Hamburger Hafen:An den Grenzen des Wachstums

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Weil immer mehr Container aus Asien kommen, braucht die Jobmaschine der Hanse-Stadt mehr Platz - 100 Unternehmen müssen deshalb umsiedeln, aber keiner weiß wohin.

Von Meite Thiede

Nach hochmoderner Hafenwirtschaft sieht es auf Steinwerder nicht aus. Die Straßen sind durch die schweren Lastwagen ganz wellig geworden; die schlichten Lagerhallen sind nicht klimatisiert und bergen keine effizienten Hochregale, sondern einfach nur Fläche; am Rossterminal türmen sich Schrottberge; im Travehafen parken ein paar Dutzend Schuten, wie man hier die Lastkähne ohne Motor nennt. Um die Ecke lagern Leercontainer.

Der Container-Terminal Burchardkai im Hamburger Hafen. (Foto: Foto: ddp)

Doch der Eindruck täuscht. Ohne diese "Hinterhöfe" wäre ein moderner Containerhafen wie Hamburg keine Jobmaschine. An den meisten Tagen stehen die Lastwagen hier auf Steinwerder Schlange.

Das Be- und Entladen der Containerriesen auf den großen Terminals in Altenwerder oder Waltershof geht heute zwar nahezu vollautomatisch. Aber dann nimmt ein Lastwagen die Stahlbox huckepack und schafft sie quer durch den Hafen, zum Beispiel nach Steinwerder.

Fast alles kommt aus China

In Handarbeit wird sie dort ausgepackt, Gabelstapler schaffen die Waren in die Lagerhallen. Dort türmen sich hunderttausende brauner Pappkartons, in denen so ziemlich alles ist, was in Asiens Fabriken produziert wird: Nähmaschinen, Microwellen, Staubsauger oder Wasserkocher, Einwegfeuerzeuge oder Handys. Fast alles kommt aus China, das meiste ist für Osteuropa bestimmt.

Was nicht in die 20 Fuß langen Standardboxen passt, ist auch ein Fall für Steinwerder. Stückgut-Experten verpacken dort ganze Windräder für den sicheren Transport über die Meere. In Hamburg hängen 124.000 Jobs oder auch zwölf Prozent aller Arbeitsplätze am Hafen.

Derzeit ist die Stimmung auf Steinwerder allerdings ziemlich mies. Die Lagerhallen und Kräne sollen verschwinden, weil Hamburg ganz schnell ganz viel Platz braucht für den boomenden Containerumschlag.

Angst vor der Willkür der Behörden

Aber neue passende Grundstücke hat den Betrieben bisher noch niemand angeboten. Und das ärgert viele Firmen hier, die Unternehmer sind wütend auf die Hafenverwaltung, die sich neuerdings international gibt und Port Authority heißt. Aber weil sie von ihr abhängig sind, getraut sich kaum einer hier, seine Kritik öffentlich hinauszuposaunen. Zu groß ist die Angst vor der Willkür der Behörden.

Seit 1997 ist der Seegüterumschlag um etwa die Hälfte auf 114,5 Millionen Tonnen gestiegen; der Containerumschlag hat sich in dieser Zeit sogar verdoppelt. Im vergangenen Jahr wurden in Hamburg sieben Millionen TEU umgeschlagen. TEU ist die Maßeinheit für Containermengen und bedeutet Twenty feet Equivalent Unit.

Gut die Hälfte des Volumens geht nach oder stammt aus Asien, ein Viertel gelangt in den Ostseeraum und Osteuropa oder kommt von dort. Im Weltrang liegt Hamburgs Containerhafen auf Platz neun - nach sechs asiatischen Häfen, Rotterdam und Los Angeles.

Wachstum und Wohlstand

Innerhalb der so genannten Nordrange Hamburg, Bremen, Rotterdam, Antwerpen hat Hamburg einen Marktanteil von inzwischen 28 Prozent, Tendenz weiter steigend. Wachstum und Wohlstand waren in Hamburg schon immer eng verbunden mit dem Hafen. Aber die jetzige Entwicklung übertrifft alle Erwartungen.

