Haftung:Versicherungsfall Dieselbetrug

Der Wolfsburger Auto-Konzern muss mit hohen Forderungen rechnen. Auch auf Vorstände und Aufsichtsräte könnte einiges zukommen. Inwieweit hier die Managerhaftung greift, ist noch unklar.

Von Herbert Fromme, Köln

Wulf-Dieter Hartrampf und Christoph Willi kennen sich gut. Hartrampf ist Versicherungschef des VW-Konzerns, Willi leitet in Deutschland die Industrieversicherung beim globalen Anbieter Zurich. Der 57-jährige Hartrampf und sein zwölf Jahre jüngerer Gesprächspartner haben in letzter Zeit viel zusammengesessen. Denn die Zurich ist führender Versicherer von VW, wenn es um Feuerrisiken in den Fabriken oder Haftpflichtrisiken des Autoherstellers geht. Sie hat in dieser Rolle den Platzhirsch Allianz abgelöst.

Doch wenn Hartrampf und Willi heute miteinander sprechen, machen sie das mit großer Vorsicht - und höchstwahrscheinlich nicht ohne juristische Beratung. Das liegt nicht daran, dass die beiden sich persönlich zerstritten hätten. Der Grund ist ein Versicherungsfall: VW will rund eine halbe Milliarde Euro von einem Versicherungskonsortium, das die Zurich führt.

Es geht um die Managerhaftung für VW-Vorstände infolge des gigantischen Betrugsskandals um gefälschte Abgaswerte. Im Branchenjargon heißt das Directors' and Officers' Liability (D&O). Sie hat wegen ihrer Konstruktion bizarre Folgen - unter anderem die, dass VW als Kunde der Zurich automatisch zu ihrem Gegner wird, bis hin zu Gerichtsverfahren.

Der Betrug wird VW mit hoher Wahrscheinlichkeit einen zweistelligen Milliardenbetrag kosten. Dagegen ist der Konzern nicht versichert. Die Managerhaftung beträgt höchstens rund 500 Millionen Euro. Darum dürfte es heftigen Streit geben. Dabei ist das Risiko weit gestreut. Die Zurich selbst spricht nicht über den Fall, aber in Marktkreisen wird ihr Anteil mit 20 Millionen Euro bis 30 Millionen Euro beziffert. Fast alle großen Industrieversicherer einschließlich Allianz und HDI sind am Konsortium beteiligt.

Die D&O-Versicherung ist in Deutschland erst zwei Jahrzehnte alt. Vorher galt: Hatte ein Manager einen schwerwiegenden Fehler gemacht, trennte man sich mit goldenem Händedruck und den besten Wünschen. Nur in sehr wenigen Fällen verklagte ein Aufsichtsrat Vorstände auf Schadenersatz.

Das änderte sich 1997. Damals verpflichtete der Bundesgerichtshof Aufsichtsräte, im Interesse der Anteilseigner von Vorstandsmitgliedern bei Fehlverhalten Schadenersatz zu verlangen. Tun sie das nicht, machen sich die Aufsichtsräte selbst haftbar und können belangt werden.

Die Folgen sind dramatisch. Denn seither stehen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder mit ihrem Privatvermögen für Fehler ein. Dabei geht es nicht nur um Ansprüche von Dritten, also Kunden, Vertragspartnern oder Aktionären. Schwerwiegender sind die Ansprüche des eigenen Unternehmens.

Kaum ein Manager ist bereit, Mitglied eines Vorstands oder Aufsichtsrats zu werden, ohne dass das Unternehmen eine D&O-Deckung für ihn abschließt und damit sein Privatvermögen schützt. Das Prämienvolumen in Deutschland schätzen Anbieter auf 700 Millionen Euro im Jahr.

