Fleischindustrie:Wie Pharmakonzerne mit Pferdeblut Geschäfte machen

Fleischindustrie: Trächtigen Stuten in Uruguay wird nach Angaben von Tierschützern pro Woche 10 Liter Blut abgezapft.

Trächtigen Stuten in Uruguay wird nach Angaben von Tierschützern pro Woche 10 Liter Blut abgezapft.

  • Tierschützer haben aufgedeckt, wie in Argentinien und Uruguay trächtige Pferde gequält werden.
  • Ihnen wird Blut entnommen, weil es ein wertvoller Rohstoff für die Pharmaindustrie ist.
  • Das Hormon im Blutserum kann die Ferkelzucht beschleunigen.

Von Boris Herrmann, São Paulo, und Silvia Liebrich

Die Blutentnahme dauert etwa zehn Minuten. Dann zieht ein Arbeiter die Nadel und den Ablaufschlauch aus dem Hals der Pferde. Es sieht nicht aus, als ob es ihm ein Anliegen wäre, dass alles möglichst schmerzfrei zugeht. Eine Stute mit schwarz-weißem Fell wankt aus einer Fixierbox, offenbar entkräftet vom hohen Blutverlust. Sie bricht zusammen. Niemand scheint sich um sie zu kümmern. Die Stute steht wenig später wieder auf, aber sie ist zu schwach, um ihren Kopf zu halten und stützt ihn auf dem Zaun der Stallbox ab. Jetzt kommt ein Arbeiter und versucht das zitternde Tier zu verscheuchen. Der Arbeiter steigt auf das Geländer und tritt der Stute drei Mal mit dem Fuß ins Gesicht. Sie bricht erneut zusammen. Der Arbeiter läuft aus dem Bild.

Diese Szene hat ein Team der Tierschutzorganisation "Animal Welfare Foundation" mit versteckter Kamera gefilmt. Sie ereignete sich am Morgen des 16. April 2015 auf einer Pferdefarm der argentinisch-uruguayischen Firma Syntex nahe der Stadt Ayacucho, gut 300 Kilometer südlich von Buenos Aires. Nach allem, was man weiß, war der 16. April dort ein Tag wie jeder andere. Ein Tag, an dem südamerikanische Tiere misshandelt wurden - im Namen der europäischen Fleischindustrie. Denn aus dem Blut der Stuten wird ein wertvolles Hormon gewonnen, das in Deutschland und anderen EU-Ländern die Schweineproduktion am Laufen hält.

Dabei gelten Argentinier und Uruguayer als Pferdefreunde. Die Kultur der berittenen Gauchos mag zwar romantisch verklärt sein, Pferde haben in diesen Ländern aber immer noch einen besonderen Stellenwert. Als Symbole der Freiheit oder im Sport. Polo und Galopprennen sind dort fernsehtauglich. Was sich jedoch im Hinterland, versteckt vor neugierigen Blicken, abspielt, passt ganz und gar nicht in diese heile Pferdewelt.

Ein Hormon als Rohstoff

Die Firma Syntex S.A. verdient ihr Geld mit dem Export von Pferdblut-Produkten und bezeichnet sich auf diesem Gebiet als einer der Weltmarktführer. Auf ihren Farmen in Uruguay und Argentinien werden Tausende von Stuten allein zu dem Zweck gehalten, sie möglichst oft zu befruchten und dann ihr Blutserum abzuzapfen. Daraus wird dann das Hormon "Pregnant Mare Serum Gonadotropin", kurz PMSG, gewonnen. Ein wertvoller Rohstoff, den, wie der Name schon nahe legt, nur trächtige Stuten in sich tragen.

Abnehmer sind Pharmafirmen in 25 Ländern auf fünf Kontinenten, die mit PMSG unter anderem Hormonpräparate für die Ferkelzucht herstellen. Ein erheblicher Teil wird in Länder der Europäischen Union geliefert, auch nach Deutschland. Das zeigen Recherchen der Süddeutschen Zeitung. Ein Millionengeschäft, das weitgehend im Verborgenen abläuft und kaum kontrollierbar ist - auch weil Gesetze fehlen. Und ein Fall, der erneut ein Schlaglicht auf die Fleischindustrie wirft. Ende August hatten Berichte über gepanschtes Blutserum von ungeborenen Kälbern Aufsehen erregt. Recherchen von SZ und NDR hatten die grausamen Bedingungen in Schlachthöfen und die Verflechtungen mit der Pharmaindustrie offengelegt.

