Handel:Wenn Preise ins Schleudern geraten

Feste Preise gelten heute als Selbstverständlichkeit, dabei gibt es sie noch nicht lange. Und: Zumindest im Netz verschwinden sie gerade schon wieder.

Von Michael Kläsgen

Sie heißen Macy, Boucicaut und Tietz und sie waren das, was man heute early disrupter nennen würde. Unternehmer, die als Erste mit den gewohnten Geschäftsmodellen brachen und neue Wege gingen. Was sie erfanden, ist heute zur Selbstverständlichkeit geworden: Preisschilder in Geschäften. Das heißt: Etikettierte Fixpreise, die für jedermann gleichermaßen gelten, egal, ob reich oder arm, krank oder gesund, schön oder hässlich.

Den Anfang damit machte Aristide Boucicaut im Bon Marché in Paris. Bald darauf folgte Rowland Hussey Macy, nach dem das heute größte Kaufhaus der Welt, Macy's in Manhattan, benannt ist. In Deutschland stieg die Familie Tietz auf die neue Geschäftsidee ein, darunter Hermann Tietz, der Hertie gründete. Ein Warenhaus, das bezeichnenderweise inzwischen nur noch als Online-Shop existiert. Und dort, im Internet, wird dank dynamic pricing, tracking von Kundendaten und personalisierter Algorithmen derzeit genau das zu Grabe getragen, was die Kaufhäuser einst stark machte: gleiche Preise für alle.

Status entschied über Preis

Bis zu ihrer Erfindung war es üblich, Geheimchiffren an die Ware zu heften, die allein die Mitarbeiter entziffern konnten. Verkäufer und Kunde feilschten infolgedessen zeitraubend und nervenzehrend um den Preis, während die anderen Kunden in der Schlange warteten. Oft entschieden der soziale Status, das Aussehen, das Verhandlungsgeschick oder Detailkenntnisse über den Preis. Je höher der Status, desto teurer in der Regel das Ei, das Brot oder der Stoff, wenn man nicht gerade Geistlicher war. Soldaten und Menschen mit Berufskleidung kleideten sich oft in Zivil, um den Preis zu mäßigen.

Denn die Zivilkleidung gab keine genaue Auskunft über die finanziellen Verhältnisse. Hatten sich Händler und Käufer nun endlich über den Preis geeinigt, ließen die meisten anschreiben und zahlten erst, wenn sie wieder bei Kasse waren. Preisschilder änderten all das. Sie hoben auch den Kaufzwang auf, der herrschte, sobald ein Kunde den Laden betrat. Fortan durfte sich jeder den Preis anschauen, das Produkt begutachten und dann überlegen, ob er es sich leisten wollte und konnte.

Die meist knapp kalkulierten, aber festen Preise hatten auch einen handfesten betriebswirtschaftlichen Vorteil. Sie generierten größere Umsätze, und die vielen kleinen Gewinne summierten sich. In der Regel zahlte man in Kaufhäusern in bar. So blieben die Händler liquide. Mit dem Geld konnten sie größere Warenmengen ordern und bezahlen. Das wiederum ermöglichte es ihnen, Sonderangebote zu machen, die sie, noch so eine Neuerung, in Schaufenstern ausstellten, um noch mehr Kundschaft anzulocken, die wiederum Umsatz und Gewinn steigerte.

Mural behind washing machines in public laundry

Waschsalon in den USA: Weil die Maschinen umgerüstet werden müssten, ist eine Preiserhöhung aufwendig und lohnt sich in der Regel nicht.

(Foto: Getty Images)

Kunde zahlt meist ohne zu handeln

Preisschilder waren eine großartige Erfindung. Nur: Transparent waren die Preise damit nicht. Warum etwas wie viel kostet, blieb den meisten Kunden weiter ein Rätsel, und das ist bis heute so. Der Händler bestimmt den Preis, der Kunde zahlt, obwohl er in Deutschland laut Gesetz handeln könnte. Er tut es aber nicht, aus Gewohnheit, Unwissenheit oder Scham. Oder nur höchst selten, etwa beim Kauf einer Küche, für die es zwar Preisschilder gibt, die aber angesichts abstruser Rabatte anscheinend keinerlei Aussagekraft haben.

