Süddeutsche Zeitung

Neue Zölle:China lässt sich Zeit

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Von Christoph Giesen, Peking, und Claus Hulverscheidt, New York, Peking/New York

Lange hatten sie gewartet in Peking. Am Montagmorgen: keine Nachricht. Mittags: immer noch nichts. So langsam wurden die ersten Mitarbeiter in den Ministerien doch etwas fahrig. "Reagieren wir noch - oder knicken wir diesmal ein?", wurden selbst ausländische Besucher etwas ratlos gefragt. Ganz sicher waren sich viele Beamte offenbar nicht mehr. Bisher hatte die chinesische Führung neue Strafzölle aus den USA meist binnen weniger Stunden beantwortet, diesmal jedoch herrschte seit drei Tagen Funkstille. Erst als der Abend hereinbrach in Peking und auf der anderen Seite des Globus, im Weißen Haus in Washington, die morgendlichen Twitter-Tiraden in Gang gesetzt wurden, drückte irgendwer im Apparat auf "Senden". Der Empfänger, US-Präsident Donald Trump, war schließlich wach. Auf Chinesisch und Englisch verkündeten die Behörden auf einer Regierungswebsite, dass China die Einfuhrgebühren auf knapp 2500 US-Produkte im Gesamtwert von 60 Milliarden Dollar zum 1. Juni auf bis zu 25 Prozent anhebt. Auf weitere Waren sollen ebenfalls Strafabgaben erhoben werden, allerdings mit niedrigeren Sätzen. Die "Anpassung" sei eine "Antwort auf den US-Unilateralismus und Handelsprotektionismus", teilten die Pekinger Behörden mit. China hoffe, dass die Vereinigten Staaten im Sinne gegenseitigen Respekts zur bilateralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zurückkehrten.

In der Nacht zum Freitag hatten die USA die Anhebung ihrer Sonderabgaben auf Importe aus China im Wert von 200 Milliarden Dollar in Kraft gesetzt. Die Zölle stiegen von bisher zehn auf 25 Prozent. Spätestens seitdem ist aus dem Handelskonflikt der beiden größten Volkswirtschaften der Welt ein offener Handelskrieg geworden. Der Dow-Jones-Index der New Yorker Aktienbörse sackte am Montag nach Handelsbeginn prompt um 400 Punkte ab.

Bemerkenswert an Pekings Konter ist jedoch, dass die chinesischen Zölle erst in knapp drei Wochen in Kraft treten sollen. Offenbar will sich die Führung des Landes die Möglichkeit für einen letzten Verhandlungsversuch offenlassen. Zuvor hatten Chinas Antworten stets sofort gegolten - etwa im letzten Frühjahr, als die Auseinandersetzung begann. Zuerst ging es um drei Milliarden Dollar - kaum hatten die USA die Zölle verkündet, zog China nach. Dann 34 Milliarden und noch einmal 16 Milliarden Dollar. Im September verhängte Trump weitere Abgaben, zehn Prozent auf chinesische Waren im Wert von 200 Milliarden Dollar. Da konnte Peking nicht mehr mithalten: China importierte zuletzt nur Güter für gut 120 Milliarden Dollar aus den Vereinigten Staaten. Man reagierte deshalb mit neuen Zöllen auf jene Waren im Wert von 60 Milliarden Dollar, auf die nun bald bis zu 25 Prozent fällig werden sollen.

Trump hat seine Warnung nicht zu Ende gedacht

Unmittelbar vor der Bekanntgabe der Entscheidung hatte Trump noch einmal davor gewarnt, Vergeltung für die neuen US-Zölle zu üben. Wenn die Volksrepublik zurückschlage, werde "alles nur noch schlimmer", schrieb er bei Twitter. Schon jetzt sei es so, dass Firmen aus China etwa nach Vietnam abwanderten, um den amerikanischen Strafabgaben zu entgehen. Dieser Trend werde sich so lange fortsetzen, "bis niemand mehr übrig geblieben ist in China, mit dem man Geschäfte machen kann". Er könne Staats- und Parteichef Xi Jinping "und meinen vielen Freunden in China" deshalb nur raten, umgehend ein Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten zu schließen. Mit seinen Ausführungen führt Trump allerdings sein eigenes Ansinnen ad absurdum, das hohe US-Handelsbilanzdefizit abzubauen: Sollten nämlich Firmen ihre Produktion tatsächlich von China nach Vietnam verlagern, sinkt zwar das US-Defizit gegenüber der Volksrepublik. Dafür verschlechtert sich aber die Bilanz gegenüber Vietnam. Unter dem Strich verbessert sich also für die USA gar nichts.

Trump verwahrte sich zudem gegen Kritik im eigenen Land, die US-Zölle auf chinesische Warenlieferungen müssten von den amerikanischen Verbrauchern bezahlt werden. Richtig sei vielmehr, dass der Großteil der Kosten an den chinesischen Exporteuren hängen bleibe. Die Strafabgaben hätten auch maßgeblich dazu beigetragen, dass das Wirtschaftswachstum der USA im ersten Quartal 2019 mit 3,2 Prozent höher ausgefallen sei als erwartet. "Manche kapieren es einfach nicht", so der Präsident. Fast alle Ökonomen, die sich in den letzten Wochen zu den Folgen der US-Zölle geäußert haben, halten derlei Behauptungen Trumps allerdings für falsch. Selbst Larry Kudlow, der oberste Wirtschaftsberater des Präsidenten, hatte am Wochenende eingeräumt, dass ein beträchtlicher Teil der Kosten von den Endkunden getragen werden müsse. "Beide Seiten zahlen", sagte Kudlow in Trumps bevorzugtem Fernsehsender Fox News. Dem stünden jedoch die gewaltigen Vorteile einer wirtschaftlichen Öffnung Chinas gegenüber, die Trump mit seinen Zöllen erzwingen will.

Die Behauptung des Präsidenten, dass China der einzig Leidtragende der Zölle sei, ergäbe nur dann Sinn, wenn die USA Produkte statt in der Volksrepublik von sofort an in anderen Ländern einkauften. Das ist aber - zumindest kurz und mittelfristig - gar nicht möglich. Die Möbelgeschäfte in den Vereinigten Staaten etwa beziehen rund die Hälfte ihrer Importwaren aus China, ein rascher Wechsel des Anbieters kommt schon allein aufgrund der schieren Menge an Bestellungen nicht infrage. Vielmehr war es bisher so, dass die US-Verkäufer chinesischer Produkte nach der Einführung eines Zolls einfach die Preise erhöhten und die Mehrkosten auf die Konsumenten abwälzten. Waschmaschinen etwa, auf die Trump seit über einem Jahr Zölle erhebt, wurden im Schnitt um zwölf Prozent teurer - im Übrigen auch jene, die in den Vereinigten Staaten selbst gefertigt wurden, weil die amerikanischen Hersteller sich die Gelegenheit nicht entgehen ließen, ihrerseits die Preise zu erhöhen. Steigerungen, die in den kommenden Wochen wohl zum Alltag gehören werden.

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SZ vom 14.05.2019
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