Brauereien:Geheimnis des Hopfens

Hopfenmarkt vor schweren Zeiten

Wann schmeckt ein Bier intensiv? Durch die große Menge an Hopfen.

(Foto: dpa)

Die Deutschen haben immer weniger Lust auf Bier, der Absatz der Großbrauer sinkt. Ganz anders bei den Kleinen: Rebellische Braumeister machen glänzende Geschäfte.

Von Markus Zydra

Alexander Himburg erinnert sich genau an die Begebenheit, die sein Berufsleben radikal verändern sollte. Bald fünf Jahre ist es her, da hielt der gelernte Braumeister eine eigentümliche Flasche aus Schottland in der Hand. India Pale Ale stand auf dem Etikett. Er öffnete sie: "Das war kein Bier, wie ich es kannte. Es roch anders, schmeckte sehr bitter und gleichzeitig süß-fruchtig", erzählt der 35-jährige Himburg, der in einer Großbrauerei gelernt hatte. "Nach dieser Geschmackserfahrung war es für mich unmöglich, weiterhin normale Biere zu brauen."

Himburg führt seit 2012 den Braukunstkeller in Michelstadt. Dort, im Odenwald, fing er nach dem einprägsamen Erlebnis an, das Geheimnis des India Pale Ale zu lüften. Das intensive Geschmacksaroma entsteht durch die hohe Menge an Hopfen, manchmal 20 Mal mehr als beim Brauen von Pils. Himburg experimentierte im Keller mit kleiner Herdplatte und Brautopf. In dieser Phase probierte er vieles aus, vieles verwarf er wieder. Nun braut er drei India Pale Ales. Eines heißt Amarsi, was in den Ohren manchen Biertrinkers schon mal besser klingt als Pils.

Himburg ist in Frankfurt zu Gast, als er von seinem Wandel erzählt. Im Nebenraum einer Bar verkosten 20 Neugierige seine Biere. "In diesem Jahr möchte ich 200 000 Liter verkaufen", sagt er. Diese Menge ist nichts im Vergleich zu den großen Brauereien. Doch für ihn wäre das eine Versiebenfachung binnen drei Jahren.

"Da fehlte die Liebe zum Produkt, und so schmeckt es jetzt auch"

Man muss das India Pale Ale geschmacklich nicht mögen, um von der Geschichte dieses Bieres einiges zu lernen über den Ehrgeiz rebellischer Braumeister, die stolz auf ihr Handwerk und ihre Zutaten sind, und die viel Hopfen und Malz darauf verwenden, ihrem Bier eine unverwechselbare Geschmacksnote zu geben. Craft- oder Handwerks-Biere heißen diese Kreationen, die mit viel Liebe zum Detail in meist sehr kleinen Brauereien hergestellt werden.

Die Craft-Bierszene in Deutschland ist mit einem Marktanteil von rund einem Prozent zwar kaum messbar. Doch in Großstädten gibt es immer mehr Kneipen und Kioske, die das Bier der kleinen Brauer verkaufen. In den USA hat die Craft-Bier-Szene mittlerweile schon elf Prozent Marktanteil. Die Sorte India Pale Ale gilt als die Rakete in der Produktpalette.

Der Bierabsatz ist seit 2006 um zehn Prozent gesunken

"In Deutschland ist gutes Bier schwer zu finden. Es gibt ein Überangebot an industrialisierten Massen-Bieren, die nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut schmecken", sagt Himburg, der viel nachgedacht hat über ein Getränk, das oft lieber gesoffen denn genossen wird. "Die deutschen Brauingenieure haben in den vergangenen Jahrzehnten Bier als das Produkt ihrer Maschinen begriffen", sagt der selbstbewusste Mann. Sein Urteil ist hart: "Es war nie das Ziel, Geschmack in Bier zu bringen. Da fehlte die Liebe zum Produkt, und so schmeckt es jetzt auch."

Die Großbrauer sehen das natürlich anders. "Bier ist eben Geschmackssache", teilt der Deutsche Brauer-Bund mit. Die Pilsbrauer träfen mit ihren klassischen Bieren den Geschmack der großen Mehrheit der Verbraucher. Dennoch ist der Bierabsatz in Deutschland seit 2006 um gut zehn Prozent gesunken - ganz anders bei den Kleinbrauern. Ihr Bier, vor allem das India Pale Ale, häufig kurz IPA genannt, ist en vogue.

Es riecht limonig, stark und bitter

Die globalen Bierhaus-Flaneure in München, Berlin, Neu-Dehli, Rio de Janeiro, Brisbane, London oder Seattle wollen genau wissen, was ihr IPA ausmacht. In den einschlägigen Kneipen erfährt man neben dem vergleichsweise hohen Alkoholgehalt auch den Bitterkeitsgrad, der in International Bitterness Unit beziffert wird. Dazu eine Liste der verwendeten Hopfensorten. An manchem Biertresen geht es zu wie im kultivierten Weinkeller. Novizen erfahren dann auch die Entstehungsgeschichte des India Pale Ale.

