zu blöd", sagt er. Mal füllte er Regale im Supermarkt auf, mal arbeitete er im Lager. Dann geht er zum Arzt und lässt sich krankschreiben, weil es ihm oft nicht gut geht.

Angefangen hat die Karriere vor 35 Jahren. Dübel war in der Lehre zum Maler und Tapezierer. Es kam zum Streit mit dem Chef, weil der wollte, dass er sich die Haare schneiden lässt. "Ich lasse mir doch so was nicht diktieren", erklärt Dübel, es kam zum Rausschmiss. Den langen Zopf hat er noch heute. "Es war so einfach", so Dübel. Alle zwei Wochen sei er zum Sozialamt gegangen, um sich die Sozialhilfe von damals 87 DM abzuholen. "Ich habe das so laufen lassen." Und so läuft es im Grunde noch heute.

Den Vorstoß des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, der eine verschärfte Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger in die politische Debatte gebracht hat, findet Dübel "doof". "In diesem Alter bekommt man eh keinen Job mehr", meint er. Was hält er davon, Parks zu säubern als solidarischen Beitrag? "Für einen Ein-Euro-Job mache ich mich nicht kaputt. Da bin ich tot besser dran." Arno Dübel bleibt hartnäckig.

Acht Bewerbungen sind Pflicht

Acht Bewerbungen sind Pflicht

Hartz IV Jochen Vogel privat

Jochen Vogel

(Foto: Foto: privat)

Von Varinia Bernau

Einen ganzen Staat hat Jochen Vogel schon zusammenbrechen sehen. Seine eigene Firma musste er dichtmachen. Die Kündigungen, die er erhalten hat, zählt er nicht mehr. Und die Absagen, die er auf Bewerbungen erhält, erst recht nicht. Aber Jochen Vogel, 45 Jahre alt, ein breites Kreuz, kräftiger Händedruck, gibt nicht auf.

Eine Lehre als Landmaschinenschlosser hat er einst gemacht, im östlichen Zipfel von Sachsen, unweit der polnischen Grenze. Doch Landmaschinenschlosser braucht dort heute niemand mehr. Und mit dem Fernstudium zum Landwirt, das er Ende der achtziger Jahre begonnen hatte, war's aus, nachdem erst die DDR und dann die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft am Ende war. Fünf Jahre lang hat Vogel später gemeinsam mit seinem Schwager einen Blumengroßhandel betrieben, sich danach als Kraftfahrer durchgeschlagen und bei einigen Zeitarbeitsfirmen.

"Arbeit gibt es genügend, aber die Bezahlung stimmt einfach nicht", sagt er. Seit sieben Jahren hangelt sich Vogel mittlerweile von der Arbeitslosigkeit zur Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und von der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zur Arbeitslosigkeit. Eigentlich, sagt er, habe Guido Westerwelle durchaus recht, wenn er wettere, dass der, der arbeitet, mehr verdienen müsse, als der, der nicht arbeitet.

Aber deshalb die Hartz-IV-Sätze zu senken, das sei so, als wolle man den zweiten vor dem ersten Schritt machen. Vogel kennt in der grenznahen Gegend, wo selbst Wohlfahrtsverbände und kommunale Träger die Löhne drücken, genügend Leute, die Arbeit haben, aber davon nicht leben können. Wie sollen also die leben, die keine Arbeit haben?

Acht Bewerbungen muss Jochen Vogel im Monat verschicken - das ist die Vorgabe von der Arbeitsagentur. Doch so langsam weiß er nicht mehr, wohin er die noch senden sollte. Wenn er in den Nachrichten sieht, wie sich Politiker ins Zeug legen, um Opel zu retten, dann denkt er sich: Bei uns ist das schon durch, bei uns gibt's nichts mehr zu retten.

Die Arbeitslosenquote in der Region liegt bei 16 Prozent. Jochen Vogel fühlt sich abgeschrieben. Und er fühlt sich abgestempelt - als fauler Typ, der es sich in der sozialen Hängematte gemütlich gemacht hat. Dabei lässt er sich eben nicht hängen: An zwei Tagen in der Woche trägt er Zeitungen und Prospekte aus. Drei Stunden lang zu Fuß, bei jedem Wetter. Um sich zum Regelsatz von monatlich 359 Euro noch 60 Euro dazuzuverdienen. Und vor allem um eine Aufgabe zu haben.

Im Januar ließ die Überweisung des Hartz-IV-Satzes lange auf sich warten. Wegen technischer Probleme, wie es bei der Arbeitsagentur hieß. Also hat Vogel immer wieder dort angerufen, ist persönlich vorbeigegangen, weil sich der Kontostand schon gegen null neigte. Er weiß wohl, dass längst nicht jeder so hartnäckig ist. Ach, der "Fall Vogel", so haben sie ihn schon bei der Behörde begrüßt. Das hat ihm zu denken gegeben: "Ich bin doch ein Mensch."

"Eigentlich kann ich mehr"

"Eigentlich kann ich mehr"

Von Bernd Dörries

Klaus Overhoff sagt, die Hoffnung gebe er nicht auf. Trotz seines Alters. Oder gerade deswegen. Die Zeit arbeitet gegen ihn, er ist schon 54 Jahre alt. Die Zeit arbeite aber auch für ihn, sagt Overhoff. "Durch die Altersstruktur der Bevölkerung gibt es bald zu wenig Fachkräfte."

Und Overhoff aus Mannheim kennt sich ja in vielen Fächern aus. Er hat Soziologie studiert, und weil er wusste, dass es damit allein schon schwierig wird auf dem Arbeitsmarkt, hat er noch einen Diplom-Exportwirt drangehängt, das klang nach einer soliden Mischung aus Neigung und Vernunft.

