Hartz IV: Eine Million Bescheide falsch:Armes, böses Erwachen

Geld-Zurück-Aktion auf bürokratisch: Die Bundesagentur für Arbeit fordert in mehreren hunderttausend Fällen Kleinbeträge von Hartz-IV-Beziehern zurück.

Oliver Bilger und Felix Berth

Die Bundesagentur für Arbeit muss in mehreren hunderttausend Fällen Kleinbeträge von Hartz-IV-Beziehern zurückfordern. Dieser bürokratische Aufwand entsteht durch die Erhöhung des Kindergeldes vom Januar 2010, bei der die Bundesregierung versäumt hat, das Sozialrecht anzupassen.

Kind in sozial schwierigen Verhältnissen, Foto: AP

Kind in sozial schwierigen Verhältnissen: Der Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, fordert direkte Finanzhilfen für Kinder von Hartz-IV-Empfängern.

(Foto: Foto: AP)

Eltern, die Hartz-IV-Leistungen beziehen, sollen nach dem Willen der Bundesregierung nicht von der jüngsten Kindergeld-Erhöhung profitieren. Für sie gilt, dass die Erhöhung um zwanzig Euro pro Kind auf das Sozialgeld der Arbeitsagenturen angerechnet wird.

Das bedeutet, dass diese Eltern mehr Kindergeld bekommen, aber weniger Hartz-IV-Leistungen erhalten. Netto ändert die Kindergeld-Erhöhung an ihrem Budget also nichts.

Immenser Mehraufwand

Allerdings legen die Arbeitsagenturen für diese Eltern im voraus fest, wie viel Geld ihnen in den nächsten Monaten überwiesen wird. Im Dezember 2009 ergingen mehrere hunderttausend Bescheide, die für Januar 2010 gelten.

Weil nun im Januar das Kindergeld stieg, haben Hartz-IV-Eltern einmalig zu viel Geld erhalten. Der Bremer Sozialwissenschaftler Paul Schröder erwartet nun immensen Mehraufwand für die Arbeitsagenturen: "Die Bundesagentur für Arbeit arbeitet an der größten Geld-Zurück-Aktion in ihrer Geschichte", sagt er.

Alle Bewilligungen von Leistungen zum Lebensunterhalt aus dem vergangenen Jahr, die in das neue Jahr hinreichten, müssten nun überprüft werden. Die bewilligten Leistungen müssten um 20 Euro pro Kind reduziert werden, sagte Schröder, Chef des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe.

Kosten noch unklar

"Da die Leistungen zum Lebensunterhalt monatlich im Voraus überwiesen werden, müssen bereits ausgezahlte Leistungen für Januar 2010 zurückgefordert werden." Davon betroffen seien wohl mehr als eine Million Hartz-IV-Haushalte, schätzt Schröder.

Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg bestätigte das Problem. Die betroffenen Hartz IV-Familien erhalten einen Rückforderungsbescheid, sagte eine Sprecherin am Freitag.

Ob die Familien das Geld zurückzahlen müssen oder eine Verrechnung mit der nächsten Zahlung der Arbeitsagenturen erfolgt, konnte sie auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung nicht sagen.

Unklar blieb zunächst auch, wie viele Hartz-IV-Empfänger betroffen sind und welche Verwaltungskosten für die Arbeitsagenturen entstehen.

Zahlreiche Widersprüche erwartet

Eine Vorstellung von den Kosten der Rückforderungen gab Thomas Lenz, Chef der Arge in Wuppertal, die dort für 45.000 Hartz-IV-Empfänger zuständig ist.

Er erwartet zahlreiche Widersprüche, die seine Mitarbeiter in nächster Zeit zu bewältigen haben, wenn 18.000 Haushalte per Post erfahren, dass ihnen wegen der Kindergelderhöhung die Leistungen gekürzt werden.

"Die Erhöhung des Kindergeldes müssen wir nachträglich für Januar auf das Arbeitslosengeld II anrechnen - das ist ein riesiger Verwaltungsaufwand", sagte Lenz der Westdeutschen Zeitung.

Alles von Hand zu ändern

Jede Rückforderung koste die Arge 80 Euro, der Verwaltungsaufwand belaufe sich damit insgesamt auf 144.000 Euro. Dabei gehe es bei den Rückforderungen um kleinere Beträge von etwa 50 Euro. "Wir müssen das alles von Hand ändern", sagte Lenz. Er findet diesen Vorgang "absurd".

Als die große Koalition ein Jahr vorher, im Januar 2009, das Kindergeld erhöhte, vermied die Regierung mit einer Übergangsregelung den heutigen Verwaltungsaufwand. Das zu viel gezahlte Geld wurde nicht von den Eltern zurückgefordert.

Schröder hatte bei Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) um eine ähnlich großzügige Regelung bei der aktuellen Kindergeld-Erhöhung gebeten. Das Bundesarbeitsministerium erklärte, eine Übergangslösung hätte zu Ungerechtigkeiten unter den Empfängern geführt und sei wegen der kurzen Vorlaufzeit nicht möglich gewesen.

Der Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, forderte unterdessen direkte Finanzhilfen für Kinder von Hartz-IV-Empfängern. "Auf die spezifischen Lebenslagen von Kindern geben wir nicht mehr die richtigen Antworten", sagte Kauder der Rheinischen Post.

Richterrüge erwartet

"In der alten Sozialhilfe hatten wir die Hilfe zum Lebensunterhalt als Regelleistungen und daneben Hilfe in besonderen Lebenslagen. Heute wird stattdessen ein Einheitsbetrag gezahlt", sagte der CDU-Politiker.

Als Beispiel nannte Kauder Kosten für Klassenfahrten. In den Bedarfssätzen seien einmalige Ausgaben für besondere Feiern abgedeckt. Viele Familien seien aber nicht in der Lage, das Geld dafür zurückzulegen.

Wie am Freitag bekanntwurde, will das Bundesverfassungsgericht am 9. Februar sein Urteil über die Hartz-IV-Sätze für Kinder verkünden. Erwartet wird, dass die Richter die Höhe der Sätze sowie deren Berechnung rügen.

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