Häusliche Pflege:Geld für die Einkaufshilfe

Auch wer zu Hause versorgt wird, hat Anspruch auf finanzielle Unterstützung durch die Pflegekasse. Doch viele Familien wissen von den Fördertöpfen nichts.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Karl-Heinz Schreiner, 93, ist auf den Besuch bestens vorbereitet. Auf dem Wohnzimmertisch liegen neben dem Schmerzgel, dem Einsatzplan seiner Betreuerinnen und der Fernsehzeitung eng beschriebene Papierzettel als Gedächtnisstütze. Der pensionierte Mathematik- und Physiklehrer möchte auf keinen Fall vergessen, was er heute loswerden will. Schreiner sitzt im Rollstuhl, muss dreimal die Woche zur Dialyse und hört schlecht, aber mitreden kann er noch so gut, dass seine Pflegerin kaum zu Wort kommt. "Ich werde morgens schön gewaschen. Sie macht das so gut, dass ich gar nichts sagen muss."

"Sie" ist in diesem Fall Ewa Mistrzak, die morgens oder nachmittags zu ihm kommt, beim An- und Auskleiden hilft, wäscht, ab und zu einkauft, das Essen herrichtet, das Schreiners Tochter vorgekocht hat, und dazu beiträgt, dass er sich in seiner Vier-Zimmer-Altbauwohnung im Westen von Berlin nicht so einsam fühlt. Mistrzak ist eine von inzwischen fast 4000 Betreuungskräften von Home Instead in Deutschland. Das Unternehmen aus den USA verdient inzwischen in 14 Ländern Geld damit, alten Menschen dabei zu helfen, in ihrer vertrauten Umgebung zu bleiben und deren Angehörige wie die Tochter von Karl-Heinz Schreiner unter die Arme zu greifen. Was dabei aber noch weithin unbekannt ist: Obwohl solche Dienste immer mehr gefragt sind, wissen viele nicht, dass sie nichts dafür selbst zahlen müssen. Auch Schreiner unterstützt die Pflegeversicherung dabei, in der Wohnung bleiben zu können, in der er seit Jahrzehnten lebt.

"Wenn der Kunde will, dass wir um zehn Uhr kommen, kommen wir um zehn und nicht um sechs."

"Leider ist es noch viel zu wenig bekannt, wie Pflegebedürftige das Budget der Pflegeversicherung nutzen können, um unsere Leistungen bezahlen zu können", sagt Jörg Veil, Geschäftsführer von Home Instead in Deutschland. Er weist darauf hin, dass zusätzlich zum vom Pflegegrad abhängigen monatlichen Pflegegeld mehr als 4000 Euro pro Jahr zur Verfügung stünden, um pflegende Angehörige zu entlasten. "Das ist eine Menge Geld, das leider in vielen Fällen nicht genutzt wird".

125 Euro pro Monat

Die gesetzliche Pflegekasse hilft bei der Pflege zu Hause. Brauchen pflegende Angehörige eine Auszeit und engagieren etwa für ein paar Stunden einen Betreuer, lässt sich dies aus dem Topf der sogenannten "Verhinderungspflege" bezahlen. Pro Kalenderjahr stehen dafür - zusätzlich zum monatlichen Pflegegeld, das vom jeweiligen Pflegegrad abhängt - 1612 Euro jährlich zur Verfügung. Dieser Anspruch lässt sich um 806 Euro aus dem Kurzzeitpflegebudget aufstocken. Diese Ansprüche verfallen jeweils zum Jahresende. Seit Anfang 2017 haben darüber hinaus alle Empfänger von Leistungen aus der Pflegeversicherung Anspruch auf den "Entlastungsbetrag" in Höhe von 125 Euro pro Monat. Der Betrag soll zur Entlastung pflegender Angehöriger und anderer privaten Pflegepersonen wie etwa Freunde oder Nachbarn dienen und dazu beitragen, dem Pflegebedürftigen ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dabei lässt sich der in einem Kalendermonat nicht genutzte Betrag in Folgemonaten nutzen. Somit stehen Pflegebedürftigen bis zu 1500 Euro pro Jahr zur Verfügung. Der in einem Kalenderjahr nicht genutzte Betrag darf ins erste Halbjahr des Folgejahres übertragen werden. Aufgrund einer Sonderregelung lassen sich nicht abgeschöpfte Beträge sogar noch bis Ende 2018 nutzen. Thomas Öchsner

Mistrzak, wie fast alle Betreuer bei Home Instead weiblich, und eine weitere Helferin kommen im Wechsel insgesamt 13,5 Stunden pro Woche von Montags bis Samstags zum Pensionär Schreiner, um den sich sonst nur seine Tochter kümmert. Schreiners Hauptbetreuerin Mistrzak ist wie die allermeisten Betreuungskräfte in dem Unternehmen eine Minijobberin, die auf 450-Euro-Basis arbeitet. "Viele unserer Betreuungskräfte wollen sich etwas dazuverdienen, manchmal auch zu Hartz IV. Mit dem Geld seinen Lebensunterhalt zu verdienen, geht nur in Ausnahmefällen", sagt Robert Krauss, der für Home Instead einen Betreuungsdienst in Berlin aufgebaut hat und Mistrzaks direkter Arbeitgeber ist.

