Süddeutsche Zeitung

Hannover Messe:Charlie und seine Freunde

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Nur gute Maschinen oder Bauteile herzustellen, das reicht heute nicht mehr. Die Kunden erwarten auch Möglichkeiten zur Vernetzung - und die Software dazu.

Von Elisabeth Dostert, Hannover

Charlie kann schon aufrecht laufen, ein paar Schritte nur, aber immerhin. Der Roboter sieht aus wie ein Affe, weil er der Natur nachempfunden sei, erzählt Tobias Stark vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Bremen. Dort ist Charlie, der Roboteraffe, entwickelt worden. "Das schwarze Kabel in der Mitte ist die Wirbelsäule und die Streben die Muskeln und Sehnen." Der Informatiker hat die Software für die Motoren geschrieben, die Vorder- und Hinterläufe antreiben. In jedem der Hinterbeine stecken mehr als 50 Sensoren. Das Laufmuster sei so programmiert, dass immer drei Beine am Boden bleiben. Im Schädel sitzen drei Kameras. Wenn es gut läuft, wird Charlie eines Tages, ausgerüstet mit Elektromotoren, die der Strahlung im Weltraum Stand halten, auf Mond oder Mars Krater erkunden und davon Bilder liefern. "Eine schräge Ebene hinauf steigen, kann Charlie besser als Menschen", so Stark.

In Hannover zeigen Unternehmen und Hochschulen die Chancen, aber auch die Gefahren der Digitalisierung. Am Messestand des FZI Forschungszentrums Informatik führen Forscher vor, wie ein Plüschtier Einbrechern hilft. Das Spielzeug kann sprechen und hat eine IP-Adresse. Wer sie hackt, kann Sprachassistenten wie Alexa anweisen, die smarte Haustür zu öffnen.

In vielen Hallen zeigen Firmen im Kleinen, wie sie sich die Produktion künftig vorstellen. Manches ist schon Realität, anderes nahe oder ferne Zukunft. In Halle 11 produziert der Schweizer Konzern ABB Uhren. Die Belegschaft: eine Frau, fünf Roboter. Scara, ganz am Anfang der Produktionslinie, legte das Uhrgehäuse auf ein Förderband. In dieser digitalen Belegschaft ist Scara der einfachste, aber auch schnellste und kostengünstigste Roboter. Über konkrete Preise mag Jörg Reger, er leitet das Robotik-Geschäft in Deutschland, nicht reden, weil es auf die Ausstattung ankomme. Yumi, Scaras Nachbar, ist ein Cobot, ein kollaborativer Roboter, er kann mit Menschen zusammenarbeiten. Er merkt, wenn sich eine Person nähert. "Aber anders als früher, muss das System nicht komplett heruntergefahren werden, was zu Produktionsfällen und hohen Kosten führt", sagt Reger: "Yumi pausiert nur kurz und arbeitet dann weiter." Der Zweiarm-Roboter montiert das Gehäuse auf das Armband. Ein zweiter Yumi faltet eine Schachtel und verpackt die Uhr darin. Das klappt nicht immer. Dann greift die Frau ein. Yumi legt die gepackte Schachtel auf das Band, auf dem sie zum nächsten Roboter transportiert wird, er beschriftet die Schachtel. Die Musterfabrik ist ein Beispiel. "Produktionslinien wie diese machen Losgröße 1 möglich", so Reger. Auch die Uhr gibt es mit Armbändern in verschiedenen Farben. "In der Produktion gibt es künftig keine Chargen mehr", sagt Reger: "Der Konsument bestimmt, was produziert wird."

In Halle 17 hat Bosch seine Fertigung aufgebaut. Die Hauptdarsteller der Show ist der Roboter Apas und ein autonomes Transportfahrzeug, das seine Daten über den neuen Mobilfunkstandard 5G sendet und empfängt. Der Roboterarm stammt von Fanuc, aber die Sensorhaut und die Software von Bosch. Der industrielle 3D-Drucker neben der großen Showfläche kommt vom Berliner Start-up Bigrep, der Antrieb und die Software dafür hat Bosch geliefert. "Nobody can do the IoT alone", sagt Bosch-Expertin Janette Kothe, kein Unternehmen kann die smarte Fabrik allein bauen. Die einen stellen Sensoren her wie Sick oder Kabel wie Lapp oder Steckverbindungen wie Harting. Zur ihrer Hardware liefern die Firmen immer öfter die Software. Andere bauen die Mobilfunknetze auf oder stellen in ihrer Cloud Speicher zur Verfügung. "Lieferanten und Kunden rücken näher zusammen", sagt die studierte Mechatronikerin Kothe. Die Kunden erwarten ihr zufolge nicht mehr bloß ein physisches Produkt, sondern Lösungen, "die wir häufig gemeinsam entwickeln." Und die Beziehung wird dauerhafter, sie endet nicht mit der Auslieferung einer Maschine oder einer Komponente. Über Serviceleistungen wie die Wartung oder die Cloud bleiben die Firmen verbunden.

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SZ vom 03.04.2019
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