Süddeutsche Zeitung

Handelspolitik:Schneller strafen

Die EU-Kommission kann künftig einfacher Zölle verhängen. Die Änderungen sind nötig, weil die Welthandelsorganisation gelähmt ist.

Von Björn Finke, Brüssel

Schon seit 13 Monaten hat die Welthandelsorganisation WTO kein funktionierendes Berufungsgericht mehr. Daher können die Genfer Handelswächter bei Streitigkeiten zwischen ihren 164 Mitgliedern keine rechtskräftigen Urteile fällen. Am Dienstag machte nun das Europaparlament den Weg dafür frei, dass die EU trotz dieser Malaise bei Disputen handlungsfähig bleibt - und zum Beispiel Strafzölle verhängen kann. Die Abgeordneten nahmen mit großer Mehrheit Änderungen bei der Verordnung an, die Aufgaben und Befugnisse der EU-Kommission in der Handelspolitik regelt. Jetzt muss nur noch der Ministerrat als Gesetzgebungsgremium der Mitgliedstaaten zustimmen, doch das ist eine reine Formalie.

Bislang schreibt die Verordnung vor, dass die EU erst dann Vergeltungsaktionen starten darf, wenn ein WTO-Verfahren komplett abgeschlossen ist. Das Problem: Erhält die EU von den WTO-Streitschlichtern Recht und damit die Erlaubnis, Strafzölle einzuführen, könnte der Gegner Berufung einlegen. Da das Gericht im Moment nicht arbeitsfähig ist, würde der Prozess aber auf Eis liegen und Brüssel keine letztinstanzliche Genehmigung erhalten. Dank der beschlossenen Änderungen der Verordnung darf die Kommission jetzt auch in diesen Fällen Zölle verhängen, ohne beendetes WTO-Verfahren. "Wir können damit unsere Interessen selbst unter diesen besonderen Umständen verteidigen", sagt der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange, der dem Handelsausschuss vorsitzt.

Schuld am Kollaps des Berufungsgerichts tragen die USA. Die amerikanische Regierung wirft dem Gremium Kompetenzüberschreitung vor und blockiert daher die Ernennung neuer Richter. Im Dezember 2019 lief die Amtszeit zweier Juristen aus, womit die Mindestanzahl an Richtern unterschritten war. Die EU hofft jedoch, sich mit dem neuen US-Präsidenten Joe Biden, der an diesem Mittwoch sein Amt antritt, auf eine WTO-Reform einigen und die Blockade aufheben zu können.

Die Änderungen an der Verordnung haben auch Folgen für Handelsverträge der EU, etwa den mit Großbritannien: Diese Abkommen, die Zölle abschaffen, sehen ebenfalls Streitschlichtungsverfahren vor. Gerade läuft eins zwischen der EU und Südkorea, weil Brüssel dem Partner vorwirft, Sozialstandards nicht einzuhalten. Verweigern die Vertragspartner die Mitarbeit oder verzögern das Procedere, kann die Kommission künftig Strafen verhängen, ohne auf den Abschluss des Prozesses warten zu müssen.

Die Kommission präsentierte bereits im Dezember 2019 den Änderungsvorschlag. Im Oktober einigten sich dann EU-Parlament und Ministerrat auf einen Kompromiss. Den Abgeordneten gelang es, Verschärfungen durchzusetzen. Verhält sich ein Handelspartner unfair, kann die Kommission bislang nur Strafen im Güterhandel verhängen - Zölle und Mengenbeschränkungen - oder beim Zugang zu staatlichen Ausschreibungen. Künftig kann die Behörde auch Einschränkungen beim Handel mit Dienstleistungen oder geistigem Eigentum festlegen. Der EU-Unternehmerdachverband Business-Europe begrüßt die Überarbeitung der Verordnung "angesichts wachsender Handelsstreitigkeiten" als "notwendig und von entscheidender Bedeutung".

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