Sie begann Ende des 17. Jahrhunderts. Großbritannien wollte den Bierdurst seiner Soldaten, Seeleute und Zivilisten in Übersee stillen. In den britischen Kolonien - etwa in Indien - war es zu heiß, um dort zu brauen. Also musste das Bier verschifft werden. Es war eine Fahrt über Monate, rund ums Kap der guten Hoffnung. Die Briten brauten das Bier mit viel Alkohol und viel Hopfen, damit es auf den langen Reisen nicht schlecht wurde. Hopfen steigert die Haltbarkeit. Dieses Konzentrat, so der Plan, sollten die Biertrinker dann in der Kronkolonie mit Wasser zu einem herkömmlichen Ale verdünnen.

Doch es kam anders: Das starke Bier schmeckte unverdünnt viel besser.

So entstand der Mythos um das India Pale Ale, auch wenn Bierhistoriker bis heute streiten, ob es sich genau so zugetragen hat. Die erste Werbeanzeige für IPA stand 1829 in der Sydney Gazette and New South Wales Advertiser. Es war der Beginn eines Wettstreits der Bierbrauer: Je hopfiger, desto progressiver.

Elf Prozent

In den USA hat die Craft-Bier-Szene mittlerweile schon elf Prozent Marktanteil. In Deutschland ist die Bedeutung der handwerklichen Brauereien mit rund einem Prozent kaum messbar.

"Es muss nicht jedem schmecken, das ist ja das Gute"

Thomas Wachno, 38, ein schlanker Mann mit Baseballkappe auf dem Kopf, kennt diese Geschichte natürlich. Er ist Braumeister der Brauerei Häffner im baden-württembergischen Bad Rappenau. Auf einem schmalen Regal neben dem Sudkessel steht ein zweckentfremdetes Marmeladenglas. "Hier", sagt Wachno, öffnet das Glas und hält es hin zum Schnuppern. Das Geheimnis des IPA steigt sofort in die Nase: zu Pellets gepresster Citra-Hopfen, er riecht limonig, stark und bitter. Hopfen gilt den Craft-Brauern als Wunderpflanze. In der richtigen Mischung erzeugen sie damit verschiedenste Fruchtaromen oder auch harzige Noten.

Auch Wachno hat mit einer klassischen Ausbildung als Bierbrauer begonnen. Doch auch er war irgendwann unzufrieden und fing im Jahr 2010 mit Experimenten an. "Ich muss noch näher ran an das Handwerk", sagt er. Im Hofgarten baute er Hopfen an, produzierte sein eigenes Malz und braute neue Biere in kleinen Kochtöpfen auf dem Herd. Sein erstes IPA machte Wachno 2012, seither hat er den Ausstoß verzwanzigfacht. Online-Händler vertreiben sein "Hopfenstopfer" an Bierkundschaft in der ganzen Welt. Er kommt kaum hinterher, die Nachfrage zu bedienen.

Es mag in Deutschland viele Kleinbrauereien geben, die der industriellen Massenbierproduktion kritisch gegenüberstehen und ihr eigenes Weizen, Schwarz- oder Märzenbier brauen. Doch nur wenige Brauer experimentieren so radikal wie die IPA-Jünger, die ihr Urteil gefällt haben: "Großbrauereien können geschmacklich nicht so weit gehen. Massengeschmack braucht Kompromiss", sagt Wachno. "Das IPA polarisiert. Es muss nicht jedem schmecken. Das ist ja das Gute."

Aus manchem Hobbybrauer ist ein Großbrauer geworden

Die Renaissance des India Pale Ale begann in den Achtzigerjahren in den USA, nachdem dort das Heimbrauen legalisiert worden war. Hobbybrauer besannen sich auf das selbst in Großbritannien vernachlässigte Bier. Aus manchem Hobbybrauer ist ein Großbrauer geworden. "Viele Deutsche sagen, amerikanisches Bier sei schwach und geschmacksarm. Doch die Hobbybrauer aus den USA sind gut", sagt Wachno. "Diese Tatsache verletzt den Stolz mancher deutscher Brauer. Es ist eine Demütigung, wenn Ungelernte besseres Bier brauen als ausgebildete deutsche Brauer mit 40 Jahren Berufserfahrung."

Alexander Himburg möchte mit seinem Braukunstkeller in diesem Jahr expandieren. Er wirkt sehr euphorisch. Aber könnten ihm nicht große Brauereien das Geschäft vermasseln, indem sie die Kleinen imitieren? "Nein. Bei den Großen geht es um Marketing, Preis und Distribution. Da sind die gut", sagt er. "Doch bei uns geht es um Geschmack."

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