Es ist eine wahrhaft monströse Zahl, die Donald Trump da immer wieder voller Zorn ausspeit: 811 Milliarden Dollar - so hoch war im vergangenen Jahr das Defizit, das die Vereinigten Staaten im Warenaustausch mit ihren Handelspartnern in aller Welt verbuchten.
Aus Sicht des Präsidenten, der Handel nicht für ein Geschäft zum beiderseitigen Nutzen hält, sondern nur in Kategorien von Sieg und Niederlage denkt, ist eine solche Zahl eine nationale Erniedrigung, die er sich nicht länger bieten lassen will, weshalb er nun auch seine Verbündeten in der G-7-Gruppe brüskierte. Abhilfe schaffen sollen Importzölle und Einfuhrquoten auf Stahl und Aluminium, womöglich auch auf Autos. Das zielt insbesondere auf die Europäische Union, deren Exportüberschuss gegenüber den USA zuletzt 153 Milliarden Dollar betrug. Mehr als 40 Prozent davon entfielen allein auf Deutschland.
Doch stimmen die Zahlen überhaupt, mit denen die Amerikaner da hantieren? Sind sie die ganze Wahrheit, oder hat Trump etwas nicht kapiert? Glaubt man dem Münchner Ifo-Institut, dann sind es mitnichten die USA, deren Leistungsbilanz gegenüber der EU einen Fehlbetrag aufweist. Im Gegenteil, es seien die Europäer: Sie verbuchten allein 2017 ein Defizit von 14,2 Milliarden Dollar. "Das ist keine Wirtschaftsbeziehung wie Trump es darstellt, wo einer zahlt und einer bekommt", sagt Gabriel Felbermayr, Leiter des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft. "Das bedeutet, dass Europa in den Verhandlungen mit den USA sehr viel kraftvoller auftreten könnte, als man bisher geglaubt hat." Die Amerikaner seien beim Welthandel genauso verwundbar wie Europa.
Der Grund für die unterschiedlichen Ergebnisse liegt darin, dass die Münchener Wirtschaftsforscher in ihrer Rechnung nicht nur den Im- und Export von Waren berücksichtigen, sondern auch die übrigen Geldströme zwischen den USA und Europa. Schon wenn man den Warenverkehr nur um den Austausch von Dienstleistungen ergänzt, die beispielsweise amerikanische Internetkonzerne, Banken und Tourismusfirmen für ihre europäischen Kunden erledigen, ändert sich das Bild gewaltig: Die Vereinigten Staaten wiesen hier 2017 einen Überschuss von 51 Milliarden Dollar auf, der das Gesamtdefizit gegenüber der EU auf nur noch gut 100 Milliarden schrumpfen ließ.
Nimmt man nun noch das sogenannte Primär- und Sekundäreinkommen hinzu, kippt die Bilanz endgültig. Hinter dem Primäreinkommen verbergen sich vor allem die Gewinne, die die europäischen Töchter von Digitalkonzernen wie Apple, Amazon, Facebook und Google an die Muttergesellschaften in den USA überweisen. Hier erzielten die Vereinigten Staaten 2017 einen Überschuss in Höhe von 106 Milliarden Dollar, was zeigt, dass amerikanische Investments in der EU offensichtlich sehr viel lukrativer waren als europäische in den USA.
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Auffällig ist dabei, dass der Überschuss beinahe ausschließlich auf einem Plus der Amerikaner gegenüber den Niederlanden, Großbritannien und weiteren, nicht einzeln ausgewiesenen Ländern innerhalb der Euro-Zone beruht, das dürften vor allem Irland und Malta sein. Es sind exakt jene Länder in der EU, die als Steueroasen gelten und die US-Konzerne deshalb gern als ihren offiziellen europäischen Firmensitz wählen. Für die EU hat das auch politische Folgen, denn die Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten sind höchst unterschiedlich. Trump könnte das nutzen und zumindest den Versuch unternehmen, die Europäer gegeneinander auszuspielen.
Daten vermitteln deutlich eine Botschaft
Weniger bedeutend als das Primär- ist das Sekundäreinkommen, Geld also, das etwa in Europa lebende Amerikaner an Verwandte in der Heimat überweisen. Auch hier kommen die USA auf ein Plus in Höhe von zehn Milliarden Dollar, sodass sich unter dem Strich jener bescheidene Gesamtüberschuss in der Leistungsbilanz von gut 14 Milliarden Dollar ergibt. "Die Daten vermitteln sehr deutlich eine Botschaft: Wenn die USA ein Problem mit ihrer Leistungsbilanz haben, dann nicht wegen ihrer Transaktionen mit Europa, sondern wegen ihrer Transaktionen mit dem Rest der Welt", heißt es in der Ifo-Studie. Gemeint sein dürfte vor allem China.
Im Grunde belegen die Daten einen Befund, für den womöglich auch ein Blick auf die jeweils größten Unternehmen dies- und jenseits des Atlantiks gereicht hätte: Die USA haben einen gewaltigen Wettbewerbsvorteil im Servicebereich, insbesondere bei Finanz-, Unternehmens- und IT- Dienstleistungen. Die Europäer wiederum haben die Nase beim Bau von Autos, Maschinen und anderen Industrieprodukten vorn. Unter dem Strich ergibt sich damit eine amerikanisch-europäische Leistungsbilanz, die seit nunmehr zehn Jahren fast immer weitgehend ausgeglichen ist. Wäre man nicht Trump und betrachtete das große Ganze, könnte man sagen: Die globale Arbeitsteilung funktioniert.
Der US-Präsident jedoch tut weiterhin so, als sei er der Kapitän einer Fußball-mannschaft, die mit 0:5 zurückliegt und nun alles nach vorn wirft, um doch noch die Wende zu erzwingen - Rempeleien, rüde Attacken und taktische Fouls inklusive. Die Ifo-Untersuchung zeigt der Europäischen Union mögliche Ziele für einen Gegenangriff auf, sollte Trump seine Drohungen wahr machen und tatsächlich auch Einfuhrabgaben auf Autos einführen. "Dann wird es nicht reichen, Zölle auf ein paar zusätzliche Gemüsesorten zu erheben", sagt Felbermayr und richtet seinen Blick auf die IT- und Finanzdienstleister der USA. "Der Kern der amerikanischen Volkswirtschaft liegt woanders."