Süddeutsche Zeitung

Handelsabkommen:Ceta ist eine Gefahr für die Demokratie

Das geplante Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada schafft eine Paralleljustiz und beherrscht alles - ohne demokratische Kontrolle.

Gastbeitrag von Peter Gauweiler

Das "Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen" ("Comprehensive Economic and Trade Agreement - Ceta"), das zwischen der EU und Kanada demnächst unterzeichnet und ratifiziert werden soll, ist eine Gefahr für die Demokratie. Warum?

Das ist nicht so leicht zu erkennen, denn Ceta ist praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit zwischen der EU-Kommission und der kanadischen Regierung ausgehandelt worden. Das Vertragswerk ist ein Konvolut, das einschließlich der Anlagen, die Vertragsbestandteile sind, mehr als zweitausend Seiten umfasst. Der Vertrag ist unübersichtlich aufgebaut; es ist kaum möglich, ihn ohne Hilfe von Experten zu verstehen.

Der Autor

Der Rechtsanwalt Peter Gauweiler, 67, legte 2015 sein Amt als CSU-Vize und sein Bundestagsmandat aus Protest gegen die Euro-Rettungspolitik nieder. Seine Verfassungsbeschwerde gegen den Lissabon-Vertrag hatte 2009 teilweise Erfolg.

Manche sagen, dass das Absicht sei. Demokratische Kontrolle scheint nicht erwünscht zu sein. Die Parlamente, die demnächst entscheiden sollen und denen erst seit Anfang Juli eine Übersetzung in ihrer Landessprache vorliegt, sind hoffnungslos überfordert. Es ist alles fertig ausgehandelt. Irgendeinen Einfluss auf die Verhandlungen hatten die Parlamente nicht.

Die Legende vom guten Ceta und bösen TTIP

Man muss zunächst eine Legende korrigieren: die vom guten Ceta als Alternative zum bösen TTIP, wo Washington mit Brüssel ins Geschäft kommen will. Ceta lässt die US-Multis meist ebenso profitieren wie kanadische Unternehmen: Wickeln sie ihre Geschäfte mit Europa über kanadische Tochtergesellschaften ab, wird Ceta für sie anwendbar sein. Selbst wenn TTIP scheitert, käme so sein wesentlicher Inhalt durch die Hintertür von Ceta.

Warum ist auch Ceta für die Demokratie von Übel? Das erste Problem heißt "vorläufige Anwendung". Das Ceta-Konvolut soll für Deutschland bindend werden, obwohl sich der Bundestag überhaupt noch nicht damit befasst, geschweige denn darüber abgestimmt hat. Die EU schafft mit der für Oktober angekündigten Zustimmung zur vorläufigen Anwendung von Ceta also für Deutschland verbindliches Recht, ohne dass dem ein parlamentarisches Verfahren vorausgegangen ist - man nennt eine solche Kompetenzüberschreitung jenseits der (rechtsstaatlichen) Gewalten "ultra-vires".

Der Ceta-Ausschuss ist nicht demokratisch legitimiert

Demokratie-Gefährdung zum Zweiten: Die Ceta-Anwendung liegt in den Händen eines Gremiums, das nicht demokratisch legitimiert ist. An Stelle der Volksvertretungen und ihrer Parlamentsausschüsse soll ein "Gemischter Ceta-Ausschuss" die Regelungen des Vertrags auslegen, abändern und neue Auslegungen vornehmen dürfen. Diese Festlegungen und Fortschreibungen sollen - Demokratieproblem zum Dritten - für eine neu gebildete Ceta-Justiz verbindlich sein, die zur staatlichen Justiz parallel läuft. Mitglieder dieses allmächtigen Gremiums sollen auf europäischer Seite nur Funktionsträger der EU sein, nicht aber Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten, die von den Volksvertretungen ihrer Heimatländer kontrolliert werden könnten.

Der Ceta-Ausschuss soll mit seinen Entscheidungen neues "Recht" schaffen, das auch in Deutschland gelten, aber nicht - auch nicht indirekt - von den Wählern in Deutschland legitimiert sein soll. Dass die Bildung solcher Gremien an den Parlamenten vorbei mit dem im Grundgesetz garantierten Demokratieprinzip unvereinbar ist, hat das Bundesverfassungsgericht auf meine Klage hin bereits mit seinem Urteil zum Vertrag von Lissabon entschieden.