Die Experten rechnen bis 2015 mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum des Containerumschlags von 9,4 Prozent auf dann 18 Millionen TEU. Vor ein paar Jahren war noch mit einem Plus von 6,5 Prozent kalkuliert worden.

"Das Wachstum hat Hamburg überrollt, da trifft die Behörde keine Schuld", sagt Johann Killinger diplomatisch. Ihm gehört die Buss-Gruppe, der größte Mieter auf Steinwerder. Die meisten Hallen hat Killinger an kleinere Betriebe weitervermietet. Insgesamt sehen etwa hundert Firmen einer unsicheren Zukunft entgegen.

Positives Denken

Killinger bemüht sich trotzdem um positives Denken: "Die Stadt hat ein Wachstumsproblem. Welche Region kann das schon von sich behaupten?" Er findet es richtig, dass Hamburg die Priorität auf den Containerumschlag legt. Das finden sie alle auf Steinwerder, schließlich profitieren sie ja selbst davon, wenn der boomt. Aber trotzdem: Killinger und seine Untermieter würden gerne planen können.

Werner Marnette, Chef des Kupferkonzerns Norddeutsche Affinerie (NA), hat sich die nötige Planungssicherheit inzwischen besorgt. Der wegen seiner Statur und Durchsetzungskraft auch "Napoleon von der Peute" genannte Manager - Peute ist der Sitz der NA - gilt in der Stadt als Freund deutlicher Worte. Aber dass er tatsächlich Hamburg den Rücken kehren würde, hätte kaum jemand gedacht. Schließlich ist er CDU-Mitglied. Sein Affront trifft auch die eigene Partei.

Marnettes Geschichte geht so: Die Hamburger Kupferhütte braucht im Jahr ungefähr 1,25 Millionen Tonnen Kupferkonzentrat. Das sind 60 Schiffsladungen. Seit Jahrzehnten wird dieser Rohstoff mitten auf Steinwerder angeliefert und in Schuten zehn Kilometer weit quer durch den Hafen zur NA transportiert. Das Kupferkonzentrat ist der "Lebensnerv" der Hamburger Hütte, die mehr als 3000 Mitarbeiter beschäftigt und einer der wenigen Industriebetriebe der Hansestadt ist.

"Behördliches Possenspiel"

"Durch bloßen Zufall" hatte Marnette vor 14 Monaten von den Plänen der Stadt erfahren, Steinwerder zu einem Containerterminal umzubauen. Der NA-Chef nahm die schlechte Nachricht zum Anlass, den Hafentransport des Kupferkonzentrats neu zu organisieren. Aber was er dann erlebte, nennt er selbst ein "behördliches Possenspiel".

Wirtschafts- und Umweltbehörde und auch das Bezirksamt stimmten seiner Idee zu, ein Förderband quer durch den Hafen zu bauen, und unterstützen sie auch. Aber der Plan scheiterte schließlich am Amt für Strom und Hafenbau. Diese Behörde, an der im Hafen niemand vorbeikommt, stellte der Norddeutschen Affinerie Düsteres in Aussicht. Die Kaimiete werde künftig versechsfacht, teilte das Amt Marnette mit. Und weiter: Langfristige Unterbrechungen des Bandbetriebs könnten wegen der geplanten Bauarbeiten im Hafen nicht ausgeschlossen werden.

Marnette versuchte es mit einem anderen Standort, dem Hansahafen, der nicht auf Steinwerder, sondern auf dem Kleinen Grasbrook liegt, und bastelte an einer neuen Strecke für das Förderband. Inzwischen waren schon 1,5 Millionen Euro in die Planung geflossen.

Reizwort

Doch dann erfuhr der Manager - wieder eher zufällig, wie er versichert - vom "Sprung über die Elbe". Dieser so dynamisch klingende Begriff ist zum Reizwort nicht nur Marnettes, sondern der gesamten Hafenwirtschaft geworden.

