Handwerk:Der goldene Boden glänzt nicht mehr

Lange Zeit lebte das Handwerk in Deutschland nicht schlecht, nun wird der Wettbewerb härter - osteuropäische Billiganbieter machen ihm das Leben schwer.

Von Jan H. Müller

Der Boden auf dem Grundstück von Reiter Fliesen sieht aus wie ein riesiges Mosaik. Gleich der erste Kundenparkplatz ist mehrfarbig gefliest, mit dunkelroten und hellgrauen Kacheln, aneinander gereiht ohne erkennbares System.

Handwerk: Ein Fliesenleger bei der Arbeit.

Ein Fliesenleger bei der Arbeit.

(Foto: Foto: ddp)

Auf dem Parkplatz daneben liegen dunkelblaue Fliesen. Absolut wasserdicht. Selbst die Fassade des einstöckigen Hauptgebäudes ist mit kleinen Quadraten aus Keramik bedeckt, in grün, rot, blau und gelb, kaum ein Farbton fehlt. Alles bei Reiter Fliesen sagt: Hier fliest man gerne.

Karl Heinz Reiter, der die Firma vor über 40 Jahren gegründet hat und bis heute leitet, ist ein stolzer Mann. "Das ist unser Neuer", sagt er und deutet auf den neuen Firmen-Lkw, auf dem in großen Buchstaben der Firmen-Schriftzug prangt.

Er tut das fast wie ein kleiner Junge, der seinen neuen Spielzeuglaster herumzeigt. Mit dem Unterschied, dass Reiter über hunderttausend Euro für den Kranlaster hinlegen musste. Der alte hatte im vergangenen Jahr nach langer Betriebszeit schlapp gemacht.

Investitionen sind Kraftakt

Solche Anschaffungen sind für das Unternehmen mittlerweile ein Kraftakt. Die wirtschaftliche Lage des Handwerksbetriebs lässt keine Investition mehr zu, die nicht unbedingt notwendig ist. "Es war schon besser", beschreibt Karl Heinz Reiter seine Situation und lächelt dabei ein wenig gequält.

Damit steht der Fliesenleger aus dem niederbayerischen Deggendorf nicht alleine da. Wie er klagen viele seiner Handwerkskollegen darüber, dass die Aufträge seit einiger Zeit weniger werden - während die Zahl der Betriebe ständig zunimmt. "Der Wettbewerb ist mörderisch," beschreibt Reiter die Lage.

Lange hat das niemanden sonderlich interessiert. Erst seitdem bekannt ist, dass reihenweise osteuropäische Billigarbeiter in deutschen Schlachthöfen arbeiten, hat sich das gewandelt.

Nur anmelden - weiter nichts

Dabei lassen sich die Probleme der Handwerker mit denen der Fleischereiarbeiter kaum vergleichen. Nur die Ursache scheint in beiden Fällen dieselbe zu sein: Seit die EU vor knapp einem Jahr um acht osteuropäische Länder gewachsen ist, stehen die Grenzen von Ost nach West weitgehend offen. Die alten EU-Staaten haben die Arbeitnehmerfreizügigkeit zwar eingeschränkt. Wer sich aber selbständig machen will, der muss dies nur anmelden. Weiter nichts.

Eine Liberalisierung der Handwerksordnung, die Anfang letzten Jahres in Kraft getreten ist, hat die Lage zusätzlich verschärft. Seither gibt es für viele Handwerksberufe keine Zulassungsbeschränkungen mehr. Um ein Gewerbe zu eröffnen, ist nur noch die Eintragung in die Handwerksrolle nötig. Qualifikationsnachweise braucht es nicht.

Durch die Reform hat es gerade bei zulassungsfreien Handwerksbetrieben im vorigen Jahr viele Neugründungen gegeben. Um 36,9 Prozent, fand der Zentralverband des Deutschen Handwerks heraus, hat deren Zahl zugenommen.

