Hannover-Messe: ZVEI-Präsident Loh:"Unter Generalverdacht"

ZVEI-Präsident Friedhelm Loh ärgert sich über die Kritik an Managern, die er für undifferenziert hält. Auch beim Thema Atomkraft stellt sich der Unternehmer gegen die öffentliche Abwehrhaltung.

Björn Finke

An das Chefbüro schließt sich eine beeindruckende Dachterrasse an, von der man über das mittelhessische Städtchen Herborn schaut. Das Gespräch mit Friedhelm Loh, 64, findet dann aber doch im Büro statt, nicht draußen. Eigentlich steht sein Schreibtisch ohnehin im Nachbarort Haiger. Dort ist die Zentrale der Friedhelm-Loh-Gruppe. Er ist Vorstandschef und Inhaber des Konzerns mit mehr als 11.000 Mitarbeitern und 2,2 Milliarden Euro Umsatz. Doch in Herborn sitzt die wichtigste Firma des Konglomerats, Rittal, Weltmarktführer bei Schaltschränken. Loh fährt häufig hin und her zwischen seinen Zentralen. An diesem Montag ist er aber auf der Hannover Messe. Bei der größten Industrieschau der Welt spricht er als Präsident des deutschen Elektrotechnik-Verbands ZVEI über die Branchenkonjunktur.

Hannover-Messe: ZVEI-Präsident Loh: Friedhelm Loh hat seine Unternehmensgruppe erfolgreich durch die Wirtschaftskrise geführt.

Friedhelm Loh hat seine Unternehmensgruppe erfolgreich durch die Wirtschaftskrise geführt.

(Foto: ZVEI)

SZ: Herr Loh, am Sonntagabend wurde die Hannover Messe eröffnet, Ihr Unternehmen Rittal feiert dort 50-jähriges Bestehen. Sie haben die Firma nach dem Tod Ihres Vaters 1974 übernommen, mit gerade mal 28 Jahren. Waren Sie dem so jung überhaupt schon gewachsen?

Loh: Nein, nicht sofort. Das war nicht einfach. Ich hatte bis dahin nicht als Unternehmer gearbeitet, hatte jedoch Freude daran, gestalten zu können. Ich musste mich schnell einarbeiten. Und die Manager mussten sich erst mit dem neuen jungen Mann an der Spitze arrangieren.

SZ: Sie hatten auch nicht gerade den klassischen Manager-Lebenslauf hingelegt. Noch nicht mal Mittlere Reife, eine Lehre als Starkstromelektriker. Erst über den zweiten Bildungsweg haben Sie Betriebswirtschaft studieren können.

Loh: Stimmt, ich bin ein Hoffnungsträger für schlechte Schulabgänger. Ich war einfach kein Schülertyp, eher ein Lausbub, aber Technik hat mich immer fasziniert. Das war schon so, wenn ich als Kind in der Fabrik meines Vaters rumgelaufen bin. Und die Praxis interessiert mich noch heute. Ich will die Arme selbst in der Ölwanne haben, ich will mich in Probleme im Betrieb tief einarbeiten.

SZ: Steckt diese Faszination hinter Ihrer Sammelleidenschaft für Oldtimer?

Loh: Es ist bewundernswert, was unsere Väter und Großväter mit ihren Mitteln entwickelt haben. Wenn Sie sich einen Rennwagen aus den 50er Jahren ansehen: Hut ab, was die Ingenieure damals geleistet haben. Ich liebe die Technik dieser Autos.

SZ: Gibt es einen Lieblings-Oldtimer?

Loh: Nein, aber wenn Sie bei traumhaftem Wetter mit einem schönen offenen Vorkriegswagen durch die Landschaft fahren: Das ist das Glücksgefühl schlechthin.

SZ: Sie übernahmen eine Firma mit 200 Mitarbeitern, nun haben Sie mehr als 11.000. Was haben Sie anders gemacht als Konkurrenten?