Alles hängt davon ab, was die Kanzlei herausfindet. Die zentrale Frage ist, wer wann was wusste

Sobald das Unternehmen einen Schaden anmeldet, wie das bei VW der Fall sein dürfte, kommt es zu einer bizarren Situation. VW will Millionen von Vorständen und Ex-Vorständen. Die wehren sich gegen die Ansprüche - mithilfe der Versicherer, deren Prämie VW bezahlt hat, denn die Abwehr der Ansprüche gehört zu den Leistungen. Dabei sind die Interessen der belangten Vorstände und der Versicherer keineswegs deckungsgleich. Denn können die Versicherer den Managern Vorsatz nachweisen, müssen sie nicht zahlen. Alles hängt davon ab, was die von VW mit der Erforschung des Sachverhalts beauftragte US-Anwaltskanzlei Jones Day herausfindet. "Jetzt wird jede E-Mail angeschaut, und Telefonprotokolle werden ausgewertet", sagte ein Experte aus einem der beteiligten Versicherungsunternehmen. Die zentrale Frage ist, wer wann was wusste. Was wusste Ex-Chef Martin Winterkorn? Zu welchem Zeitpunkt war er unterrichtet? Und wann hat Ferdinand Piëch, bis April 2015 Aufsichtsratsvorsitzender, von den intern schon länger geäußerten Vorwürfen erfahren?

Stellt sich heraus, dass der Vorstand den Dieselbetrug angeordnet hat, gibt es keine Versicherung. Allerdings zahlen die Versicherer zunächst die Abwehrkosten, die allein schon einen zweistelligen Millionenbetrag erreichen können - die sie aber bei Vorsatz vom schuldigen Vorstand zurückverlangen können. Anders ist es, wenn es sich um fahrlässige Verletzungen der Aufsichtspflichten handelt und die eigentliche Entscheidung auf unterer Ebene getroffen wurde. "Trifft das zu, ist eine Haftung durchaus denkbar", sagt der Düsseldorfer Anwalt und Versicherungsmakler Michael Hendricks.

Bis zu einem Vergleich werden noch Monate vergehen, möglicherweise sogar Jahre

Aber auch dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass die volle Summe ausgezahlt wird. Wenn klar ist, wer die Verantwortung trägt, gibt es in den meisten Fällen einen Vergleich. Beispiel dafür ist der Siemens-Konzern. Siemens hatte eine D&O-Deckung über 250 Millionen Euro und hatte entsprechende Ansprüche gegen Ex-Vorstände gestellt, weil wegen des Korruptionsskandals ein Milliardenschaden entstanden war. Die Versicherer unter Führung der Allianz wiesen den Anspruch zurück. 2009 einigten sich die beiden Seiten auf einen Vergleich, die Versicherer zahlten 100 Millionen Euro. Zurich und HDI gehörten zum Konsortium.

Damit es zu einem Vergleich kommt, müssen Hartrampf für VW und Willi für Zurich miteinander reden - am besten ohne Anwälte. Aber bis dahin werden noch Monate vergehen, möglicherweise sogar Jahre. Die einzelnen Vorstände sind aber auch nach einem Vergleich nicht völlig aus dem Schneider. Sie müssen zehn Prozent des Schadens als Selbstbehalt persönlich zahlen. Allerdings: Auch gegen den Selbstbehalt können sich die Vorstände versichern, die meisten tun das auch.

Für Volkswagen wäre das nicht der erste D&O-Fall in der jüngsten Vergangenheit. 2006 hatte sich der Autokonzern mit Versicherern über die Zahlung von 4,5 Millionen Euro geeinigt. Der frühere Vorstand Peter Hartz hatte zahlreiche Luxusreisen und Bordellbesuche von Betriebsräten über sein Spesenkonto abrechnen lassen. VW verlangte Ersatz von ihm, die D&O-Versicherer zahlten. Damals titelte die Bild-Zeitung über die "Puff-Police". Jetzt wird es viel dreckiger und teurer, es geht um gefälschte Abgaswerte und einen großen Vertrauensverlust.

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