Handel:Wie der Bund die Verbraucher mit Produktsiegel-Portalen verwirrt

Supermarkt

Im Laden fällt die Auswahl eines fair hergestellten Produkts oft schwer. Es gibt eine Vielfalt von Siegeln.

(Foto: Oliver Berg/dpa)
  • Der Bund gibt viel Geld aus, um Verbraucher besser über Produkte zu informieren, beispielsweise mit Websites, die über Produktsiegel informieren.
  • Fraglich ist, ob sich dieser Aufwand lohnt: Die neuen Informationsportale werden oftmals nur von wenigen Tausend Verbrauchern genutzt.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Es ist nicht leicht, beim Einkaufen Gutes zu tun, selbst dann nicht, wenn das Gute auf dem Etikett steht. Da wäre zum Beispiel das Kleiderlabel "Cotton made in Africa". Es soll Baumwolle von Kleinbauern kennzeichnen, die alles richtig machen: Sie sparen Wasser und schonen den Regenwald, sie benutzen keine Gentechnik und ihre Erntehelfer haben nicht nur einen Betriebsrat, sondern bekommen sogar gleiche Löhne, egal ob als Mann oder Frau. So jedenfalls stellt es die Stiftung des Hamburger Otto-Konzerns dar, die dieses Kleidersiegel auf T-Shirt-Schilder druckt. Aber wer kann prüfen, ob stimmt, was das Label verspricht?

Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, den Bürgern bei der Einschätzung solcher Siegel zu helfen. Mit mehr als 100 000 Euro unterstützte sie deshalb den Verein Verbraucher Initiative beim Aufbau der Informationsseite Label-Online. Seit zwei Jahren bietet der Verein seine Prüfung von Qualitätssiegeln auch per App an. Das Ergebnis für Cotton made in Africa lautet: "Besonders empfehlenswert".

Zu viel des Guten

Anders klingt jedoch die Empfehlung der Webseite Siegelklarheit. Cotton made in Africa sei zwar eine "gute Wahl", doch in Sachen Umweltfreundlichkeit erfüllten die Textilien nicht die Mindestanforderungen. Bei der Gleichstellung der Geschlechter erreichten die Kleinbauern gerade mal 44 von 100 möglichen Punkten. Zwar ist diese Bewertung des Siegels eine andere, doch die Quelle ist immer noch dieselbe: auch für das Portal Siegelklarheit ist die Bundesregierung verantwortlich.

Mehr als 30 000 Euro Steuergeld jährlich kostet außerdem der Betrieb der Webseite "Nachhaltiger Warenkorb", die einen identischen Auftrag hat. "Diese Siegel haben unserer Prüfung standgehalten und erfüllen ein Mindestmaß an Transparenz und Glaubwürdigkeit", steht dort unter einer Liste Kleiderlabels. Cotton made in Africa fehlt hier ganz.

Mit dem Ziel, orientierungslose Einkäufer über die vielen unterschiedlichen Qualitätsabzeichen aufzuklären, tut die Koalition eher zu viel des Guten. Sechs verschiedene Internetportale sowie Broschüren wie die "Kompostfibel" oder der "Einkaufswegweiser Biozide" erhalten staatliche Förderung, um Kunden über die Inhalte und Herstellungswege der Produkte zu informieren. Gleich vier Ministerien fühlen sich für die Siegel-Aufklärung zuständig: Justizminister Heiko Maas (SPD), Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU), Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) geben Geld für Apps, und Webseiten aus, zwischen 100 000 und 200 000 Euro pro neu entwickeltem Angebot und im Schnitt 40 000 Euro im Jahr für den Betrieb. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen hervor, die der Süddeutschen Zeitung  vorliegt.

Die App "Siegelklarheit" wurde nur von 5200 Bürgern heruntergeladen

Als die Regierung im vergangenen Jahr die App Siegelklarheit entwickelte und dabei auch noch Fachleute aus dem Entwicklungs- und Arbeitsministerium zu Rate zog, sprach sie von einem "deutlich anspruchsvolleren Bewertungssystem", das die Produkte nun auf rund 400 Kriterien abklopfen sollte. Im Textilbereich mag das die unterschiedlichen Bewertungen der Portale erklären. Bei Lebensmitteln allerdings hat das neue Portal nun "leicht modifizierte Kurzbeschreibungen" vom alten Anbieter Label-Online abgeschrieben. Die Portalbetreiber seien miteinander im Gespräch, heißt es in der Antwort. Es würde über Kooperationen nachgedacht.

Die grüne Verbraucherpolitikerin Nicole Maisch kritisiert die Schaffung von immer neuen Produktportalen. "Hier gibt die Bundesregierung viel Geld aus für etwas, das keiner braucht und das statt dessen Verwirrung stiftet", sagt sie: "Zum Teil decken die Portale die gleichen Siegel und Label ab, bewerten diese aber unterschiedlich. Gute Verbraucherinformation sieht anders aus."

Allein die Zahlen sprechen gegen die Überzeugung der Minister

Die Minister scheinen allerdings nicht daran zu denken, aus den vielen einzelnen Internetseiten ein gemeinsames, klares Angebot zu machen. Im Gegenteil: In ihrem aktuellen Nationalen Programm für nachhaltigen Konsum klopfen sie sich für ihre zahlreichen Angebote auf die Schulter. "Nicht zuletzt" werde durch den Nachhaltigen Warenkorb, das im Jahr 2013 gestartete Verbraucherportal "Umweltbewusst leben" und die neue Siegelklarheit-Seite "die Verbraucherinformation verbessert", heißt es in dem Papier. In der Regierung geht die Arbeit an den Siegeln unermüdlich weiter. Noch in diesem Jahr sollen "Bewertungskriterien für die Produktgruppe Holz" entstehen.

Allein die Zahlen sprechen gegen die Überzeugung der Minister. Im letzten Jahr haben gerade einmal 2200 Besucher im Monat die Seite Siegelklarheit genutzt. Die App "Siegelklarheit unterwegs" wurde seit ihrer Veröffentlichung im März 2015 nur von 5200 Bürgern heruntergeladen. Auf Label-Online klickten 7500 Menschen, den Nachhaltigen Warenkorb besuchten 2800. Das Portal Pkw-Label, auf dem Bürger den Verbrauch verschiedener Automodelle miteinander vergleichen können, nutzen im Monat immerhin rund 28 000 Menschen. Zum Vergleich: Der Otto-Konzern gibt an, dass monatlich 25 Millionen Besucher seine Webseiten nutzen.

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