Heute arbeitet Overhoff meist in Callcentern. "Obwohl ich eigentlich mehr kann", sagt er. Er würde gerne als Soziologe arbeiten, oder bei einem Meinungsforschungsinstitut, aber dort seien die Stellen sehr rar im Moment. "Die Suche gestaltet sich schwierig seit der Finanzkrise", sagt er. Und auch bei den Callcentern ist es schwieriger, vor einigen Monaten wurde ihm betriebsbedingt gekündigt.

Mannheim ist ein schwieriges Pflaster, selbst im reichen Baden-Württemberg. Eine strukturschwache Region mit hoher Arbeitslosigkeit. Von Roland Koch hat Overhoff gehört, dass man diese Hartz-IV-Empfänger doch zum Arbeiten zwingen müsse. Und er hat es als "dumm und ungerecht" empfunden, was Koch da gesagt hat.

Overhoff will ja arbeiten, nichts lieber als das. Wie gesagt, Hoffnung habe er immer. Also macht er Fortbildungen in Projektmanagement und Betriebswirtschaft. Er steht jeden Tag um acht Uhr auf, schaut sich die Stellenangebote in den Zeitungen und im Internet an. Er geht zum Arbeitsamt und lässt sich Stellen zeigen. Und jede Woche verschickt er etwa drei Bewerbungen, sagt er.

Und da noch etwas Zeit übrig bleibt, arbeitet er ehrenamtlich für die Arbeitslosenhilfe. Wenn die Wirtschaft sich erhole, sehe es für ihn auch wieder besser aus, sagt Overhoff. Die Zeit arbeite ja für ihn, nicht dagegen.

Mit jedem Nein wachsen die Zweifel

Mit jedem Nein wachsen die Zweifel

Von Wolfgang Luef

Michaela Lassnig verschickt sechs Bewerbungsbriefe im Monat, doch sie hat die Hoffnung auf eine Zusage fast schon aufgegeben. "Die Absagen sind ja meist ganz nett formuliert", sagt die 35-Jährige. Aber bei jedem neuen "Nein danke" wächst der Zweifel: "Alle wollen jemanden mit viel Berufserfahrung. Die hab ich einfach nicht", sagt sie.

Sie hat in ihrem Leben nie lange im selben Beruf gearbeitet. Und auch eine Ausbildung fehlt ihr: Die Schule hat sie nach der zehnten Klasse verlassen, zwei angefangene Lehren brach sie wieder ab, die als Konditorin wegen einer Allergie, die als Verkäuferin wegen ihrer ersten Schwangerschaft.

Nun ist Maria Lassnig 35, lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren drei Töchtern in der Nähe von München und bezieht seit zwei Jahren Hartz IV. Sie bewirbt sich als Zimmermädchen, Putzfrau, Verkäuferin, Sekretärin - für all jene Berufe also, die sie entweder ohne Ausbildung antreten kann, oder für die sie vom Arbeitsamt umgeschult wurde. "Langsam gehen mir aber die Ideen aus", sagt sie. Ihren wirklichen Namen möchte sie ebenso wenig in der Zeitung sehen wie ihr Foto - denn ihre drei Töchter hätten es jetzt schon schwer genug.

Die Älteste ist 16 Jahre alt, ein Problemkind; sie hat die Schule geschmissen, nun absolviert sie ihr Berufsvorbereitungsjahr. Ein Praktikum wollte auch ihre Mutter machen, und zwar bei der Stadtverwaltung, unbezahlt: "Da hätte ich Erfahrung sammeln können." Doch die Arge winkte ab: Unbezahlte Arbeit über mehrere Monate, das komme nicht in Frage.

Also sitzt Lassnig weiterhin zu Hause und wartet. Dabei sei sie nie eine Stubenhockerin gewesen, sagt sie. Nun aber fühlt sie sich vom sozialen Leben ausgeschlossen. "Was soll ich denn machen? Einmal schön abends ausgehen? Einen Ausflug machen? Einen Shopping-Tag?" Koste doch alles Geld. Und das heißt: Es kommt nicht in Frage.

"Ich bringe meine Jüngste in den Kindergarten, ich koche. Das war's." Und sie sieht zu, dass sie finanziell über die Runden kommt. Inklusive Kindergeld und Unterhalt bekommt sie 1100 Euro im Monat. Strom, Gas, Telefon, Kleidung und Essen für vier Personen, die Schulsachen für die Kinder: Da bleibe kaum mehr etwas übrig.

Wenn am Monatsende einmal 50 Euro fehlen, kann sie auf ihre Mutter zählen. "Ich bitte sie nicht oft um Geld", sagt Lassnig. "Und außer meiner Mutter würde ich auch niemanden fragen." Michaela Lassnig ist nicht gerne Bittstellerin. Und doch kann sie meist nicht anders.

Die Gymnastikstunden für ihre Tochter zahlt eine soziale Einrichtung, die Kaution für die neue Wohnung, in die sie in wenigen Wochen umziehen wird, kam aus Spenden an die Lokalzeitung zusammen, die Umzugskosten übernimmt eine Tochterorganisation des Jugendamtes. Wenn die Mädchen auf Klassenausflug fahren wollen, bittet sie die Arge um Hilfe.

Trotzdem zahlt sie ihren beiden älteren Kindern 15 Euro Taschengeld monatlich. "Dafür muss mein Einkommen einfach reichen", sagt sie. Als sich ihre älteste Tochter zum 16. Geburtstag ihr erstes Handy wünschte, sparte die Mutter das Geld monatelang zusammen. Ein Handy ging sich aus. Aber bloß ein billiges. Billiger als jene Modelle, das ihre Mitschüler bekommen hatten. Das Mädchen sei enttäuscht gewesen. "Aber sie hat es verstanden. Sie weiß ja, dass ich ihr das nicht bieten kann."

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