Handwerk:Gescannte Bärte

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Welcher Schnitt darf's denn sein? Ein Friseur zeigt seinem Kunden per Tablet die Möglichkeiten auf.

(Foto: imago/Westend61)

Ob Friseure, Sattler oder Dachdecker: Viele Branchen entdecken so langsam die Chancen der Digitalisierung. Sie verbessert Arbeitsabläufe, sorgt für eine gute Auslastung - und kostet noch nicht einmal Jobs.

Von Aloysius Widmann

Sattlerei ist ein dehnbarer Begriff. Darunter fällt fast alles, was mit Lederverarbeitung zu tun hat, von Lkw-Planen über Autositze bis hin zu beweglichen Sonnenverdecken auf Booten. Es gibt in Deutschland aber auch noch ein paar Sattler, die Sattel machen. Einer dieser Betriebe gehört Thomas Büttner. Der Dresdner Sattlermeister stellt gerade auf der Internationalen Handwerksmesse in München aus und zeigt Besuchern, wie Handwerker die Digitalisierung nutzen können. Zum Beispiel so: Ein Scan-Gerät wird an einen Kunden geschickt, dieser scannt damit den Rücken seines Pferdes. Das Teil sendet die Daten an die Sattlerei. Dort steht ein 3-D-Pferderückenmodell aus Stahlfederbügeln, das den gescannten Pferderücken genau abbildet. "Früher mussten wir zum Kunden fahren, den Pferderücken händisch mit Biegelineal und Wasserwaage abmessen und dann aus Holz oder Pappe nachbauen", sagt Büttner, "und wenn etwas nicht gepasst hat, mussten wir nochmals hinfahren und alles neu machen." Mit dem neuen System ist das anders. Büttner spart Material und Zeit, und die Sattel passen besser als früher.

Mit der Digitalisierung können Betriebsabläufe optimiert werden, erklärt auch Walter Pirk, Leiter des neu gegründeten Kompetenzzentrums Digitales Handwerk. Mithilfe von Software können Produktionsprozesse so geplant werden, dass möglichst wenige Ressourcen verschwendet werden. Der Computer zeigt an, welcher Mitarbeiter am nächsten beim Einsatzort ist oder er berechnet den genauen Warenbedarf für einen Auftrag, damit kein Lager mehr gehalten werden muss. Ein Bäcker, der Aufträge für viele verschiedene Brotsorten hat, kann per Knopfdruck ausrechnen, wie er die einzelnen Brote über seine Öfen verteilen muss, damit kein Ofen unausgelastet läuft und die Backzeit möglichst kurz ist. Ein Treppenbauer kann Räume digital scannen und viel genauer abmessen. Ein Friseur kann seine Kunden per Smartphone informieren, wann sie drankommen, damit sie nicht mehr vor Ort warten müssen, oder Friseure scannen in Zukunft das Gesicht des Kunden ein und zeigen ihm, wie sie mit verschiedenen Frisuren aussehen würden.

Wer ein Produkt zeigen kann, bevor es gefertigt wird, hat ein gutes Verkaufsargument

Digitale Visualisierung des Endprodukts ist ein großer Trend, sagen Experten. Wer seinem Kunden ein Produkt zeigen kann, bevor die Fertigung überhaupt begonnen hat, hat ein gutes Verkaufsargument. Das gilt nicht nur für Planungsarbeiten für Endverbraucher, sondern auch für serielle Fertigungen. Mithilfe von 3-D-Druckern können Prototypen erzeugt werden, die dann von potenziellen Abnehmern geprüft werden. Damit gewinnen Handwerksbetriebe Planungssicherheit: Wenn das Produkt nicht gut ankommt, sind noch keine Innovationen getätigt worden.

Ganz so weit sind die heimischen Handwerksbetriebe aber meist noch nicht. Wer über das Münchner Messegelände schlendert, sieht zwar auch den Dachdecker, der Drohnen einsetzt anstatt selbst aufs Dach zu steigen, den Schuster, der Fußabdruckformen an seine Kunden verschickt, einen Metall-3-D-Drucker und Büttners elektronischen Pferderücken. Aber das Gros der Handwerksbetriebe setzt gerade mal PC und Smartphone ein.

Noch, denn in manchen Bereichen ist der Innovationsdruck groß, so im Baugewerbe. Öffentliche Ausschreibungen erfolgen meist digital. In den kommenden Jahren soll laut Bundesverkehrsministerium zudem "Building Information Modeling" (BIM), die digitale Erfassung und gewerke-übergreifende Vernetzung aller Gebäudedaten, bei öffentlichen Bauprojekten zum Einsatz kommen. Dabei soll die gesamte Projektplanung digitalisiert werden. Für Installateure, Elektriker, Tischler und alle anderen, die an Bauprojekten beteiligt sind, heißt das, dass sämtliche Abläufe, Kostenrechnungen, Zeitpläne und Entwürfe digital erstellt und eingereicht werden müssen. Damit will der Bund öffentliche Bauprojekte übersichtlicher machen und Angebote leichter prüfbar machen. Zudem soll es durch die digitale Erfassung aller Arbeitsprozesse möglich werden, die Konsequenzen von Verzug oder Fehlern besser abzuschätzen.

Die Digitalisierung kostet Geld. Ob sich ein Handwerksbetrieb neue Geräte leisten kann, hängt auch von der Betriebsgröße ab. "Tendenziell haben größere Betriebe einen Vorteil", sagt Wirtschaftsforscher Markus Glasl vom Ludwig-Fröhler-Institut. "Es gibt aber auch Bereiche der Digitalisierung, in denen kleine Betriebe mithalten können." Für Büttners 18-Personen-Betrieb hat es sich ausgezahlt, in das neue System zu investieren. Denn nun kann er Kunden in aller Welt bedienen. "Nahezu jeder Betrieb hat eine Möglichkeit, die Digitalisierung für sein Geschäft zu nutzen", sagt Glasl. Fürchten muss sich niemand vor der Digitalisierung, Experten sehen keine Substitution von Arbeitskraft durch Maschinen. Während der Anteil der Menschen, die in der Industrie arbeiten, in den vergangenen 40 Jahren sehr stark zurückgegangen ist, bleibt die Handwerksbeschäftigung stabil. "Es gibt in vielen Gewerben eine hohe körperliche Belastung der Arbeitskräfte", sagt Pirk vom Kompetenzzentrum Digitales Handwerk. Der Einsatz digitaler Techniken könnte komplexe Tätigkeiten einfacher gestalten. Die Tätigkeiten verändern sich also, die Jobs bleiben. Das liegt auch daran, dass handwerkliches Wissen sehr stark auf Erfahrung beruht, und das lässt sich von Algorithmen und Maschinen nur schwer erfassen.

Aber Erfahrung kann weitergegeben werden, wie bei den Büttners: Wenn sich der Chef aus seinem Betrieb zurückzieht, wird seine Tochter übernehmen.

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