Loh: Innovationskraft und Geschwindigkeit sind wichtig. Wenn Sie besser und schneller sind, sind Sie der Sieger - im Sport wie in der Industrie. Und es gibt eben unterschiedliche Arten, wie man ein Unternehmen führt: Mut und Risikofreude sind nicht gleich verteilt unter den Menschen. Sie müssen immer wieder neugierig sein und Neues versuchen. Nicht alles klappt, es gab eine ganze Reihe von Dingen, die wir angefangen hatten und bei denen wir dann erkannten: Das bringt nichts. Wir haben etwa Patente angemeldet, die wir toll fanden, die der Markt aber nicht wollte. Doch wenn Sie am Ende öfter gewinnen als verlieren, haben Sie Erfolg.

SZ: Wäre Ihre Firma börsennotiert, würden Misserfolge direkt negative Analystenkommentare nach sich ziehen ...

Loh: Ja, als Familienunternehmer haben Sie mehr Freiheit. Dieser permanente Druck der Öffentlichkeit bei börsennotierten Konzernen macht es schwer, einen langen Atem zu zeigen. Und Sie sind als Familienunternehmer viel schneller, bei uns gibt es nicht so viele Aufsichtsgremien, mit denen das Management sich besprechen muss.

"Nur die Starken können den Schwachen wirklich helfen"

SZ: Vor zwei Jahren durchlebte Deutschland die schlimmste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Auch Ihre Gruppe hat Mitarbeiter entlassen. Hat die Erfahrung etwas verändert?

Loh: Wir sind fast 50 Jahre gewachsen, und auf einmal bricht der Umsatz um mehr als ein Drittel ein - das war hart. Doch auch wenn Angst ein schlechter Ratgeber ist, sie ist ein guter Motivator: Wir haben schnell viel umgebaut, haben antizyklisch ins Marketing investiert und dann selbst 2009 in keinem Monat Verlust gemacht. 2010 ist die Gruppe wieder sehr stark gewachsen. Aber wir haben gelernt, dass Wachstum nicht selbstverständlich ist. Und dass wir auch mit solchen Situationen umgehen können.

SZ: Wie reagierten die Mitarbeiter?

Loh: Als das Geschäft im zweiten Quartal 2009 geradezu abgestürzt ist, blieb niemand mehr gelassen, da sind wir alle mit Sorgen nach Hause gegangen. Wichtig sind dann Ehrlichkeit und Offenheit. Wir haben viel informiert, aber wahrscheinlich informiert man nie genug in einer solchen Situation.

SZ: Es geht wieder aufwärts, auf der Hannover Messe wird die Stimmung gut sein. Aber wie wichtig ist die Messe noch? Ist das Konzept einer unübersichtlichen Riesenmesse nicht überholt?

Loh: Nein, die Hannover Messe ist das wichtigste Industrie-Treffen weltweit. Viele Besucher nehmen lange Reisen auf sich, um zu kommen. Und viele Unternehmen nutzen die Messe, um Innovationen zu präsentieren, bevor sie auf dem Markt eingeführt werden.

SZ: Auf der Messe treten Sie als Chef des deutschen Elektrotechnik-Verbands ZVEI auf. Doch Sie beziehen ja auch bei anderen Fragen Stellung: Sie bezeichnen sich als christlichen Unternehmer, sind in der Kirche aktiv und spenden jedes Jahr ein Zehntel Ihres Einkommens. Was bedeutet christlicher Unternehmer?

Loh: Durch meinen Glauben weiß ich: Ich bin nicht die oberste Instanz. Das ist entlastend. Ich kann für richtige Entscheidungen beten und weiß, dass es Vergebung für meine Fehler gibt. Ich möchte keine Verantwortung wegdelegieren an Gott, doch ich weiß mich geführt.

SZ: Sie lassen so wenig wie möglich sonntags arbeiten. Funktioniert das?

Loh: Manchmal muss es doch sein, aber das Management weiß, dass ich keine Sonntagsarbeit möchte. Ich lehne das nicht nur wegen des biblischen Gebots ab, sondern auch, weil ich es für vernünftig halte. Die Leute gehören sonntags wenn möglich zu ihren Familien.

