Süddeutsche Zeitung

Handelsunternehmen:Das teure Nachspiel der Neckermann-Pleite

  • Die Pleite des Versandhandels-Riesen Neckermann liegt fast sechs Jahre zurück - ist aber noch lange nicht ausgestanden: Die Insolvenzverwalter verlangen per Klage knapp 20 Millionen Euro von früheren Managern.
  • Es droht ein langwieriges Verfahren, in dem geklärt werden muss, ob die Insolvenz zu spät angemeldet wurde.

Von Klaus Ott und Jan Willmroth, Frankfurt

Die Geschäftsführer sahen das Ende kommen, das Aus für eines der prominentesten Teile der bundesdeutschen Handelsgeschichte, aber sie gaben nicht auf. Neckermann, einst eines der größten Versandhäuser Europas, kämpfte vor sechs Jahren ums Überleben, versuchte verzweifelt den Wandel zum reinen Online-Händler, der Katalog sollte abgeschafft werden. In einer Betriebsversammlung erfuhren die Angestellten am Unternehmenssitz im Frankfurter Osten, dass fast jeder Zweite von ihnen würde gehen müssen. Einen Tag später, am 9. Mai 2012, saßen Arbeitnehmervertreter mit dem Finanzinvestor Sun Capital zusammen, dem Neckermann seit Jahren gehörte. "Mittel für Abfindungen sind nicht vorhanden", lautete die Botschaft der Investoren.

Ein Sozialplan ohne Abfindungen war eine der zentralen Bedingungen von Sun, um weiteres Geld nachzuschießen. Das wollte der Betriebsrat nicht ohne weitere Verhandlungen akzeptieren. Ein Kompromiss schien aussichtslos, Neckermann war tief in den roten Zahlen - und bewegte sich am Rande der Pleite. Am 18. Juli stellte die Traditionsfirma nach 64 Jahren Insolvenzantrag. Verkaufsgespräche scheiterten, im September war für die übrigen Mitarbeiter endgültig Schluss.

Die Anwälte der ehemaligen Geschäftsführer sind über die Klage regelrecht empört

Die Neckermann-Geschichte ist aber mitnichten vorbei. Für die seinerzeitigen Verantwortlichen hat sie ein unangenehmes Nachspiel: Die Insolvenzverwalter Michael Frege und Joachim Kühne verlangen nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung und WDR 19,1 Millionen Euro von den vier früheren Geschäftsführern. Auch die Aufsichtsräte von damals sollen nicht verschont bleiben. Im Herbst erweiterten die Insolvenzverwalter - gerade noch rechtzeitig, bevor erste Ansprüche verjährt wären - ihre Klage auf das ehemalige Kontrollgremium. In diesen Wochen wächst die Zahl der Schriftsätze beim zuständigen Landgericht Frankfurt stetig, sie füllen bereits mehrere Aktenordner.

Dabei geht es nicht nur um einen hohen Millionenbetrag, für den die Manager und Aufsichtsräte schlimmstenfalls persönlich haften müssten. Der Fall Neckermann zeigt exemplarisch, wie Insolvenzverwalter nach Firmenpleiten immer häufiger vorgehen: Sie begründen, warum Geschäftsführer vermeintlich zu spät Insolvenzantrag gestellt haben, identifizieren Zahlungen, die nicht mehr hätten fließen dürfen - und verklagen die Verantwortlichen auf Haftung. Bestärkt durch einige höchstrichterliche Urteile, schlagen sie den Rechtsweg ein, der Jahre dauern kann, um lange nach einer Pleite noch Geld für insolvente Gesellschaften zurückzuholen. Dabei zielen sie meist auf die Haftpflichtversicherungen für Manager ab, die Verfahrenskosten abdeckt sowie etwaige Ansprüche, solange kein Vorsatz vorliegt.

War Neckermann ein aussichtsloser Sanierungsfall?