Die Firma Syntex teilt auf Anfrage mit: "Wir produzieren PMSG schon seit vielen Jahren und folgen dabei strengen Kontrollauflagen und Tierschutzbestimmungen." Auf der Website des Unternehmens heißt es zudem: "Wir sind zertifiziert von der Europäischen Union und erfüllen ihre sehr anspruchsvollen Standards." Davon ist auf jenen Aufnahmen, die der SZ vorliegen, allerdings wenig zu erkennen. Im Gegenteil. Für die Produktion des Blutserums werden tragende Stuten offenbar systematisch gequält. Die Aktivisten der "Animal Welfare Foundation" haben fünf Stunden lang auf der Syntex-Farm bei Ayacucho gefilmt und dabei etwa 100 Prügelszenen aufgezeichnet. Um die offenbar traumatisierten Tiere in die Blutentnahme-Box zu treiben, wird ihnen mit Holzscheiten und Elektro-Peitschen auf den Kopf und ins Gesicht geschlagen. Ähnliches Beweismaterial haben die Tierschützer in Uruguay zusammengetragen, etwa von den Blutfarmen "El Yatay" und "Loma Azul", die auch zur Firma Syntex gehören, oder von den ebenfalls EU-lizensierten Höfen "Las Marquesas" und "La Paloma".

Der konzentrierte Rohstoff ist wertvoller als Gold

Die Blutentnahme setzt den Pferden schwer zu. Das begehrte Hormon kann nur in einem frühen Stadium der Trächtigkeit gewonnen werden. Den Stuten wird dann über einen Zeitraum von fünf bis sechs Wochen regelmäßig Blut abgenommen. Je Tier seien das zehn Liter pro Tier und Woche, manchmal sogar noch mehr, sagen die Tierschützer und berufen sich dabei auf Aussagen von Stallmitarbeitern. Zehn Liter entsprechen bei den kleinen Pferden etwa einem Viertel der gesamten Blutmenge. Der Veterinärfachmann Rupert Ebner hält das für unverantwortlich. "Vertretbar wären höchstens fünf Liter pro Woche und das auch nur unter tierärztlicher Aufsicht", sagt er. Werde mehr abgezapft, sei dies gefährlich für die Tiere. "Die Stuten werden stark geschwächt und leiden unter Blutarmut."

Auf den ersten Blick sind die exportierten PMSG-Mengen gering. Doch das Hormonkonzentrat wird teurer aufgewogen als Gold. 2,4 Kilogramm lieferte Syntex nach SZ-Recherchen seit Anfang 2013 allein von Uruguay nach Frankreich. Gesamtwert dieser Lieferungen: 14 Millionen US-Dollar. Das dürfte nicht alles sein. Auf die Frage, wie viele Stuten zur PMSG-Produktion im Einsatz sind und wie viel des Stoffs wohin geht, antwortet Alejandro Abentín, Generalmanager von Syntex: "Wir danken für Ihr Interesse, bitten Sie aber zu verstehen, dass wir unsere Prozesse nicht erklären können, da sie Teil unseres Firmengeheimnisses sind."

Die Europäische Kommission bestätigt die Importe aus Uruguay und Argentinien, auch die von Syntex. Genaue Zahlen kann aber auch sie nicht nennen. Das Problem: In der EU-Statistik werden die verschiedenen Blutprodukte nur mengenmäßig erfasst. Wie viel des Stutenhormons darunter ist, lässt sich also nicht feststellen. Die Einfuhrzahlen zeigen jedoch, dass Argentinien und Uruguay nach den Vereinigten Staaten und Neuseeland die größten Lieferanten von Blutprodukten aller Art sind - und dass erhebliche Mengen auch nach Deutschland gehen.

Das Hormon soll Sauen helfen, schnell wieder trächtig zu werden

Syntex beliefert den Recherchen zufolge unter anderem das französische Pharmaunternehmen Ceva, das sein Medikament Fertipig auch in Deutschland vertreibt. Die Firma bestätigt dies. "Wir prüfen unsere Lieferanten regelmäßig", sagt ein Firmensprecher. Auch die Farm, von der die Aufnahmen der Tierschützer stammen, sei kontrolliert worden. Dabei seien keine Tierschutzverstöße aufgefallen. Der Hersteller will die Vorwürfe nun gründlich prüfen.

Die drei anderen Anbieter in Deutschland halten sich dagegen bedeckt. Die spanische Firma Laboratorios Hipra, Hersteller von Gestavet, antwortet nicht auf eine Anfrage. Die Firma IDT mit Sitz in Dessau, Anbieter von Premagon, teilt mit: "Als Unternehmen in einem wettbewerbsintensiven Markt können wir keine Details zu unseren Produkten und zu unserer Lieferkette veröffentlichen." Fast zynisch klingt die Werbung der Firma: "PMSG - der moderne Klassiker: Vertrauen Sie 100 % Natur", heißt es da in einer Broschüre. Versprochen wird mehr Wirtschaftlichkeit und eine höhere Ferkelproduktion.