Bei dem Betreuungsdienst erhalten die Beschäftigten laut Deutschland-Chef Veil wenigstens den Mindestlohn. Das sind derzeit noch 10,20 Euro im Westen und 9,50 Euro im Osten. Etwa die Hälfte der Betreuungskräfte von Home Instead sind Minijobber. Das Unternehmen sucht mit dem Slogan "Werden auch Sie ein Teil unseres Teams - auf 450 Euro-Basis sowie in Teilzeit" bewusst keine Vollzeitkräfte. Das erleichtert es, örtlichen Geschäftsführern wie Krauss, die Mitarbeiterinnen flexibel einzuteilen. "Wenn der Kunde will, dass wir um zehn Uhr kommen, kommen wir um zehn und nicht morgens um sechs. Das ist nicht wie im Altenheim", sagt Krauss. Außerdem sei es nötig, die Betreuerin so auszusuchen, dass sie zum Kunden passt: "Wenn Menschen in so einer intimen Atmosphäre zusammen sind, muss die Chemie stimmen." Schließlich solle zu den alten Menschen möglichst auch immer dieselbe Betreuerin kommen. Das hat aber seinen Preis: Krauss selbst stellt pro Stunde 29,40 Euro in Rechnung.

Eine Fachausbildung oder besondere Vorkenntnisse benötigen die Betreuungskräfte in der Regel nicht. Sie leisten ja keine medizinische Hilfe, und beim Kerngeschäft geht es normalerweise weniger um die Grundpflege wie Hilfe beim Zähneputzen oder Gang zur Toilette. Sie werden aber intern eine Woche lang geschult, um für ihre Einsätze wie bei dem ehemaligen Berliner Lehrer vorbereitet zu sein. Es gehe darum, das zu übernehmen, "wofür die klassischen Pflegedienste normalerweise kaum Zeit haben", sagt Home-InsteadDeutschlandchef Veil. "Wir erbringen keine Pflege im Minutentakt, wie dies bei der medizinischen Versorgung oder bei der Unterstützung der Körperpflege oft der Fall ist, sondern entlasten pflegende Angehörige, damit sie auch mal Zeit für sich haben."

Der Markt für diese Dienste wächst rapide, nicht nur weil die Zahl der alten Menschen und der allein lebenden Senioren zunimmt (Grafik). Kinder können oder wollen sich nicht um ihre Mütter oder Väter kümmern. Oder sie wohnen zu weit weg. Das zeigt sich auch an den Abrechnungszahlen der gesetzlichen Pflegeversicherung: 2014 wurden hier für zusätzliche ambulante Pflegeleistungen noch knapp 500 Millionen Euro ausgegeben. 2016 waren es laut Bundesgesundheitsministerium bereits gut eine Milliarde Euro.

Davon profitiert auch Home Instead. Das 1994 in den USA gegründete Unternehmen ist weltweit mit mehr als 1000 Betrieben inzwischen die Nummer eins in der nichtmedizinischen Betreuung von alten Menschen. Es expandiert nach dem amerikanischen Vorbild über ein Franchisesystem. Franchisenehmer wie der gelernte Wirtschaftsingenieur Robert Krauss kaufen sich eine Lizenz, geben 7,5 Prozent ihres Umsatzes an den Franchisegeber Home Instead ab, können dafür aber das Know-how von Home Instead wie etwa die Software nutzen. Das Konzept kommt gut an: Der Marktführer hat allein in Deutschland in diesem Jahr 27 Ableger eröffnet. 75 Betriebe wird es bis Ende 2017 insgesamt geben. 2020 sollen es schon 150 sein.

Auch andere jungen Firmen wie Careship aus Berlin und Pflegix in Witten in Nordrhein-Westfalen wollen Hilfsbedürftige und Helfer zusammenbringen und von den Fördertöpfen der Pflegeversicherung profitieren, die durch die Pflegereform noch einmal größer geworden sind. Gerade an Demenz erkrankte Menschen bekommen nun deutlich mehr Pflegegeld, das auch für die Betreuung zu Hause und hauswirtschaftliche Hilfen gesetzt werden darf. Nach den Schätzungen der Bundesregierung dürfte die neue Einstufungspraxis bei den Pflegegraden dazu führen, dass eine halbe Million Menschen zusätzlich Anspruch auf Pflegehilfe haben werden.

Dass sich die Betreuungsdienste um Alte, die zu Hause wohnen, kümmern wollen, hat natürlich auch einen Grund: Fast drei Viertel aller Pflegebedürftigen werden nicht im Heim, sondern zu Hause versorgt. Und das soll sich, wenn es nach Karl-Heinz Schreiner geht, möglichst nicht ändern: "Ich bleibe lieber zu Hause als in ein Altenheim zu gehen."

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