Zahl der Fliesenleger verdoppelt

Noch stärker ist der Anstieg bei zulassungsfreien Bauhandwerksberufen, bei Parkettlegern oder Gebäudereinigern etwa. Die Zahl der Fliesenleger hat sich sogar mehr als verdoppelt. Besonders auffällig: Immer mehr Osteuropäer melden in diesen Berufen ein Gewerbe an. In Städten wie Düsseldorf, Hamburg oder München liegt ihr Anteil bei über 50 Prozent.

Der goldene Boden glänzt nicht mehr

Die alteingesessenen Fliesenleger staunen nicht schlecht über diese "kaninchenhafte Vermehrung", wie viele es nennen. Dabei macht ihnen nicht nur die schiere Zahl der Wettbewerber Sorgen. "Wir stehen noch dazu in einem ungleichen Wettbewerb", sagt Fliesenleger Reiter. Weil sie oft keine Steuern oder Sozialabgaben zahlen, können die osteuropäischen Konkurrenten viel günstiger arbeiten.

Ein polnischer Fliesenleger aus München/Schwabing, der namentlich nicht genannt werden möchte, bestätigt das: "12 bis 13 Euro kostet die Stunde, dafür fliese ich alles, Gewerbe und Privat." Hoffnungen auf einen baldigen Termin sollte man sich allerdings nicht machen. Der Jungunternehmer erklärt: "Ich habe momentan sehr viel zu tun."

Kaum noch Aufträge

Wenn Karl Heinz Reiter von solchen Preisen hört, dann lächelt er wieder, senkt den Blick und schüttelt den Kopf: "Deshalb erhalten wir seit der Osterweiterung im Raum München kaum noch Aufträge."

Mit Preisen von 12 Euro kann der Unternehmer nicht konkurrieren. "Pro Stunde muss ich 43 Euro verlangen, sonst lohnt es sich nicht", meint Reiter. Davon gehen dann die Löhne für seine Mitarbeiter ab, außerdem Steuern, Abgaben, Versicherungen und alle weiteren Kosten. Viel bleibe am Ende von den 43 Euro nicht übrig: "Nach Abzug aller Ausgaben höchstens zwei bis drei Euro."

Aber es kommt noch schlimmer: Neben der legalen Billigkonkurrenz muss sich Reiter seit kurzem auch noch vermehrt mit illegaler herumschlagen. Die neueste Masche: Unternehmer schaffen osteuropäische Arbeiter heran und gründen mit ihnen eine Fliesenlegerfirma. Die Arbeiter geben sich als selbstständig aus und profitieren so von der neuen Handwerksordnung.

Zehn Handwerker unter der gleichen Adresse

Allein in München sind nach Angaben der dortigen Handwerkskammer teilweise bis zu zehn Handwerker unter der gleichen Adresse gemeldet - ein Indiz für solche Tricks, mit denen die Beschäftigten die eingeschränkte Freizügigkeit umgehen. Ihre Löhne liegen meist sogar noch deutlich unter den 12 Euro des polnischen Handwerkers aus München.

Karl Heinz Reiter macht so etwas wütend: "Das ist doch nichts weiter als legalisierte Schwarzarbeit", ruft er so laut, dass sich einige seiner Mitarbeiter umdrehen. "Es kann nicht sein, dass wir im eigenen Land schlechter dastehen als diejenigen, die zu uns kommen."

Reiter möchte aber nicht falsch verstanden werden. Er weiß, dass er sich mit seinen Vorwürfen auf dünnem Eis bewegt, dass einem da schnell Protektionismus oder gar Ausländerfeindlichkeit unterstellt wird. Das aber weist Reiter weit von sich: "Ich habe nichts gegen den Wettbewerb mit den Polen," stellt er klar. "Aber er muss fair sein."

Schaut einfacher aus als es ist

Für Johann Wagner, Geschäftsführer der Bauinnung Niederbayern, hat das Phänomen der vielen neuen Fliesenlegerbetriebe einen einfachen Grund: "Auf den ersten Blick schaut Fliesenlegen einfacher aus als es ist", sagt Wagner. "Außerdem sind kaum Investitionen erforderlich."