Zwei Millionen Sauen werden laut Statistik in Deutschland gehalten, die meisten für die Fleischproduktion. Im Schnitt wirft ein Muttertier 2,3 Mal im Jahr, jeweils etwa elf Ferkel. Das Stutenhormon soll helfen, dass es nach einem Wurf möglichst schnell wieder trächtig wird. Auch die Abläufe im Stall lassen sich so besser steuern. Wenn alle Sauen gleichzeitig werfen, können die Ferkel später in großen Gruppen verkauft werden. All dies erleichtert die Arbeit, steigert Umsatz und Gewinn. Ein Vertreter aus der Pharmaindustrie schätzt, dass 80 Prozent der Ferkelproduzenten solche Mittel einsetzen, während der Schweinehalterverband ZDS von bis zu 15 Prozent spricht. Prüfen lässt sich das nicht. Es gibt keine Meldepflicht, wie etwa bei Antibiotika.

In Europa würde dies gegen Tierschutzgesetze verstoßen

"PMSG dient vor allem dazu, das System der industriellen Schweinehaltung aufrecht zu halten", meint Veterinärexperte Ebner. Zugleich schade es dem Wohl der Sauen. Mit dem Hormon werde deren natürlicher Selbstschutz aufgehoben. "Das Tier bekommt keine Zeit, sich zur erholen", sagt Ebner. Der Schweinehalterverband argumentiert dagegen, das Stutenhormon trage dazu bei, den Einsatz von Medikamenten insgesamt zu senken.

Zu den Firmen, die für Nachschub sorgen, gehört auch MSD Tiergesundheit, eine Tochter des US-Pharmakonzerns Merck und Hersteller von Intergonan und Suigonan. Man beziehe Seren von einer Vielzahl von Lieferanten in Südamerika, Island und Kontinentaleuropa, heißt es dort. Namen will MSD nicht nennen. Das Unternehmen mit Sitz in Unterschleißheim bestätigt jedoch, dass es seine Blutgewinnung in den Niederlanden vor kurzem eingestellt und ganz nach Uruguay und Chile verlagert habe. Angeblich, um die Zahl der Lieferanten zu verringern.

In Südamerika vermutet man dahinter jedoch ganz andere Motive: Professor Ricardo Sienra glaubt, dass das Blutserum zu großen Teilen in Uruguay produziert werde, weil Tierschutzbedingungen in Europa diese Art der PMSG-Gewinnung nicht erlauben würden. Sienra ist Tierschutzexperte im Landwirtschaftsministerium von Uruguay. In einem von Tierschützern aufgezeichneten Interview sagt er, dass es in seinem Land "keine spezifischen Gesetze für den Schutz von Stuten in der PMSG-Produktion gibt". Auf SZ-Anfrage, ob die Produzenten in Uruguay überhaupt kontrolliert werden und wenn ja, von wem, antwortet Sienra, er müsse sich zunächst bei den Produzenten erkundigen. Danach meldet er sich nicht mehr.

Fohlen werden wohl systematisch abgetrieben

Auch die EU-Kommission fühlt sich nicht für die Missstände auf Blutfarmen in Uruguay und Argentinien zuständig. In der Generaldirektion für Gesundheit und Lebensmittel heißt es, EU-Standards würden nur für Produkte gelten, die innerhalb der EU-Grenzen hergestellt werden. In Brüssel wird weiter an die Weltorganisation für Tiergesundheit OIE verwiesen, ein Organ der Vereinten Nationen. Dort heißt es nur, "dass zu diesem speziellen Thema keine Informationen vorliegen". Dann weist die OIE noch auf ihre Empfehlung zum internationalen Tierschutz hin. "Für die Gewinnung von Blutserum in Uruguay und Argentinien fühlt sich offenbar niemand zuständig, sie findet in einer rechtlichen Grauzone statt", klagt York Ditfurth, Präsident der Animal Welfare Foundation. Die Tierschützer sehen die EU in der Pflicht und verlangen einen Einfuhrstopp für PMSG aus diesen Ländern.

Bei einem Geschäftszweig, der darauf basiert, Tausende Stuten so oft es geht zu schwängern, drängt sich nicht zuletzt die Frage auf: Was passiert eigentlich mit den Fohlen? Die Beobachtungen der Tierschützer legen nahe, dass sie systematisch abgetrieben werden - wenn die Föten nicht schon von selbst im Mutterleib absterben, weil die Stuten zu stark geschwächt sind. Mit Stuten, die all diese Strapazen überlebt haben, aber nicht mehr trächtig werden, wird dagegen noch ein letztes Geschäft gemacht. Sie werden an EU-zertifizierte Schlachthöfe verkauft. Ihr Fleisch kann also auch in Deutschland landen.

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