Hannover Messe:Teurer Irrweg ins Ausland

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Die Verlagerung der Produktion zahlt sich häufig nicht aus - viele Unternehmen kehren deshalb nach wenigen Jahren wieder zurück in die Heimat.

Elisabeth Dostert

Aus jedem Wort spricht noch heute Erleichterung. "Nach drei Jahren waren wir froh, das Abenteuer Russland zu beenden und wieder ganz in Deutschland zu produzieren", sagt Franz-Georg von Busse, Geschäftsführer des Landmaschinenherstellers Lemken aus Alpen bei Duisburg der Süddeutschen Zeitung.

Das Abenteuer liegt schon ein paar Jahre zurück: 1993 verlagerte der Mittelständler einen Teil der Produktion von Komponenten nach Kaliningrad, "wegen der niedrigen Lohn- und Materialkosten", so Busse. Die Hoffnungen erfüllten sich jedoch nicht: "Der Strom fiel häufig aus, wir kamen nicht an unsere Bankkonten. Wir scheiterten an allen Ecken und Enden", erzählt der Manager.

1996 war Schluss in Kaliningrad. "Wir haben dort 150.000 Mark in den Sand gesetzt", sagt Busse. Seitdem produziert der Mittelständler mit 720 Mitarbeitern und gut 180 Millionen Euro Umsatz wieder ausschließlich in Deutschland. Die Kapazitäten am größten Standort Alpen werden gerade für 25 Millionen Euro verdoppelt.

Lemken ist nicht allein: Solche Geschichten gäbe es viele zu erzählen. "Seit etwa Mitte der neunziger Jahre erlebten wir in manchen Jahren geradezu eine Flucht aus Deutschland", sagt Bruno Braun, Präsident des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) und Vorstandsvorsitzender des TÜV Rheinland am Dienstag in Hannover.

Blauäugige Kalkulation

Eine Studie des Karlsruher Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) im Auftrag des VDI zeigt: Im verarbeitenden Gewerbe gehen in Deutschland jedes Jahr 86.000 Arbeitsplätze durch Produktionsverlagerungen verloren.

Die Rückkehrer abgerechnet, sind es immer noch 74.000 Stellen, entsprechend eines Verlustes an Wertschöpfung von sieben Milliarden Euro. Der Aufbau von Kapazitäten im Ausland könne wegen der größeren Nähe zu neuen Märkten und Kunden zwar positive Effekte haben, sagt Braun. Die rein kostengetriebene Flucht ins Ausland erweise sich aber häufig als Irrweg, weil die Kalkulation zu blauäugig sei.

Zu häufig stellten die Firmen ausschließlich auf die Personalkosten im Ausland ab, moniert Steffen Kinkel vom ISI. "Kostengrößen dominieren die Rechnung, weil die sich leicht in Euro messen, addieren, subtrahieren und multiplizieren lassen".

Kinkel hat weitere Fehler in der Rechnung ausgemacht: Der Wert lokaler Netzwerke, wie sie in Deutschland herrschen, Anlaufzeiten und die Betreuung des neuen Standorts werden unterschätzt oder falsch zugeordnet. Häufig ist die Kalkulation zu statisch und berücksichtigt beispielsweise nicht, dass die Lohnkosten auch im Ausland steigen. Würden die Unternehmen richtig rechnen, bliebe ein Drittel der vernichteten Stellen im Inland erhalten, so Kinkel.

Aber die Manager werden schlauer. Jeder vierten bis fünften Auslandsverlagerung folgt nach spätestens fünf Jahren die Rückverlagerung, zeigt die ISI-Studie. Gut ein Fünftel der 2001/2002 verlagerten Produktionsstätten wurde zugunsten inländischer Werke wieder aufgegeben.

Die Dunkelziffer der Rückkehrer dürfte noch höher sein. Außerdem hat die Flucht ins Ausland nachgelassen: Während in den Jahren 2002 und 2003 jährlich noch jeder achte Betrieb des verarbeitenden Gewerbes Kapazitäten ins Ausland verlagerte, war es in den beiden Folgejahren nur noch jeder elfte. "Wir erleben derzeit eine Renaissance des Standortes Deutschland", freut sich Braun.

Als Standortvorteil der Deutschen hat Norbert Müller, Vorsitzender der Geschäftsführung des Rittal-Konzerns, die Mitarbeiter ausgemacht - das Unternehmen aus Herborn beschäftigt weltweit mehr als 10.000 Menschen. Rittal stellt unter anderem Schaltschränke und Gehäuse her. "Ein globaler Wettbewerb ist immer ein Wettbewerb zwischen Menschen", sagt Müller.

Die Leistung entscheide. Dafür sorge die richtige Unternehmenskultur: "Wir brauchen Menschen, die sich mit dem Unternehmen identifizieren, sonst entsteht auch keine Inspiration", erläutert Müller. Identifikation entstehe durch Information, nicht per Order di Mufti. "Bei Rittal erfährt jeder schnell, wenn wir im globalen Wettbewerb ein Tor geschossen haben."

© SZ vom 23.04.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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