Handel:A Lidl bit crazy

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Screenshot aus dem "LI DL Land"-Youtube-Spot (Foto: Quelle: Youtube/Lidl)
  • Lidl und Edeka beharken sich seit Monaten auf sportlich-hämische Weise im Internet.
  • In den Viralspots tauchen weder Preis noch Produkt auf. Es geht allein ums Image.

Von Michael Kläsgen, München

Ryanhold überschlägt sich vor Freude zwischen Lidl-Regalen, Edekas Emma tänzelt verknallt durch die Straßen. Doch der jungen Liebe droht Unheil. Als Ryanhold, gespielt vom Ryan-Gosling-Double Ludwig Lehner ("Circus Halligalli", Goldene Kamera), arglos vor der versammelten Edeka-Familie am Tisch erzählt, dass er bei Lidl arbeitet, fällt der offenbar stockkonservativen Mischpoke im Wortsinn das Essen aus dem Mund. Am Ende kriegt der unwiderstehliche Sunnyboy Ryanhold aber doch noch seine Emma. Ausgerechnet der Edeka-Opa aus dem bislang in Deutschland unübertroffen viralen Edeka-Weihnachtsspot tritt am Ende des Drei-Minuten-Videos von Lidl als Versöhner auf.

Lidls Parodie auf das oscarprämierte Hollywood-Musical "La La Land" wurde auf Facebook bislang mehr als 4,6 Millionen Mal und auf Youtube über 1,5 Millionen Mal angeklickt. "Mit dem Video ,LI DL Land' setzt Lidl auf eine gesunde Portion Humor", sagt eine Lidl-Sprecherin. Bei Edeka findet man die Spitzen gegen die Edeka-Genossenschaft, die Konzern-Slogans und Werbefiguren weniger lustig. Auf eine neuerliche Antwort in Form eines weiteren Videoclips auf den Social-Media-Kanälen will Deutschlands größter Lebensmittelkonzern aber vorerst verzichten.

Lidl und Edeka beharken sich seit Monaten auf sportlich-hämische Weise im Internet. Früher, also noch vor etwa zwei Jahren, mied die Industrie den direkten Feindkontakt in der Öffentlichkeit. Dann fingen Edeka und Lidl an, sich zunächst in Texten aufeinander zu beziehen. Im Februar dieses Jahres begann dann das "Battle" auf Facebook - ein mehr oder minder humoristisches Ringen um den besten Gag. Ein bisschen "dissen" darf man den anderen dabei schon. Hauptsache, man kommt hip, frech und jung rüber. Lidl nutze Facebook, sagt die Sprecherin, "um mit anderen Marktteilnehmern in Interaktion zu treten".

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Der Konzern fingierte zunächst, eine angebliche Edeka-Mitarbeitern beim heimlichen Einkauf bei Lidl erwischt zu haben. Die Edekaner konterten, indem sie heimlich ein Video in einer Lidl-Filiale drehten und sich über das Obst-und Gemüseangebot lustig machten. Lidl retournierte noch am selben Tag mit einem unflätigen Hieb auf die angeblich überhöhten Preise bei Edeka. Dann kam erst mal nichts. Edeka veröffentlichte den politischen Spot "Unser Herz schlägt für Vielfalt", in dem der Konzern für offene Grenzen wirbt. Dann der aufwendig choreografierte Lidl-Land-Clip, der wegen der Kreuz-Retuschen-Affäre kurz unterzugehen drohte.

Bemerkenswert daran ist vieles, vor allem, dass Lidl betont: "Idee, Kreation, Konzeption und Besetzung sind bei Lidl inhouse entstanden." Edekas Videos stammen hingegen von der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt. Lidl nimmt für sich in Anspruch, vieles selber mitgestaltet oder zumindest die direkte Kontrolle über das Video gehabt zu haben. Diese Behauptung mag auch dem Erfolg des Viralspots geschuldet sein. Tatsächlich liegt darin aber ein neuer Trend, den die Digitalisierung heraufbeschworen hat. "Die Unternehmen gehen heute, ohne dass sie die Agenturen dabei außen vor lassen, mitten in die Umsetzung von Projekten rein. Sie wollen wissen, was mit ihren Werbebudgets passiert. Das ist eine positive Entwicklung", sagt Jan Gräwen, Deutschland-Chef der Berliner Firma Yoc Mobile Advertising.

Die Konzerne müssen so handeln. Wenn sie wissen und beeinflussen wollen, was genau Influencer auf ihren Blogs schreiben, dann tun sie das am besten auf direktem Weg und schalten keine Agentur dazwischen. Hingegen brauchen sie die Werbeprofis etwa von BBDO (Lidl), um sich von ihnen beraten zu lassen. Bei "Lidl Land" war die Verzahnung ähnlich eng.

Produziert hat den Spot die Augsburger Firma Le Geek, und zwar ausschließlich in Augsburg, nach eigener Auskunft für ein überschaubares Budget. Das Storyboard und die Inhalte stammen laut Firmenchef David Helmut zu 90 Prozent von der Firma. Das Besondere an ihr ist, wie Helmut betont, dass sie Agentur und Produktion unter einem Dach vereint. Dadurch beschleunigt sich die Reaktionsfähigkeit, was in der digitalen Welt ein entscheidendes Kriterium ist. Auch Aufwand und Kosten reduzieren sich.

Agentur und Produktion nicht mehr zu trennen, ist eine weitere Folge der neuen viralen Werbewelt. Auch der Branchenriese Jung von Matt hat für die Produktion von Bewegtbildern eigene Ressourcen aufgebaut. Die Nachfrage nach schnell produzierten Spots ist rapide gestiegen. Durch die Social-Media-Kanäle sind reaktive, kleine Produktionen stark gefragt, auch wenn sie oft schnell wieder vergessen sind, jedenfalls schneller als aufwendig produzierte TV-Werbefilme. Das hat die Arbeitsabläufe in Werbeagenturen grundlegend geändert. Daher produzieren Agenturen jetzt auch. Le Geek-Direktor Helmut begrüßt die Entwicklung. "Heute zählt nicht mehr, wer das größte Budget, sondern wer die beste Idee hat", sagt er. "Virale Spots kann man auch mit dem Handy drehen."

Wer was für 99 Cent verkauft, interessiert auf Facebook kaum einen

Dass ausgerechnet die Lebensmittelhändler auch mit Smartphone-Bildern operieren, ist neu. Bis vor Kurzem wurden sie noch in der Werbebranche für ihre sogenannten Schweinebauchanzeigen bespöttelt. Die gibt es noch immer, meist ganzseitig in Tageszeitungen, bedruckt mit scheinbar lieblos abfotografierten Produkten, hier eine Tafel Schokolade, da eine Scheibe Schweinebauch und daneben der Preis. Nicht sehr kreativ, nicht sehr emotional, aber wirkungsvoll. Wegen des Preises. Zumindest bei einer bestimmten Klientel.

In den Viralspots taucht weder ein Preis noch ein Produkt auf. Wer was für 99 Cent verkauft, interessiert auf Facebook kaum einen. Preisschlachten haben hier wenig Chancen. Es geht allein ums Image. Jeder will cooler sein als der andere. Und alle machen mit, außer Aldi. Krasser könnte der Wandel von der Langweiler- zur Hipster-Branche kaum sein. "Die Lebensmittelhändler zählen neben der Autoindustrie zu den first movern in dem Bereich", sagt Gräwen. Im Netz kämpfen sie nicht mehr mit dem günstigen Preis um Kunden, sondern mit dem lässigsten Image - und das transportieren Kunstfiguren wie Ryanhold.

© SZ vom 14.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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