SZ: Die Kirchenvertreter in Deutschland sind oft nicht gerade wirtschaftsfreundlich, da wird viel Managerschelte betrieben. Sie wiederum sind Unternehmer und gelten als einer der 100 reichsten Deutschen. Ärgert Sie die Kritik?

Loh: Kirchen sind auf Nächstenliebe fokussiert. Und wirklich ist ja jeder aufgefordert, seinem Nächsten zu helfen. Doch nur wer hat, kann geben und Einfluss nehmen, nur die Starken können den Schwachen wirklich helfen. Wenn die Kirchen Auswüchse im Wirtschaftsleben kritisieren, ist das in Ordnung, allerdings kommt die Kritik oft sehr pauschal über den Tisch, da geht es dann schnell und sehr allgemein gegen die "gierigen Manager". Wollen Sie Gehör finden, ist es aber auch schwierig zu differenzieren. Zumal in Deutschland, wo die Wirtschaft in der Öffentlichkeit unter einem Generalverdacht steht.

"Die kommenden Jahre brauchen wir AKWs"

SZ: Kritik entzündet sich häufig an den hohen Managergehältern. Zu Recht?

Loh: Macht ein Manager einen guten Job und verdient daher viel, freuen wir uns nicht, dass er gut ist, sondern fragen, ob jemand so viel verdienen darf. Das ist eine Neiddebatte, die der Motivation schadet. Schauen Sie sich Josef Ackermann an: Er steuerte die Deutsche Bank gut durch die Krise, aber in der Öffentlichkeit wird über sein Gehalt diskutiert. Dabei hat er durch seine Entscheidungen der Volkswirtschaft mehr genutzt als viele andere, deren Einkommen nicht angegriffen wird. Oder nehmen Sie die Politiker: Da werden die Bezüge von Ministern und Abgeordneten kritisiert, aber mit Blick auf deren Verantwortung sind die Einkommen doch eher bescheiden.

SZ: Die Kirchen verlieren an Einfluss, Menschen wenden sich vom Glauben ab. Macht Ihnen das Sorgen als Christ?

Loh: Der Glaube prägt das Wertesystem. Er ist eine Leitlinie für ein sinnvolles und zielorientiertes Leben, ein entscheidender Motivator. Ich denke schon, dass wir mit dem Verlust des Glaubens einen Verlust an Geradlinigkeit und Disziplin erleben. Dabei kann die christliche Botschaft das Zusammenleben gut regeln, denken Sie zum Beispiel an die zehn Gebote. Aber das Problem der Kirchen ist, dass sie Teile der biblischen Botschaft aufgeweicht haben und häufig den Kompromiss suchen, wenn sie an die Öffentlichkeit gehen. Deshalb reibt sich niemand mehr an den Positionen der Kirchen, sie verlieren an Bedeutung und Substanz. Es wäre besser für sie, klare Kante zu zeigen.

SZ: Sie selbst beziehen als Präsident des Verbands ZVEI und Vizepräsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) Position. Dabei setzen Sie sich auch für die Belange von Mittelständlern wie Ihrer Firmengruppe ein. Aber die Politik schaut vor allem auf die großen Konzerne. Frustrierend, oder?

Loh: Bei einem strittigen Thema ist es sehr verführerisch für die Politik, einfach die Vorstände der größten Dax-Konzerne einzuladen und sich mit ihnen abzustimmen. Doch es gibt gute Ansätze, die Position des Mittelstands in Berlin zu stärken.

SZ: Sie haben mit anderen Verbandsvertretern erfolglos dafür gekämpft, den BDI mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der BDA, zu verschmelzen. Warum?

Loh: Die gewachsene Struktur der Wirtschaftsverbände wird der Situation in Berlin nicht mehr gerecht. Da es mehrere Spitzenverbände gibt, kann sich die Politik immer den Verband raussuchen, dessen Meinung zu einem Thema ihr gerade passt. Für die EU-Politik in Brüssel ist die Struktur noch weniger geeignet.

SZ: Wie viel Zeit investieren Sie in die Verbandsarbeit?

