Süddeutsche Zeitung

Handel:Wir sind so frei

Die EU steht kurz vor dem Abschluss eines neuen Handelsabkommens mit Mexiko. Sie wollen ein deutliches Zeichen gegen die Abschottung der USA setzen.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Ildefonso Guajardo Villarreal hat einen klaren Auftrag: Bis Ende dieser Woche soll der mexikanische Wirtschaftsminister den Durchbruch schaffen. Sein Land und die Europäische Union stehen kurz vor dem Abschluss eines neuen Freihandelsabkommens. Wenn alles klappt, soll noch vor Weihnachten eine Grundsatzeinigung verkündet werden. Beide Verhandlungspartner wollen damit ein deutliches Zeichen gegen die Abschottungspolitik von US-Präsident Donald Trump setzen. Doch bis soweit ist, sind noch einige Hürden aus dem Weg zu räumen.

Am Dienstag wurde der Minister aus Mexiko bei EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström in Brüssel vorstellig. Und weil klar ist, dass es im "Endspiel" der Verhandlungen auch um Lebensmittel geht, wird er an diesem Mittwoch Agrarkommissar Phil Hogan treffen. Der Ire ist bekannt für seine durchaus hemdsärmelige Verhandlungsführung; er nimmt jedenfalls kein Blatt vor dem Mund. Denn am Ende geht es, wie so oft bei Handelsverträgen, um das, was auf den Teller kommt.

Es sind zwei Buchstaben, die bei den Verhandlungspartnern der EU regelmäßig für Verzweiflung sorgen: GI. Die Abkürzung steht für geographical indications, also geografische Herkunftsbezeichnungen. Die Europäische Union legt besonderen Wert darauf, dass Parmesan oder Feta nur auf der Packung stehen darf, wenn der Käse auch tatsächlich aus bestimmten Regionen kommt. Dasselbe gilt für Champagner oder Schwarzwälder Schinken. Im Fall von Mexiko geht es vor allem um italienischen Mozzarella und spanischen Queso Manchego. Die EU will verhindern, dass diese von mexikanischen Herstellern produzierten Käsesorten in europäischen Supermärkten landen. Die Südamerikaner wiederum sehen nicht ein, warum das nicht möglich sein soll.

Doch das ist bei Weitem nicht alles. Neben diesem plakativen Thema geht es in den Verhandlungen noch um Fragen des gegenseitigen Marktzugangs, Maßnahmen gegen Korruption und die für europäische Unternehmen entscheidenden Vergabekriterien bei öffentlichen Aufträgen. Die Verhandlungskapitel Wettbewerb, Transparenz sowie die Vereinbarungen für kleine und mittlere Unternehmen sind hingegen abgeschlossen.

Eine Blamage wie bei Ceta wollen die Europäer auf jeden Fall vermeiden

Offen ist noch das brisante Thema des Investorenschutzes. Aus Verhandlungskreisen heißt es allerdings, dass die Parteien auch darauf verzichten könnten, um möglichst schnell eine Grundsatzeinigung zu erzielen. Die EU ist nach dem Widerstand der belgischen Region Wallonie beim Ceta-Vertrag mit Kanada ohnehin dazu übergegangen, Handelsabkommen aufzuteilen. So sollen all jene Teile eines Paktes, die von nationalen Parlamenten verabschiedet werden müssen, vom Rest des Abkommens getrennt werden. Dazu zählt auch der Investorenschutz. Eine öffentliche Blamage wie bei Ceta will die EU jedenfalls nicht mehr erleben.

Im Gegenteil: Die Europäer wollen sich als Gegenpol zu Trumps America-First-Politik positionieren. Sie sind entschlossen, jenes Vakuum füllen, das die USA als einstmaliger free-trader of the world auf internationaler Bühne hinterlassen haben. Das Abkommen mit Mexiko sei, wie schon der kürzlich geschlossene Vertrag mit Japan, von "großer strategischer und geopolitischer Bedeutung", heißt es in Brüssel. Es geht darum, Märkte zu besetzen, bevor es zum Beispiel die Chinesen tun. Und es geht darum, ein Zeichen gegen den Protektionismus der Vereinigten Staaten zu setzen. Trump bedroht in den Augen der Europäer das System des globalisierenden Freihandels, dem der Westen seit dem Zweiten Weltkrieg folgt.

Auch Mexiko hat bei all dem seinen nördlichen Nachbarn im Blick. So ist die Zukunft des Freihandelsabkommens Nafta zwischen den Vereinigten Staaten, Kanada und Mexiko völlig ungewiss. Trump hatte angekündigt, den Vertrag zu kündigen. Noch ist es nicht so weit, noch wird verhandelt, aber aus Sicht der Mexikaner stellen die USA unverschämte Forderungen, die zu Lasten ihrer Industrie gehen würden.

Mexiko ist mit seinen gut 130 Millionen Einwohnern nicht nur ein begehrter Markt, sondern auch ein bedeutender Produktionsstandort für die europäische Wirtschaft, insbesondere der deutschen Industrie. Seit dem Jahr 2000 gibt es eine Art abgespeckten Freihandelsvertrag mit Mexiko, das sogenannte Global Agreement. Dieses umfasst unter anderem die Bereiche Maschinenbau und Autos. Das nun angestrebte Abkommen würde den bestehenden Pakt um gleich mehrere Sektoren erweitern: Finanzdienstleistungen, E-Commerce und allen voran Landwirtschaft.

Im Jahr 2015 wurden aus der EU Waren im Wert im von knapp 34 Milliarden Euro nach Mexiko exportiert. Die Einfuhren nach Europa lagen bei etwa 19 Milliarden Euro. Die Länder der Europäischen Union sind damit der drittwichtigste Handelspartner Mexikos nach den USA und China. Allein der deutsch-mexikanische Handel belief sich im vergangenen Jahr auf gut 16 Milliarden Euro.

Die Bundesregierung steht deshalb hinter dem geplanten Abkommen und forciert zugleich jenes mit den vier Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Dieser Handelsvertrag soll vor allem den Export von Industriegütern und Lebensmitteln anfachen, könnte aber den Schutz der europäischen Verbraucher schwächen. Das zeigen Passagen der mehrere Hundert Seiten langen Verhandlungstexte. Unter anderem will die EU den Export aus südamerikanischen Lebensmittelbetrieben akzeptieren, ohne diese vorher zu begutachten. Anders als bei Mercosur sind die Vertragstexte des Mexiko-Abkommens bislang geheim geblieben.

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SZ vom 20.12.2017
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