Weltwirtschaft:US-Handelsdefizit mit China ist viel kleiner als gedacht

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  • Die USA haben ein großes Handelsbilanzdefizit, beklagt US-Präsident Trump. Deswegen erwägt er zusätzliche Zölle auf Importe aus China.
  • Doch die Exportwirtschaft funktioniert anders als Trump glaubt: Wenn man berücksichtigt, dass viele US-Firmen direkt in China produzieren und dort Waren verkaufen, schrumpft das Defizit gewaltig.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Glaubt man Donald Trump, dann ist Handel eine ziemlich einfache Angelegenheit: Zwei Parteien verkaufen sich gegenseitig ihre Produkte, und wer damit am Ende mehr Geld macht, ist der Ausgekochtere von beiden. Der Gerissenere. Der Abgezocktere. Kein Wunder, dass den US-Präsidenten die Defizite, die die USA alljährlich im Warenverkehr etwa mit der EU und China verbuchen, so sehr fuchsen. Wer steht schon gerne als der Gehörnte da.

Die Realität ist eine andere, wie Volkswirte in aller Welt seit Monaten nicht müde werden zu betonen. Ob ein Land ein Defizit oder einen Überschuss in der Leistungsbilanz erzielt, hat weniger mit Cleverness oder schlecht verhandelten Verträgen zu tun, als mit zahlreichen anderen Faktoren: mit Angebot und Nachfrage, mit Anlage- und Investitionsentscheidungen, mit Demografie, Sparneigung, Haushaltslöchern. Selbst der gewaltige Handelsüberschuss Chinas gegenüber den USA schrumpft auf eine Restgröße zusammen, wenn man ihn in einen größeren Kontext stellt. Darauf verweisen die Ökonomen Zhiwei Zhang und Yi Xiong von der Deutschen Bank in New York, die sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden weltweit größten Volkswirtschaften 2015 genauer angesehen haben - dem letzten Jahr, für das umfassende Statistiken vorliegen.

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Richtig ist zunächst: China lieferte seinerzeit Waren und Dienstleistungen im Wert von 499 Milliarden Dollar in die USA. Amerikanische Firmen hingegen kamen auf Exporte von lediglich 165 Milliarden Dollar. Machte unter dem Strich ein US-Defizit von 334 Milliarden Dollar (2017 war die Zahl praktisch identisch).

Richtig ist aber auch: Während chinesische Firmen so gut wie alle Waren, die sie in den Vereinigten Staaten verkaufen, daheim herstellen und dann per Schiff übers Meer schicken, produzieren viele US-Unternehmen einen großen Teil ihres China-Absatzes direkt in der Volksrepublik. Zugleich stammen viele der Waren, die aus der Volksrepublik in die USA strömen, gar nicht von chinesischen Herstellern, sondern von japanischen, koreanischen und anderen Firmen, die China lediglich als Produktionsstandort nutzen.

Rechnet man beide Faktoren ein, um ein genaueres Bild des Einflusses amerikanischer und chinesischer Firmen auf die jeweils andere Volkswirtschaft zu erhalten, ergibt sich eine "aggregierte Absatzbilanz" mit einem US-Defizit von nur noch 30 Milliarden Dollar. Das ist nicht einmal ein Zehntel des offiziellen Werts.

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Zhiwei und Yi schätzen auf Basis ihrer Berechnungen, dass sich dieses aggregierte Defizit der Vereinigten Staaten in den vergangenen beiden Jahren gar in einen Überschuss von 20 Milliarden Dollar verwandelt hat. Grund ist der wachsende Wohlstand in China, der es mehr Bürgern erlaubt, teure, qualitativ bessere, häufig direkt in der Volksrepublik hergestellte US-Produkte zu kaufen. Schon heute besitzen mehr Chinesen als Amerikaner ein iPhone oder kaufen ein Auto aus dem General-Motors-Imperium.

Dieser Trend dürfte sich der Studie zufolge in den kommenden Jahren noch deutlich verstärken, weil der Absatz amerikanischer Firmen in China seit Jahren mehr als doppelt so schnell wächst wie der Export chinesischer Waren in die USA. Für 2020 rechnen Zhiwei und Yi mit einem aggregierten Absatzüberschuss der Vereinigten Staaten gegenüber der Volksrepublik von mehr als 100 Milliarden Dollar.

Dabei ist das Phänomen nicht auf China beschränkt: Laut Untersuchung haben US-Firmen seit 2005 Jahr für Jahr mehr Waren im Rest der Welt verkauft als Unternehmen aus dem Rest der Welt in den USA. Unter dem Strich sei der Absatzüberschuss der Vereinigten Staaten seit 2005 von 200 auf zuletzt rund 900 Milliarden Dollar gestiegen. Zwar mag Trump argumentieren, dass den Arbeitnehmern in den USA wenig gedient ist, wenn amerikanische Firmen außerhalb des Landes produzieren.

Doch selbst diesem Argument widersprechen die Deutsche-Bank-Experten: "Die Aktivitäten multinationaler US-Unternehmen helfen dabei, die Wirtschaft und die Beschäftigung auch in den USA selbst anzukurbeln", schreiben die beiden Ökonomen.

Eine kurze Lehrstunde in Sachen Volkswirtschaftslehre erhielt Trump zu Wochenbeginn auch vom chinesischen Außenminister Wang Yi. "Die USA behaupten ja oft, dass sie über den Tisch gezogen werden", sagte Wang bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem britischen Außenminister Jeremy Hunt in Peking. "Das ist so, als würde jemand in einem Supermarkt ein Produkt für 100 Dollar kaufen, das Produkt in der Hand halten und dann klagen, ihm fehlten 100 Dollar im Portemonnaie."

© SZ vom 01.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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