Es geht um die Wohnbebauungsplanung der Hansestadt. Bisher schien die Aufteilung klar geregelt: Gewohnt wird nördlich der Elbe, der Hafen bleibt südlich. Doch der Senat hat jetzt beschlossen, den Strom zu überspringen; der Kleine Grasbrook, mitten im Hafen, soll Wohngebiet werden.

Teure Wohnungen in enger Nachbarschaft zum lärmenden Kupferumschlag? Marnette war klar, dass das wieder nur eine Interimslösung für seinen Kupferumschlag wäre. Auf diese "Nutzungskonkurrenz", wie das im Behördendeutsch heißt, wollte er sich nicht einlassen.

Marnette gab dem Werben eines pfiffigen Unternehmers aus Brunsbüttel nach, der das Treiben der Hamburger Behörde schon lang beobachtet hatte. Das Kupferkonzentrat wird von 2007 an im Elbehafen Brunsbüttel umgeschlagen und per Binnenschiff auf die Peute gebracht. Trotz der längeren Wege spare die Norddeutsche Affinerie pro Jahr vier Millionen Euro, sagt der Chef.

Schon vor 100 Jahren altes Gänge-Viertel abgerissen

Dass ganze Stadtteile weichen müssen, weil der Hafen sich breit macht, hat in Hamburg Tradition. Als der Senat vor gut 100 Jahren den Freihafen bauen wollte, wurde das alte Gänge-Viertel auf der Wandrahminsel, in dem 24.000 Menschen wohnten, abgerissen.

Dort entstand die Speicherstadt, über Jahrzehnte Zentrum des Hafens. Jetzt beherbergen die roten Backsteinbauten zwar noch ein paar Gewürz-, Tee- und Teppichhändler, aber für die heutigen Warenströme bieten die Böden weder genügend Platz noch die nötige Effizienz. Die Speicherstadt wird gerade zum schicken Wohn- und Büroviertel mit Hafen-Flair umgebaut und ist fester Bestandteil jeder Sightseeing-Tour.

Die Hafenflächen sind Liegenschaftsgrundstücke, die auf 30 Jahre verpachtet werden. Um da zum Zuge zu kommen, müssen einige ungeschriebene Regeln beachtet werden.

Erstaunliche Absagen

"Wenn du in Hamburg einen guten Draht hast, kriegst du alles. Hast du keinen, kriegst du nichts", weiß ein Unternehmer auf Steinwerder, der sich schon längst selbst auf die Suche nach einem neuen Grundstück gemacht, aber einige erstaunliche Absagen bekommen hat: "Das ist für Airbus reserviert", hieß es mal, erzählt er, oder "darauf hat einer eine Option" - die aber seit Jahren nicht gezogen wird. Auch dieser enttäuschte Unternehmer schaut sich inzwischen jenseits der Landesgrenzen um.

Auf Steinwerder sind alle für den Ausbau des Containerhafens, schließlich leben sie von der Stahlbox. Umso grimmiger blicken sie auf das Nordufer der Elbe, wo die Port Authority damit beschäftigt ist, sich zu sortieren.

In diesem Amt sind die hafenbezogenen Aufgaben der Behörde für Wirtschaft und Arbeit und der Liegenschaftsverwaltung zusammengefügt worden. Offizieller Start der neuen Behörde, die profitorientiert arbeiten soll, ist der 1. Oktober. Ausgerechnet jetzt, so empfinden es die Hafenunternehmer, ist die Port Authority mit sich selbst beschäftigt, anstatt sich um die dringenden Aufgaben zu kümmern.

"Ein Hafenunternehmen ist doch keine Spedition"

Wirtschaftssenator Gunnar Uldall hat zwar versprochen, allen Firmen neue Flächen anzubieten, "aber in seiner Behörde ist die Botschaft offenbar noch nicht angekommen", sagt ein Genervter. Dabei sei das doch so einfach: "Ein Hafenunternehmen ist doch keine Spedition. Die braucht nur ein Telefon und ein Büro und kann mit der Arbeit anfangen. Aber wenn ich keine Kaimauer kriege, kann ich auch keinen Umschlag machen."

© SZ vom 02.07.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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