Frege argumentiert in seinem Schriftsatz, die Geschäftsführer um den früheren Neckermann-Chef Henning Koopmann hätten spätestens am 23. Mai 2012 Insolvenzantrag stellen müssen, an diesem Tag seien die Verhandlungen zwischen Eigentümern und Betriebsrat gescheitert. Aber erst achteinhalb Wochen später war Neckermann offiziell insolvent. Zwischenzeitlich habe die Geschäftsführung "verbotswidrig" Millionen Euro ausgegeben, teilweise "ohne unmittelbare und gleichwertige Gegenleistung". Die Kontrolleure hätten ihre Überwachungspflichten verletzt. In den Akten haben die Insolvenzanwälte etwa Zahlungen an ausländische Tochterfirmen entdeckt, für Abfindungen und Marktforschung, aus denen sie die zweistellige Millionenforderung errechnen.

Die Gegenseite ist darüber empört. An dem Bild, das die von Frege beauftragte Kanzlei entwerfe, sei so gut wie nichts richtig, widersprechen die Anwälte von Koopmann und den anderen Geschäftsführern bei Gericht. Nach dem angeblichen Scheitern der Verhandlungen im Mai hätten Sun Capital und die Arbeitnehmervertreter stets weiterverhandelt und am Morgen des 18. Juli einen Kompromiss erreicht. Trotzdem habe der Investor die versprochenen 25 Millionen Euro nicht zugesagt - erst danach lag der Insolvenzantrag bei Gericht. "Wenn sich Geschäftsführer in Krisensituationen künftig so verhalten müssen, wie es der Kläger hier (...) darstellt", schreiben Koopmanns Verteidiger, "gäbe es in Deutschland keine zulässigen Sanierungsversuche mehr". Ein Sanierungsfall war Neckermann damals zweifellos. Aber war es auch ein aussichtsloser?

Der vierte Untergang einer einstigen Konsum-Ikone

Insolvenzverwalter Joachim Kühne bestätigte der SZ zwar, dass er und Frege "Haftungsansprüche gegen ehemalige Geschäftsführer und Aufsichtsratsmitglieder auf dem Klagewege" geltend machen, machte aber keine weiteren Angaben. Koopmann, der im Jahr 2009 von Quelle zu Neckermann gewechselt war, wollte die Vorwürfe der Kläger nicht kommentieren. Auch von den früheren Aufsichtsratsmitgliedern war keinerlei Stellungnahme zu bekommen.

Noch sind keine Verhandlungstermine angesetzt. Das Verfahren ist langwierig: Die beteiligten Anwälte haben bereits Hunderte Seiten Schriftsätze ausgetauscht, von denen viele amtlich ins Englische übersetzt werden müssen, weil Amerikaner und Briten unter den Beschuldigten sind. Die Beteiligten stehen vor einem jahrelangen Rechtsstreit; Gewerkschaftsvertreter und Betriebsräte, die damals im Aufsichtsrat saßen, müssen in dieser Zeit mit Millionenforderungen gegen sie leben. In vielen Fällen laufen solche Klagen auf einen Vergleich hinaus - wie im Fall einer anderen berühmten Pleite: Auch das Verfahren wegen fragwürdiger Boni und Abfindungen gegen frühere Vorstände und zwei Aufsichtsräte von Arcandor läuft noch, die Parteien verhandeln über einen Vergleich.

Die Neckermann-Pleite markierte seinerzeit nach Hertie, Quelle und Schlecker den vierten Untergang einstiger Konsum-Ikonen des Wirtschaftswunders. "Neckermann macht's möglich": Dieser Spruch war den Bundesbürgern jahrzehntelang vertraut. Die Marke Neckermann hat bis heute überlebt, als Online-Shop im Otto-Konzern. Der Frankfurter Handelskonzern wird noch eine ganze Weile in Gerichtsakten fortleben.

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SZ vom 27.04.2018/been
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