Loh: Zusammengerechnet ein bis anderthalb Monate im Jahr, schätze ich. Aber das Engagement ist nicht nur ein Opfer, es bringt auch einiges. Man versteht durch diese Arbeit vieles in unserem Land wesentlich besser.

SZ: Sie hatten 2010 einen Aufruf mitunterzeichnet, die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. Bereuen Sie das angesichts der Katastrophe in Japan?

Loh: Unabhängig davon, ob man glaubt, dass Atomkraftwerke sicher sind oder nicht: Die kommenden Jahre brauchen wir AKWs einfach noch. Sonst müssen wir am Ende Atomstrom aus dem Ausland einführen. Ein Land wie Deutschland hat jedoch gegenüber seinen Bürgern die Pflicht, sich weitgehend selbst zu versorgen. Und die erneuerbaren Energien sind noch lange nicht wirtschaftlich genug. Bei einem Atomausstieg müssten wir auch neue Kohlekraftwerke, mehr Windräder und Überlandleitungen bauen. Doch dagegen protestieren die Menschen ebenso. Diese Blockadehaltung besorgt mich mindestens genauso wie die Frage, ob deutsche AKWs sicher sind.

SZ: Woran liegt die Blockadehaltung?

Loh: An einer Technikfeindlichkeit. Zur Wirtschaftswunderzeit waren die Menschen fasziniert von neuen Technologien. Das ist komplett umgeschlagen und liegt auch daran, dass immer weniger Leute Ingenieurberufe und Naturwissenschaften studieren. Deshalb fehlt der Bezug zur Technik, die etwa hinter den schicken Handys steckt, die alle toll finden. Außerdem beschäftigen sich immer mehr Leute vor allem mit sich selbst und kümmern sich nicht darum, was ihre Blockadehaltung für andere bedeutet. Aber es gibt Hoffnung: Politik und Wirtschaft haben erkannt, dass Deutschland nur eine Chance hat, wenn das Land technisch orientiert und innovationsstark bleibt.

SZ: Sie sprachen an, dass weniger junge Menschen Ingenieurberufe studieren. Die Firmen klagen auch auf jeder Hannover Messe über Fachkräftemangel. Trotzdem gibt es arbeitslose Ingenieure. Das passt doch überhaupt nicht zusammen.

Loh: Dass es arbeitslose Ingenieure gibt, die Betriebe mal eben einstellen können, ist ein Mythos. Denn wer eine so gute Ausbildung hat und arbeiten will, der muss einfach einen Job bekommen, sonst stimmt generell etwas nicht. Vielleicht ist es nicht der Wunschjob mit der Wunschbezahlung in der Wunschregion, aber eine Stelle bekommt man. Wir beschäftigen bei uns zum Beispiel auch studierte Ingenieure, die länger arbeitslos waren, auf Facharbeiterposten. Wenn ich mich in so einem Job bewähre, kann ich danach auf eine Stelle als Ingenieur aufsteigen. Aber ich muss am Anfang flexibel sein und kann nicht stur an meiner Vorstellung eines Traumjobs festhalten.

SZ: Nicht nur der Fachkräftemangel, sondern auch die Rolle von Frauen in Firmen ist Thema in der Politik. Diskutiert werden Frauenquoten für Aufsichtsräte und Vorstände. Was halten Sie davon?

Loh: Nichts. Als Frau würde ich mich dagegen wehren, dass der Eindruck entsteht, meinen Aufstieg hätte ich einer Quote zu verdanken. Es gibt viele Frauen mit exzellenten Qualifikationen, und sie haben Gaben, die wir Männer vielleicht nicht so haben und die im Management wichtig sind. Aber so etwas muss wachsen. Sie können nicht mit Brachialgewalt die Gesellschaft umkrempeln. Aus Gesprächen mit Mitarbeiterinnen weiß ich auch, dass viele Frauen den Schwerpunkt ihres Lebens gar nicht auf die Karriere legen wollen, sie träumen viel mehr von einem glücklichen Familienleben. Ihren wesentlichen Lebensinhalt sehen sie woanders, sei es die Familie, soziales Engagement oder sonst etwas.

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