Norwegen:Lebenslang für den Klimakiller CO2

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Wirtschaftsminister Robert Habeck besucht in Norwegen das Unternehmen Norcem, um sich über die Technik der CO2-Speicherung zu informieren. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Wirtschaftsminister Habeck besichtigt in Norwegen Anlagen, die Kohlendioxid abscheiden sollen. Der Besuch soll helfen, ein deutsches Tabu zu brechen.

Von Michael Bauchmüller, Brevik

Grau ragt das Zementwerk aus dem norwegischen Schnee, es ist eine einzige Baustelle. Gelbe Kräne stehen herum, sogar ein Zementmischer rückt gerade an. "Was hier entsteht", sagt Robert Habeck im dichten Schneetreiben, "ist die Zukunft dieses Zementwerks."

Der Wirtschaftsminister von den Grünen ist nach Brevik gekommen, um die Zukunft zu bestaunen. Der deutsche Baustoffkonzern Heidelberg Materials baut hier, gut 150 Kilometer südlich von Oslo, ein ganzes Zementwerk um: Schon im nächsten Jahr soll hier im großen Stil Kohlendioxid abgeschieden werden. Die Herstellung von Zement zählt zu den größten Klimasünden des Planeten, acht Prozent der globalen Emissionen entstehen so. Allein 400 000 Tonnen CO2 sollen in Brevik abgefangen und unterirdisch gespeichert werden, knapp ein Prozent der aktuellen Emissionen Norwegens. Aber natürlich geht es Habeck nicht um Norwegen, es geht ihm um Deutschland.

Denn die Technologie hinter der Abspaltung gilt in Deutschland immer noch als tabu: Carbon Capture and Storage, kurz CCS. Vor gut 15 Jahren war die Abspaltung von Speicherung von Kohlenstoffen schon einmal ein großes Thema in Deutschland, damals allerdings vor allem, um die Klimabilanz von Kohlekraftwerken aufzupolieren. Umweltschützer schrien auf, in vielen Regionen gründeten sich Bürgerinitiativen, um Lagerstätten zu verhindern. Ein Gesetz sorgte schließlich für ein faktisches Verbot. Jedenfalls in Deutschland.

Der Besuch in Norwegen soll helfen, die Front zu lockern, auch in Habecks eigener Partei. Die neue Devise des Ministers lautet: "CO2 lieber in die Erde als in die Atmosphäre." Ehe in weiten Teilen der Industrie gar nichts geschehe, solle man lieber auf CCS setzen. "Wir haben so viel Zeit verplempert, dass wir sagen müssen: Wir nehmen das, was verfügbar ist", findet Habeck. Und schließlich gebe es Industrien, die nicht einfach auf grünen Wasserstoff umsteigen können, um klimaneutral zu werden - wie etwa Stahlwerke und die Chemieindustrie. Für sie brauche es andere Lösungen. Und hier kommt CCS ins Spiel.

Beim Zementwerk in Brevik liegen schon meterhohe Stahltürme bereit, in ihnen soll dereinst das Kohlendioxid aus der Luft gewissermaßen herausgewaschen werden. Die Türme sind das Herzstück der klimafreundlichen Zukunft hier, im Sommer sollen sie aufgestellt werden. Die Zementindustrie zählt zu jenen, die sich schwer tun mit der Klimaneutralität. Das Kohlendioxid fällt hier schon in dem chemischen Prozess an, mit dem aus Kalkstein Zement gewonnen wird - und zwar in enormen Mengen. Mit noch so viel Energieeffizienz lässt sich das nicht ändern. Das Kohlendioxid muss irgendwie anders weg.

Die Botschaft ist: Keine Sorge, die Sache ist sicher

Norwegen, derzeit größter Gaslieferant Deutschlands, hat zu allem Überfluss auch gigantische Lagerstätten für überschüssiges Kohlendioxid. Westlich von Bergen, 2500 Meter unter dem Meer, soll im nächsten Jahr jene Lagerstätte fertig werden, die auch das CO2 aus Brevik speichern soll. Schiffe werden es einmal um die Südspitze Norwegens herumschaffen, Pumpen pressen den tiefgekühlten Klimakiller in poröses Gestein. Erste Erfahrungen zeigten, dass das CO2 dort "mineralisiert", sagt Habeck, also nicht mehr entfleuchen könnte. Die Botschaft geht auch nach Deutschland: Keine Sorge, die Sache ist sicher.

Habeck bereitet den Kurswechsel schon länger vor. Passenderweise hat sein Ministerium den Auftrag, das deutsche CCS-Gesetz zu evaluieren, kurz vor Weihnachten beschloss das Kabinett den entsprechenden Bericht. Die Technologien rund um die Abscheidung von Kohlendioxid seien "weitgehend ausgereift", heißt es darin. Mehr noch: Zur Erreichung der deutschen Klimaziele seien sie Studien zufolge in "erheblichem Maßstab notwendig".

Auch unter Umweltschützern wird CCS nicht mehr halb so kritisch gesehen wie einst - auch, seit mit dem Kohleausstieg ein Missbrauch für eine fossile Nachspielzeit unwahrscheinlich ist. "Die Haltung hat sich sehr stark geändert", sagt Erika Bellmann, Deutschland-Chefin von Bellona, dem Ableger einer norwegischen Umweltstiftung. "Es geht mittlerweile nicht mehr um das Ob, sondern das Wie."

Mit dem Wie allerdings muss sich auch die deutsche Bundesregierung noch eine Weile befassen. Damit Norwegens Lagerstätten auch abgeschiedenes CO2 aus Deutschland aufnehmen können, müsste die Regierung eine Zusatzerklärung des London-Protokolls ratifizieren. Das soll verhindern, dass die Meere zur Müllkippe werden. Eigentlich eine Formsache, auch das Umweltministerium ist dazu bereit. Aber die Sache zieht sich, der Teufel steckt im Detail. Auch der Transport des Kohlendioxids zur deutschen Küste muss noch geregelt werden, ob per Bahn, Schiff oder Pipeline.

Und schließlich muss sich der Aufwand für die Industrie auch lohnen. Derzeit läuft das vor allem über den europäischen Emissionshandel - denn für jede Tonne Kohlendioxid, die etwa ein Zementwerk aus der Welt schafft, spart es derzeit zwischen 70 und 80 Euro. Denkbar wäre aber auch die Förderung der klimafreundlichen Anlagen, etwa über jene Differenzverträge, mit denen der Bund auch dem Wasserstoff zum Durchbruch verhelfen will.

Lang fackeln will Habeck jedenfalls nicht mehr. "Wenn uns später was Besseres begegnet, dann nehmen wir eben das Bessere", sagt er. "Aber weitermachen wie bisher ist auf jeden Fall die schlechtere Alternative."

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