Handwerk:Auf Nachwuchssuche

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Ein Arbeiter mauert eine Wand auf einer Baustelle im baden-württembergischen Süßen. Die Baubranche in Deutschland boomt, leidet aber unter Nachwuchsmangel. (Foto: Tom Weller/dpa)

Tausende Lehrstellen bleiben jedes Jahr unbesetzt. Um junge Menschen für eine Ausbildung im Baugewerbe zu gewinnen, müssen Firmenchefs daher umdenken und ganz neue Wege einschlagen.

Von Jochen Bettzieche

Auf den ersten Blick ist die Arbeit am Bau begehrt. Nach Angaben der Sozialkassen der Bauwirtschaft hat die Zahl der Auszubildenden für das aktuelle Lehrjahr 2021/22 im Vergleich zur vorhergehenden Periode um fast sechs Prozent zugelegt. "Das ist eine mehr als erfreuliche Entwicklung", sagt Felix Pakleppa. Der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB) gibt sich zuversichtlich.

Doch ganz so optimistisch wie Pakleppa sind nicht alle. Viele Handwerksbetriebe tun sich schwer, geeigneten Nachwuchs zu finden. Der ZDB verweist auf Zahlen der Deutschen Arbeitsagentur: Am Bau gibt es zwar 38 000 Azubis, mehr als 15 000 Lehrstellen bleiben jedoch unbesetzt. Unternehmer müssen sich daher was einfallen lassen, wenn sie am Ende nicht ohne Nachwuchs dastehen wollen. Auf Bewerbungen zu warten, reiche nicht mehr aus, heißt es beim Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH). Inzwischen müsse sich der Betrieb beim Auszubildenden bewerben und nicht umgekehrt. Denn die Konkurrenz ist groß, auch von Unternehmen außerhalb der Baubranche. "Vor allem technisch geprägte Berufe sind gefragt", sagt Jens Christopher Ulrich, Sprecher bei der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Ganz oben auf der Liste: Elektroniker und Kfz-Mechatroniker.

Sprüche wie "Lehrjahre sind keine Herrenjahre" vergraulen junge Menschen

Industriebetriebe punkten nicht nur mit interessanten Berufen sondern auch mit geregelten Arbeitszeiten und - im Fall von Problemen - mit einem Betriebsrat. Die Baubranche hingegen leidet unter einem schlechten Image, zu dem sie zum Teil selbst beiträgt. Nach wie vor herrscht auf vielen Baustellen ein rauer Ton, manche Firmenchefs erwarten die ständige Bereitschaft zu Überstunden. Denn viele Jüngere räumen Freizeit und Familie einen höheren Stellenwert und damit auch mehr Zeit ein. Sprüche wie "Lehrjahre sind keine Herrenjahre" vergraulen junge Menschen. "Hier ist ein Umdenken gefragt", sagt Claudia Büttner, Sprecherin beim ZVDH.

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Dabei soll den Mitgliedern auch eine Art Knigge für die Berufsausbildung helfen. Darin finden Firmeninhaber Hinweise, wie sie ein Mitarbeitergespräch führen, wie der Betrieb Auszubildende am ersten Tag willkommen heißen sollte und dass kleine Geschenke zu Weihnachten Auszubildende und Praktikanten bei der Stange halten. "Jugendliche wollen wertgeschätzt werden und sich wohl fühlen", sagt Büttner. Wer hier nicht mitzieht, darf sich nicht wundern, wenn sein Betrieb keine Lehrlinge mehr findet.

Bewerbungen von Frauen gibt es in der Branche nach wie vor nur wenige. "Wir versuchen, die gängigen Vorurteile abzubauen und auch Frauen fürs Dachdeckerhandwerk zu begeistern", sagt Büttner. Im Vorteil seien aber vor allem Gewerke, die mit aktuellen Themen auf sich aufmerksam machen können. So stellt der Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke in einer neuen Imagekampagne den Aspekt der Nachhaltigkeit in den Vordergrund. Solaranlagen aufs Dach zu bringen und damit zum Klimaschutz beizutragen, wecke Interesse bei Jugendlichen, heißt es dazu beim Verband.

Eine wichtige Rolle spielen die sozialen Medien - auch bei der Nachwuchssuche

Wichtig sei außerdem, auch in den sozialen Medien präsent zu sein. "Um die Jugendlichen direkt zu erreichen, hat sich Instagram bewährt, auch Tiktok wird immer wichtiger", sagt Ulrich. Das sei bei der älteren Generation etwas anders. Eltern, Onkel oder Tanten tummeln sich demnach eher auf Facebook, lesen Stellenanzeigen in der Zeitung - und weisen junge Familienmitglieder auf dort inserierte Lehrstellen hin. An Jobmessen teilzunehmen, sei eigentlich Pflicht. Dort stehe dann allerdings ein Stand neben dem anderen, Gewerk neben Gewerk. "Es geht darum, die jungen Menschen an den eigenen Stand zu locken, auf sich aufmerksam zu machen, ihre Neugier zu wecken", sagt Ulrich.

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Man muss sich also schon mehr einfallen lassen, als ein paar Flyer zu verteilen. Einer, der das erkannt hat, ist Matthias Schomberg, Geschäftsführer bei Schomberg + Co in Dortmund, einem Unternehmen für Dächer, Fassaden und Solaranlagen. "Wir haben für fünf- bis zehntausend Euro eine VR-Kamera und VR-Brille gekauft und einen Film drehen lassen, der Einblick in unsere Arbeit gibt, zum Beispiel, wie es ist, über die Dachkante in die Tiefe zu schauen." Das locke Menschen an seinen Stand, und so finde er auch geeignete Kandidaten für Lehrstellen.

Schomberg setzt aber nicht nur auf Fachmessen: "Man muss so viele Kontakte wie möglich nutzen." Das örtliche Arbeitsamt, eine Hauptschule, von der Schülerpraktikanten kommen, ein Bildungsträger, der ihm "schwierigere Jugendliche", wie er das nennt, schickt. Gute Erfahrungen hat er mit Bewerberinnen und Bewerbern gemacht, die schon zwischen 25 und 30 Jahren alt sind und gemerkt haben, dass sie im Leben doch noch einmal etwas anderes machen und sich umorientieren möchten: "Wenn der geistige Schalter bei denen umgelegt ist, kann das was werden."

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