In der Tat verfügen viele neugegründete Unternehmen oftmals nur über einen winzigen Firmensitz, ganz ohne geflieste Parkplätze. Darin bewahren sie Fliesenschneider, Mörtel und alle anderen Utensilien auf. "Es gibt kaum Vorhaltekosten", sagt Wagner. "Außerdem glauben einige, dass zum Fliesenlegen nichts dazugehört."

Der goldene Boden glänzt nicht mehr

Dass sein Berufsstand so unterschätzt wird, ärgert Fliesenleger Reiter: "Fliesen zu verlegen ist doch kein Kinderspiel." Im Keller seines Verkaufsraumes verwahrt Reiter den Beweis. Fliesenmodelle für alle möglichen Zwecke, in allen möglichen Formen.

"Streichen sie mit den Fingern über die Oberfläche", sagt er. "Bemerken sie die unterschiedlichen Profile?" Dann lächelt er, dieses Mal verschmitzt. "Man kann nicht jedes Profil überall verlegen. Wenn sie eine glatte Fliese in einem Schwimmbad verlegen, kann das schnell schief gehen." Ein Fall für den Fachmann, nicht für den Anfänger, findet er.

Mehr Qualität, das ist die einzige Antwort, die Handwerkskammern auf die neue Herausforderung geben. "Nur durch hochwertige Arbeit können sich die angestammten Betriebe auf Dauer gegenüber der Billigkonkurrenz behaupten", erklärt Gerhard Heegen von der Handwerkskammer in Regensburg. "Auf lange Sicht ist gute Arbeit für den Kunden billiger als schlechte, die nach ein paar Jahren erneuert werden muss."

Rat befolgt

Reiter hat den Rat befolgt. Er beschäftigt allein vier Fachberater. Dennoch hat die Zahl insbesondere der Privatkunden in der letzten Zeit stark abgenommen. "Die Leute denken nicht langfristig. Was für sie zählt, ist oft einfach nur das billigste Angebot."

Deshalb hat sich Reiter auf Gewerbekunden mit Sonderwünschen spezialisiert. Doch auch hier sind die Auftragsbücher dünner geworden. "Zwei Monate sind noch gesichert. Was danach kommt, weiß ich nicht", sagt Reiter. Und dabei ist jetzt Hochsaison.

Den Glauben an Hilfe aus der Politik hat Reiter aufgegeben. Zu verfahren ist in seinen Augen die Situation. Zumindest aber verlangt er von Politikern, dass sie die Probleme seines Berufsstandes ernst nehmen. Aber selbst das ist in seinen Augen nicht mehr der Fall.

Mehr Stimmenfang als durchdachte Lösungsansätze

Zwar sei die Politik endlich wach geworden. Doch die Vorschläge hören sich für Reiter angesichts der nahenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen mehr nach Stimmenfang an als nach durchdachten Lösungsansätzen. "Zur Zulassungsfreiheit, die uns in dieser Situation so sehr schadet, habe ich bislang nichts gehört", meint er konsterniert.

Tatsächlich reagieren die Wirtschaftsministerien in Bund und Ländern ausweichend, wenn es um mögliche Gesetzesinitiativen geht. Das bayerische Wirtschaftsministerium erklärt ein Sprecher, man habe von Anfang an gegen die Handwerksnovelle gekämpft. Das stimmt zwar, doch seit die Vorlage Gesetz ist, ist aus dem Ministerium nicht mehr viel zu hören. "Hier können wir nichts tun, die Befugnis, etwas zu ändern, hat einzig und allein der Bund", bescheidet das Ministerium.

In Berlin wiederum gilt die Sprachregelung, man habe mit der Reform der Handwerksordnung nur EU-Vorgaben umgesetzt. Gesetzesänderungen seien nicht geplant, um die Lage zu verbessern. In anderen Berufsgruppen gebe es schließlich auch keinerlei Zulassungsbeschränkungen, heißt es im Hause Clement.

"Wer weiß schon, was noch alles kommt"

Der Tag neigt sich dem Ende zu, als Karl Heinz Reiter sich zum ersten Mal das Lächeln verkneift. "Eigentlich sollten meine beiden Kinder den Betrieb einmal übernehmen", sagt er. "Aber wer weiß schon, was noch alles kommt."

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