Handel:Wie der Laden wirklich läuft

Women walk through Mall of Berlin shopping centre during its opening night in Berlin

Mall of Berlin am Leipziger Platz: Das Einkaufsparadies lockt auch anderswo - und zwar im Netz.

(Foto: Thomas Peter/Reuters)

Alles ist anders im Handel, seit die Menschen im Internet einkaufen. Viele beschwören, dass sich Online und Offline aufeinander zu bewegen. Doch das ist eine Illusion.

Von Hannah Wilhelm, Berlin

Wer wird überleben? Und wie? Das sind die Fragen, die gerade viele Einzelhändler quälen. Die ganz Großen, aber auch die Kleinen. Auf dem Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung in Berlin werden die Fragen diskutiert und auch der Deutsche Handelskongress, der kürzlich in der Hauptstadt stattfand, kannte kaum ein anderes Thema. Denn alles ist anders, seit die Menschen im Internet einkaufen. Wie anders - das zeigt sich erst jetzt so richtig. "Die Kunden haben sich verändert", sagt Nina Hugendubel von dem großen Buchhändler auf dem Podium "Handel 4.0" beim SZ-Wirtschaftsgipfel.

Dass sich jetzt erst das Ausmaß der Entwicklung zeigt, liege auch daran, dass die Deutschen sich traditionell Zeit ließen mit Innovationen, sagt Thorsten Dirks von Telefónica Deutschland. Aber dafür gehe es meistens umso schneller, wenn die Deutschen sich einer Entwicklung erst mal angenommen hätten. Viele beschwören, dass sich ja nun Onlinehandel und stationärer Handel auch aufeinander zu bewegen. Doch es bleibt: Vor allem sind sie Konkurrenten. "Natürlich kann man sagen, das birgt Chancen und es gibt eine Entwicklung aufeinander zu", sagt Manuel Jahn, Handelsexperte bei der Gesellschaft für Konsumforschung GfK. "Aber die harte Wahrheit ist: Jeder Umsatz, der im Netz gemacht wird, fehlt woanders." 5500 Euro gibt jeder Deutsche im Schnitt im Jahr aus. Um diesen Betrag buhlen alle Anbieter. Mittlerweile beträgt der Anteil vom Online- am gesamten Einzelhandel 8,9 Prozent. Tendenz steigend.

Bis 2010 war das alles noch nicht so besorgniserregend. Bis zu dem Zeitpunkt ersetzten die Deutschen vor allem ihren traditionell heiß geliebten Katalog durch das Internet. Aber dabei blieb es nicht. Früher bestellten die Deutschen 15 Prozent ihrer Kleidung per Katalog. Heute ordern sie fast 25 Prozent im Internet. Es verliert: der stationäre Handel. 2014 sei das erste Jahr, in dem der Umsatz des stationären Handels zurückgeht, obwohl es keine Krise gibt - so die Zahlen der GfK. Ein Prozent weniger, "das scheint nicht viel zu sein, aber es handelt sich ja um eine Durchschnittszahl", so Jahn. Will heißen: Auf der Münchner Einkaufsstraße wird zwar noch mehr verdient, aber dafür gibt es in manchen Regionen viel höhere Rückgänge. Existenzbedrohende Rückgänge.

"Die Menschen sitzen mit dem iPad auf dem Sofa und lassen sich treiben."

Die Entwicklung läuft schnell. Schon jetzt gelten Annahmen von vor drei Jahren über die unterschiedlichen Funktionen von online und offline nicht mehr. Damals hieß es: Im Netz kauft man rational ein, vergleicht am PC sitzend Preise und Produkte, kalkuliert knallhart. Den Shopping-Effekt, den gibt es nur in Einkaufsstraßen, dort lässt man sich verführen. "Diese Annahmen sind Old School", so Jahn. "Kaum einer kauft mehr am PC. Die Menschen sitzen mit dem iPad auf dem Sofa und lassen sich treiben." Nichts da Verstand.