Ceta und Verbraucherschutz: Wir sind in Deutschland und Europa stolz darauf, das Vorsorgeprinzip durchgesetzt zu haben. Dieses Prinzip wird im Anwendungsbereich von Ceta ausdrücklich nicht mehr abgesichert und damit faktisch aufgegeben. Das hilft dem nordamerikanischen Ansatz, dass ein Stoff oder ein Produkt nur verboten werden darf, wenn seine Gesundheits- oder Umweltschädlichkeit wissenschaftlich bewiesen ist. In Deutschland und Europa darf bislang umgekehrt ein neuer Stoff nur dann verwendet werden, wenn seine Unbedenklichkeit in einem Zulassungsverfahren nachgewiesen ist.

Die neue Regelung kann auch dazu führen, dass der Gesetzgeber künftig nicht mehr frei entscheiden kann, welche Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge noch in staatlicher oder kommunaler Eigenregie geführt werden dürfen. Natürlich kann man über die Sinnhaftigkeit der Systeme streiten. Das ist ein Ausdruck unterschiedlicher Definition des öffentlichen Interesses auf beiden Seiten des Atlantik.

Der nicht abwählbare große Bruder

Diese Definition des öffentlichen Interesses wird in der Demokratie durch streitige Auseinandersetzungen und durch Wahlen immer wieder neu geklärt - nicht aber durch einen nicht abwählbaren großen Bruder vom gemischten Ceta-Ausschuss. So verstößt die Abkehr vom Vorsorgeprinzip auch gegen den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Indem die EU einen solchen Vertrag abschließt, überschreitet sie den Rahmen der Kompetenzen, die ihr von den Parlamenten der Mitgliedsstaaten übertragen worden sind - auch insofern handelt sie ultra vires.

Um das alles reibungslos funktionieren zu lassen, schafft Ceta eine Paralleljustiz: Eine EU-Neuschöpfung namens "Investitionsgerichtshof" soll über Klagen ausländischer Konzerne gegen die Bundesrepublik Deutschland (und die deutschen Länder) letztinstanzlich entscheiden können. Umwelt- oder Gesundheitsschutzgesetze verstoßen laut Ceta nicht gegen den Vertrag. Tatsächlich enthält Ceta diesbezüglich aber völlig unbestimmte Formulierungen. Beispielsweise die Verpflichtung der Staaten zu einer "gerechten und billigen Behandlung" der Investoren - was das dann im Einzelfall alles heißen kann, entscheidet der "Gemischte Ceta-Ausschuss", kontrolliert vom "Investitionsgerichtshof".

Niemand versteht und keiner kontrolliert Ceta, das alle beherrscht

Bislang eröffnen und garantieren Deutschland und Kanada als Rechtsstaaten allen Rechtsuchenden - auch internationalen Investoren - den Zugang zum Recht über die staatliche Gerichtsbarkeit. Über Auslegungsfragen entscheidet bis dato eine unabhängige rechtsprechende Gewalt durch Richter, deren persönliche Unabhängigkeit in fachlicher und finanzieller Hinsicht garantiert und gewährleistet wird. Bei der Regelung des Welthandels und ihrer Handelsbeziehung arbeiten beide Länder seit Langem erfolgreich zusammen, in der Welthandelsorganisation WTO und im Allgemeinen Zoll- und Handelsübereinkommen Gatt.

Durch Ceta und TTIP besteht die Gefahr, den so erreichten Zusammenhang von Marktwirtschaft, Rechtsstaat und Demokratie zu zerstören. Über den Verfassungsbestand unserer westlichen Rechtsstaaten soll ein globales Regelwerk gewölbt werden, das niemand versteht, keiner kontrolliert und alle beherrscht - eine Art weltliche Scharia des Manager-Kapitalismus. Die Parteien der großen Koalition sind höflichst gebeten, vor dieser Gefahr die Augen nicht mehr zu verschließen.

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Quelle:
SZ vom 15.09.2016/ees
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