Hans Tietmeyer:Der letzte Hüter der D-Mark ist tot

Dr. Hans Tietmeyer

Tietmeyer wurde 1993 Präsident der Bundesbank

(Foto: Regina Schmeken/SZ Photo)

Hans Tietmeyer gestaltete maßgeblich die deutsche Wiedervereinigung mit - und die Einführung des Euro.

Nachruf von Marc Beise

Einen wie ihn hat es nicht noch einmal gegeben. Eine Legende, das sagt man schnell daher, wenn einer davongegangen ist, der seit Jahrzehnten auf seinem Gebiet wichtig war, der im Leben vieler Menschen ein Fixpunkt war. Hans Tietmeyer, geboren am 18. August 1931 in Metelen/Westfalen, ist eine wirtschafts- und währungspolitische Legende, ein deutscher Politiker und Beamter und Notenbanker, zu seiner aktiven Zeit bekannt und angesehen in der ganzen Welt. Sein Wirkkreis spann sich von Ludwig Erhard bis ins 21. Jahrhundert, von der D-Mark bis zum Euro, und dazwischen lag die deutsche Wiedervereinigung. Theo Waigel, 77, Bundesfinanzminister von 1989 bis 1998 und Vater des Euro, dem er lange zugearbeitet hat, nennt den Älteren einen "Solitär".

Ludwig Erhard: Der Vater des Wirtschaftswunders war sein Minister, als Hans Tietmeyer im Jahr 1962 im Bundeswirtschaftsministerium als Hilfsreferent für Grundsatzfragen der Wirtschaftspolitik begann, in der Großen Koalition folgte der Sozialdemokrat Karl Schiller, der den CDU-Politiker, der sich auch für Funktionen im Ortsverein Bad Godesberg nicht zu schade war, förderte und beförderte. Tietmeyer erlebte drei CDU-Kanzler und den Wechsel zum Sozialdemokraten Willy Brandt. In der sozialliberalen Koalition galt er als das ordnungspolitische Gewissen der Regierung. Am Partnerwechsel der FDP von der SPD zur CDU und dem Sturz des Bundeskanzlers Helmut Schmidt war er, sagen wir: nicht unbeteiligt.

Am Sturz des Bundeskanzlers Schmidt war er, sagen wir: nicht unbeteiligt

Zwar ist es nicht ganz richtig, wenn es gerne heißt, Tietmeyer sei der Autor des berühmten "Wendepapiers" von 1982 gewesen, mit der der FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff das Ende der sozialliberalen Koalition einläutete, aber es ist auch nicht ganz falsch. Tietmeyer hat das Papier nicht alleine "geschrieben", aber er war, das kann man wohl sagen, inhaltlich maßgeblich beteiligt. Was angesichts des Umstandes, dass der Beamte Tietmeyer immer den Primat der Politik anerkannt hat, überraschen mochte - nicht aber, wenn man seinen Lebenslauf und seine Ansichten in Betracht zieht.

Der in Münster, Bonn und Köln ausgebildete promovierte Volkswirt war ein Ökonom der klassischen Schule: ein überzeugter Anhänger der Marktwirtschaft, stabilitätsorientiert, mit Blick auf die Angebotsseite, also die Rahmenbedingungen für Unternehmen - und skeptisch gegenüber zu viel Staatseinfluss und überschießenden Sozialleistungen. Derart vorgeprägt und ausgestattet mit einer der Herkunft geschuldeten westfälischen Dickschädeligkeit wird Tietmeyers Engagement in der Wendezeit der späten Achtzigerjahren verständlich.

In der neuen CDU/CSU/FDP-Koalition unter Helmut Kohl wechselte Tietmeyer als einer von zwei beamteten Staatssekretären zu Finanzminister Gerhard Stoltenberg (CDU). Nun war er für die harten Sachen zuständig, für Privatisierung, Geld- und Kreditwesen und die besonders komplizierten internationalen Finanz- und Währungsbeziehungen. Als Sherpa bereitete er für Kanzler Kohl die jährlichen G-7-Treffen der größten Volkswirtschaften vor. Bei wichtigen Abkommen zur Stabilisierung des weltweiten Wechselkursgefüges (die Fachleute sprechen vom Plaza- und vom Louvre-Abkommen) spielte er international eine Schlüsselrolle.