Ohnehin schwanken die Preise, und zwar unterschiedlich stark je nach Produktkategorien. Die US-Wissenschaftler Marc Bils und Peter J. Klenow untersuchten 350 Konsumgüter und Dienstleistungen in den Vereinigten Staaten und fanden heraus, dass sie dies etwa bei Lebensmitteln besonders stark tun, im Waschsalon hingegen so gut wie gar nicht. Denn man müsste die münzbetriebenen Maschinen umrüsten, um die Preise zu variieren, was den Aufwand kaum lohnt.

Walmart, Target und andere amerikanischen Einzelhändler versuchten hingegen, die Preise unter anderem für Tomaten und Eier auch innerhalb eines Tages flottieren zu lassen. Coca Cola wollte gar den Preis für das Getränk an heißen Tagen steigen lassen, weil dann die Nachfrage besonders hoch ist. Aber derlei Versuche scheiterten in der Regel. In österreichischen Supermärkten soll es nun wieder Bestrebungen geben, die Preise während des Tages "anzupassen".

Besonders starken Schwankungen unterliegen laut Bils und Klenow auch Benzinpreise. "Tankstellenpreise" sind auch in Deutschland zum Synonym für das scheinbar willkürliche Auf und Ab von Preisen geworden. Die leicht modifizierbaren Endziffern an den Zapfsäulen und den digitalen Preistafeln gelten Kritikern als Vorboten dessen, was im Einzelhandel dräut, wenn dort elektronische Preisschilder eingeführt werden. Diese könnten in Echtzeit auf die Preise im Internet reagieren. Und weil niemand im Laden mehr zahlen muss als im Online-Shop, hätte das direkte Auswirkungen auf den stationären Handel, also die real existierenden Geschäfte. Schon heute ist es so, dass Amazon und Media-Saturn im Minutentakt die Preise angleichen.

Abends höhere Preise

Was nicht bedeuten muss, dass sie nur nach unten gehen. Im Gegenteil: Michael Näther, der Gründer des Repricers Logicsale in Köln sagt, was viele ahnen: Dass die Preise bei Amazon abends und am Wochenende höher liegen als tagsüber, weil die Menschen dann arbeiten und die Nachfrage geringer ist. Von Fixpreisen im Internet könne keine Rede mehr sein. "Bei Amazon und Ebay gab es in den letzten zehn Jahren noch nie die festen Preise, die wir aus dem stationären Handel kennen", sagt Näther. Lange schien das niemand zu merken. Erst jetzt, da die Konkurrenten von Amazon auf die Preise reagieren, werden die Preisschwankungen zum Massenphänomen.

Schnäppchen garantiert das Internet schon lange nicht mehr. Bei Amazon ist das Top-Angebot selten das preisgünstigste. Hier setzen die Repricer an. Sie zeigen Händlern, wie sie in die Buy-Box auf dem Marktplatz von Amazon kommen. Logicsales Rat: Bloß keine Fixpreise, sondern Preisspannen angeben. Mindestens so wichtig wie der Preis sind die Versandzeit, Verlässlichkeit und Kundenbewertungen. Das garantiere den Händlern 20 bis 30 Prozent mehr Gewinn.

"Nach 150 Jahren schließt sich nun der Kreis", sagt der Amerikaner Robert Garf, der Strategiechef von Demandware, einer der führenden US-Software-Firmen im E-Commerce. Er meint damit, dass das Zeitalter der von Händlern bestimmten Festpreise dem Ende zugeht. Die Kunden gewinnen Einfluss zurück. Sie brauchen zwar nicht feilschen wie im 19. Jahrhundert, können aber nach dem für sie günstigsten Angebot im Netz suchen. Nur: Diese Suche kann so anstrengend sein, wie es das Feilschen gewesen sein muss.

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