Denn die Onliner, oft kleiner und wendiger als die alteingesessenen Händler, haben gelernt: Sie haben hart daran gearbeitet, aus dieser Ecke rauszukommen. "Es gibt die drei klassischen Vorteile des Handels und in allen hat der Onlinehandel aufgeholt", erklärt Kai Hudetz, Geschäftsführer des privaten Instituts für Handelsforschung in Köln. Das ist zunächst: Sehen, Fühlen, Anfassen. "Da bieten Onlineshops mittlerweile viel, es gibt Avatare, denen der Kunde Kleidung anziehen und sie laufen lassen können", so Hudetz. Zum zweiten: die Verfügbarkeit. "Wenn jemand etwas kauft, möchte er es gerne sofort haben und nicht erst in einer Woche. Auch da probieren die Onliner vieles." Ebay testet in Berlin zum Beispiel gerade die Lieferung am selben Tag. Und zum Dritten: "Information und Beratung. Auch da holt das Internet auf. Es gibt mittlerweile Live-Beratungs-Chats und Beratung per Video."

Ein Beispiel dafür, dass Online auch beraten kann, ist die Outfittery. "Wir haben das Beste aus beiden Welten kombiniert", erklärt Julia Bösch, Mitgründerin der Herren-Boutique im Internet. Der Kunde klickt sich durch Bilder durch, gibt an, was ihm gefällt und was er niemals tragen würde - und eine Beraterin von Outfittery schickt ihm daraufhin mögliche Outfits zu. Auf solche Konkurrenz muss sich der Einzelhandel einstellen. Nicht so einfach, sagt Jahn von der GfK, denn große Handelsunternehmen haben seit Jahrzehnten ihr Ding gemacht, sind oft unflexibel. "Der Vorteil von großen Konzernen ist natürlich, dass sie mehr Mittel für Innovationen und Testkonzepte aufbringen können."

Beispiel Metro: Der Handelskonzern investiert viel, um zu wissen, was die Kunden wollen. "Wir versuchen, die komplette Philosophie unseres Unternehmens zu ändern", sagt Metro-Vorstandsvorsitzender Olaf Koch. Dafür gibt es die Future Store Initiative. Was hier entwickelt wird, zeigt auch, wie die Grenzen zwischen Online- und stationärem Handel verschwimmen. Denn natürlich stehen sich beide Seiten weniger abgegrenzt gegenüber als noch vor drei Jahren "Das Offline geht Online und das Online geht Offline", sagt Jahn.

Interaktive Spiegel, in denen Kunden virtuell Kleider anprobieren können? "Hat nicht so funktioniert."

Sehr erfolgreich läuft zum Beispiel beim Media Markt das Angebot, Waren online zu bestellen und sich dann in die Filiale liefern zu lassen. Koch: "50 Prozent der Kunden lassen in den Store liefern, das hätten wir nie gedacht. Wir hätten mit 20 Prozent gerechnet." Damit lockt der Markt natürlich Kunden in die Läden, die weitere Dinge kaufen. "Der Erfolg kommt vor allem daher, dass vielen Menschen die letzte Meile Probleme bereitet", erklärt Hudetz, das heißt: dass sie das Paket bei der Post, einem Paketshop oder genervten Nachbarn abholen müssen, falls sie mal nicht zu Hause waren. "Da müssen sich die Onlinehändler noch etwas überlegen, das muss und wird auch besser werden." Probiert wird gerade auf beiden Seiten vieles und das ist gut so. Denn: "Es gibt im Handel zurzeit viel Erfolg und viel Misserfolg. Das liegt nah beieinander", so Jahn. Nur wer probiert, kann einen Weg finden, der funktioniert - und überleben. Er ist sich sicher: "Die Kombination aus Online und Offline wird die Zukunft sein."

"Wir haben mit interaktiven Spiegeln experimentiert, in denen Kunden virtuell Kleider anprobieren können", sagt Koch und lacht: "Hat nicht so funktioniert." Metro probiert auch vieles in Sachen Smartphone. Experimentiert wird damit, den Kunden individuelle Rabattangebote auf das Handy zu schicken, wenn er im Laden unterwegs ist. Technisch ist sehr vieles denkbar. Auch Gesichtserkennung und Zahlung per Fingerabdruck. Die Frage ist, wo es dem Kunden unheimlich und zu viel wird, sagt Hudetz. Er sieht die großen Chancen für den stationären Handel im Kampf um die 5500 Euro, die der Einzelne in Deutschland jedes Jahr ausgibt, jedoch woanders: "Die Läden müssen sich auf ihre klassischen Stärken besinnen, die sie zeitweise aus dem Blick verloren haben. Sie müssen mehr geschultes Personal bieten, gute Beratung und Service."

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