Er entkam der RAF mit durchschossenen Reifen

Solche Aufgaben konnten einen damals ins Fadenkreuz des Terrorismus bringen, aber Tietmeyer hatte mehr Glück als Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer: Während dieser im sogenannten deutschen Herbst 1977 von der RAF entführt und ermordet wurde, entkamen Tietmeyer und sein Fahrer bei einem Anschlag im September 1988 mit durchschossenen Reifen.

Als im Jahr darauf der CSU-Mann und Kohl-Vertraute Theo Waigel Finanzminister wurde, den die Auflösung der DDR, neue Machtverhältnisse zwischen Ost und West und veränderte internationale Konstellationen extrem forderten, machte ihn Tietmeyer in Tages- und Nachtsitzungen für die Aufgabe fit. Waigel erinnert sich, wie er abends im Privathaus seines Staatssekretärs über all den Informationen auf dem Stuhl einnickte, Tietmeyer aber unerbittlich weiter vortrug, bis der junge Minister wieder aufwachte und sich orientieren musste: Eine Wiederholung für die verpassten Passagen kam nicht infrage.

Anders als sein ehemaliger Vize hat sich Tietmeyer nie vom Euro distanziert

1990 wechselte Tietmeyer auf eigenen Wunsch zur Deutschen Bundesbank, erst als zweiter Mann, 1993 als siebter Präsident. Er war der letzte Hüter der Währung, der noch über die ganze Macht der D-Mark gebot - und er war ab 1999 der erste deutsche Vertreter im EZB-Rat, der mit über die neue europäische Währung wachte.

In den aufregenden Jahren dazwischen webte er maßgeblich am Euro mit, entschied im Einklang mit Waigel, dass er 1997 noch nicht kommen sollte, weil es noch keine ausreichende Stabilitätskultur gab, hielt aber die Einführung 1999 für vertretbar; so ist es ja dann auch gekommen. Dass der Euro sich später nicht als Katalysator eines vereinigten Europas entpuppte, sondern zum Problem wurde, dass immer mehr Staaten gegen ihre Versprechungen verstießen, dass sie - auch Deutschland selbst - den Stabilitätspakt missachteten, entsprach nicht Tietmeyers Erwartung und Wunsch; daran hat er gelitten.

Anders aber als sein ehemaliger Bundesbank-Vize Jürgen Stark hat sich Tietmeyer auch nach seiner aktiven Zeit nie vom Euro distanziert, schon gar nicht hätte er den Austritt Deutschlands aus der Währungsunion oder Fundamental-Klagen gegen den Euro vor dem Bundesverfassungsgericht unterstützt. Theo Waigel, der langjährige Wegbegleiter, ist überzeugt, dass Tietmeyer immer auch die politischen Konsequenzen eines Scheiterns des Euro gesehen und gefürchtet hat: "Er ist uns nicht von der Fahne gegangen, ganz sicher nicht", sagt Waigel heute.

Als Notenbanker stand Tietmeyer für eine konservative, stabilitätsorientierte Linie, auch angesichts wachsender Arbeitslosigkeit. Sozialdemokraten und Linke arbeiteten sich an ihm ab. Tietmeyer focht das nicht an, er redete gegen die Schuldenmacherei, forderte Einsparungen in den Sozialsystemen, größere Leistungsanreize, eine Konzentration des Staates auf seine Kernbereiche. Er scheute keinen Konflikt, wenn es galt, die Unabhängigkeit der Notenbank zu manifestieren.

Nach seiner aktiven Zeit engagierte er sich in Tietmeyer in Aufsichtsräten von Unternehmen und in Verbänden. Zuletzt wurden seine Auftritte seltener, erkennbar wurde er schwächer. "Westfälische Eichen können schon einiges aushalten", hat er einmal gesagt - aber auch Eichen altern. Nur seine Handschrift nicht, erinnert sich Theo Waigel. Bis zuletzt hatte Tietmeyer eine schöne, klare Schrift, das ist nicht jedem gegeben.

Am Dienstag ist ihr früherer Präsident, wie die Bundesbank mitteilt, im Alter von 85 Jahren gestorben.

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