Hartz IV:Die falsche Therapie

Koch hat zu Recht eine Hartz-IV-Debatte angestoßen. Das Land braucht eine Diskussion über das System der Grundsicherung, weil immer noch zu viel falsch läuft.

Thomas Öchsner

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch ist ein Politiker, der weiß, was beim Publikum gut ankommt. 1999 gewann er die Wahlen mit einer Unterschriftenliste gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und bediente dabei bewusst ausländerfeindliche Ressentiments. Nun hat Koch einen Feldzug für die Reform von Hartz IV gestartet. Wer ihm deshalb gleich unterstellt, der CDU-Politiker betreibe mal wieder Hetze, und diesmal seien die armen Arbeitslosen dran, macht es sich aber zu einfach.

Bundesagentur für Arbeit, Hartz IV, dpa

Roland Koch will die Arbeitspflicht für die Erwerbslosen verschärfen - und fordert mehr öffentliche Arbeitsplätze.

(Foto: Foto: dpa)

Koch will die Arbeitspflicht für die Erwerbslosen verschärfen. Er fordert mehr öffentlich geförderte Arbeitsplätze. Er sagt, dass das Strafsystem gegen unwillige Hartz-IV-Empfänger Mängel habe. Und er spricht sogar von der "Perversion des Sozialstaatsgedankens", weil es sich viele in dem System der Grundsicherung gut eingerichtet hätten, während Millionen Menschen in Deutschland hart arbeiten müssten, um etwa das Gleiche zu verdienen wie ein Langzeitarbeitsloser.

Dabei handelt es sich nicht nur um billigen Populismus. Das Land braucht eine Debatte über das System der Grundsicherung, weil hier auch fünf Jahre nach der Einführung noch zu viel falsch läuft. Mit seinen Vorschlägen befindet sich Koch allerdings zum Teil auf dem Holzweg. Schärfere Sanktionen sind zum Beispiel überflüssig. Jeder Arbeitslose muss schon jetzt damit rechnen, dass er geringere Leistungen erhält, wenn er sich nicht arbeitswillig zeigt. Nötig sind jedoch klarere Gesetze und besser ausgebildete Mitarbeiter in den Jobcentern, damit in Zukunft die Sozialgerichte nicht mehr jede zweite Strafe wieder einkassieren müssen.

Völlig unrealistisch ist auch Kochs Forderung, einen großen Teil der Hartz-IV-Empfänger in gemeinnütziger Arbeit unterzubringen. Erstens gibt es dafür nicht genug Jobs. Zweitens hätte dies enorme Folgekosten, weil irgendjemand solche Arbeiten organisieren und überwachen muss. Drittens besteht die Gefahr, dass dadurch Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt ihre Stelle verlieren.

Wenn der CDU-Mann von Fehlanreizen in dem Hartz-IV-System spricht, hat er aber Recht. Bislang lohnt es sich für einen Arbeitslosen kaum, einen gering bezahlten Job mit möglichst vielen Stunden anzunehmen, weil der Großteil des Mehrverdienstes mit dem Arbeitslosengeld II verrechnet wird. Außerdem gibt es bei dem Lohnabstandsgebot zumindest teilweise eine Schieflage. Das gilt vor allem für langzeitarbeitslose Großfamilien mit zwei, drei oder mehr Kindern. Ein Alleinverdiener mit einem Durchschnittsverdienst oder darunter hat netto, wenn überhaupt, nur wenige hundert Euro mehr in der Tasche als die vergleichbare Hartz-IV-Familie. Selbst Mindestlöhne würden daran nichts ändern. Das Geld allein kann so kaum als Anreiz dienen, eine Arbeit aufzunehmen.

Trotzdem wird das Bundesverfassungsgericht wohl bald auf eine Anhebung der Hartz-IV-Sätze für Kinder pochen. Das ist prinzipiell richtig, weil die Bundesregierung diese Leistungen bislang völlig willkürlich festgesetzt hat. Das Problem der Fehlanreize wird sich dadurch jedoch noch verstärken.

Einen Ausweg zu finden, ist schwierig, solange der Niedriglohnsektor immer größer wird. Nicht die Hartz-IV-Sätze sind zu hoch. Das Problem ist, dass immer weniger Menschen von ihrer Arbeit leben, geschweige denn eine Familie allein ernähren können. Das Modell "Alleinverdiener mit Frau", die sich zu Hause um die Kinder kümmert, ist in vielen Haushalten finanziell nicht mehr tragfähig. Nötig sind deshalb neue Anreizsysteme, damit sich Arbeit für alle Jobsuchenden lohnt. Genauso wichtig wären mehr Krippenplätze und längere Öffnungszeiten in Kindergärten, nicht nur damit Alleinerziehende oder beide Elternteile leichter arbeiten können: Arbeitslosigkeit wird in vielen Familien vererbt. Wer aber gut ausgebildet ist, wird seltener arbeitslos. Und die Bildung beginnt in den Kitas.

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