Sozialabgaben auf Kapitalerträge:Warum Habecks Vorschlag so brisant ist

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Robert Habeck ist Bundeswirtschaftsminister und zieht für die Grünen in den Bundestagswahlkampf. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Der grüne Wirtschaftsminister will zur Finanzierung des Gesundheitssystems Reiche stärker belasten. Doch der Vorschlag ist wenig konkret. Details gibt es nicht, dafür viel Kritik und große Zweifel.

Von Bastian Brinkmann, Caspar Busse, Michael Kläsgen und Vivien Timmler, Berlin

Es ist ein Vorschlag, der viel Aufregung ausgelöst hat. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck will künftig auch Einkünfte aus Kapitalerträgen für die Finanzierung der gesetzlichen Kassen heranziehen. Das soll helfen, die gesetzlichen Krankenkassen aus ihrer derzeit prekären finanziellen Situation zu bringen. Viele Kassen haben zum Jahreswechsel die Beitragssätze zum Teil deutlich anhoben. Der Bundeswirtschaftsminister kritisiert, dass derzeit Kapitalerträge von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt sind, Arbeitseinkommen werden dadurch stärker belastet als Kapitalerträge. „Deswegen schlagen wir vor, dass wir auch diese Einkommensquellen sozialversicherungspflichtig machen“, sagte er. Für Kleinsparer soll sich aber nichts ändern, haben die Grünen mittlerweile klargestellt, doch was heißt das, und was schwebt den Grünen genau vor? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was plant Habeck eigentlich genau?

Planen ist ein großes Wort. Der Grünen-Kanzlerkandidat möchte „diejenigen, die große Einkommen haben, weil sie Geld für sich arbeiten lassen“, an der Finanzierung des gesetzlichen Gesundheitssystems beteiligen und so einen weiteren Anstieg der Beiträge abbremsen. Wie genau er sich das vorstellt, also wie hoch etwa die Freibeträge sein sollen oder welche Einkunftsarten er konkret meint, hat Habeck auch am Dienstag auf Nachfrage hin nicht konkretisiert. Einzelheiten oder Zahlen zu dem Vorstoß gibt es bislang nicht. „Wie wir es dann im Detail machen, das können wir uns dann später überlegen“, sagt Habeck stattdessen, es sei jetzt „nicht entscheidend, dass wir jedes technische Detail einen“. Es gehe ihm um eine „grundsätzliche Meinungsbildung“, nicht um „die vorgezogene Gesetzgebungsarbeit“.

Was bezweckt der Grünen-Kanzlerkandidat damit?

Habeck wirft mitten im Wahlkampf eine Gerechtigkeitsfrage auf. Er will die Kosten des Gesundheitssystems fairer verteilen und nach eigener Aussage insbesondere diejenigen entlasten, „die morgens aufstehen und abends erschöpft und müde nach Hause kommen“. Treffen soll sein Vorstoß besonders wohlhabende Menschen. Es sei nicht gerecht, wenn eine Krankenschwester mehr Sozialversicherungsbeiträge zahle als jemand, der Millionen an der Börse verdiene, finden die Grünen. Dazu passt, dass Habeck sich im Dezember für eine Milliardärssteuer ausgesprochen hat, um mit dem Geld etwa Schulen zu sanieren. Auch streben die Grünen eine Bürgerversicherung an, in die perspektivisch auch Beamte, Selbständige und Abgeordnete einzahlen sollen. Inwiefern all das wirklich dazu beiträgt, Kosten gerechter zu verteilen, ist angesichts der vielen offenen Fragen kaum zu beantworten.

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Wie ist die aktuelle Regelung?

Auf Kapitalerträge werden keine Sozialabgaben gezahlt, aber eine Abgeltungsteuer in Höhe von 25 Prozent auf Einkünfte, die über den Freibetrag von 1000 Euro hinausgehen. Für Pflichtversicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist ausschließlich der Bruttolohn für die Bemessung des Krankenversicherungsbeitrags ausschlaggebend. Dabei gilt die Beitragsbemessungsgrenze: Beiträge werden nur bis zu einem Einkommen von 5512 Euro monatlich fällig. Für Angestellte mit einem Bruttojahreseinkommen von mehr als 73 800 Euro (Versicherungspflichtgrenze) oder für Selbständige, die freiwillig in der GKV sind, werden aber heute schon Einkünfte aus Kapitalanlagen oder Mieteinnahmen herangezogen.

Was sagen Ökonomen zu dem Vorschlag?

Wirtschaftswissenschaftler sehen den Vorschlag kritisch und bemängeln, dass es nicht genügend Details gibt. Ifo-Experte Marcel Thum ist skeptisch, ob es überhaupt nennenswerte Effekte geben wird. „Es kommt kaum etwas zusammen“, vermutet Thum.  Denn diejenigen, die weniger als die Beitragsbemessungsgrenze, also derzeit 62 150 Euro im Jahr, verdienen, hätten typischerweise keine überaus großen Kapitaleinkommen. Das meiste Kapitaleinkommen bezögen vielmehr diejenigen, die gar nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind oder oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegen. Unklar ist dabei, ob die Grünen die Beitragsbemessungsgrenze stark anheben wollen, das könnte zu einer deutlichen Steigerung der Einnahmen führen. Sollte diese gar ganz abgeschafft werden, gäbe es laut Ifo zumindest verfassungsrechtliche Probleme, da der Beitrag zu den Sozialversicherungen dann einer allgemeinen Steuer gleichkäme.  Andere Ökonomen kritisieren, dass durch den Habeck-Vorschlag diejenigen belastet werden könnten, die langfristig Kapital etwa für die Altersvorsorge aufbauen wollen.

Schilder, die den Weg ins Krankenhaus weisen: Die gesetzliche Krankenversicherung hat derzeit massive Probleme. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Warum steigen die Beiträge der gesetzlichen Krankenkassen überhaupt so deutlich?

Das deutsche Gesundheitssystem ist das teuerste in der Europäischen Union, gemessen an den Ausgaben pro Einwohner. Rund 341 Milliarden Euro geben die gesetzlichen Krankenversicherungen laut amtlicher Schätzung dieses Jahr aus. Die Kosten steigen seit Jahren, zuletzt sind vor allem Pflegekräfte, Medikamente und Kliniken teurer geworden. Eine Gesundheitsreform, die die Kosten senkt, ist nicht in Sicht. Im Durchschnitt verlangen die Kassen derzeit rund 17,5 Prozent, sie setzten sich zusammen aus dem regulären Krankenkassenbeitrag von 14,6 Prozent und einem je nach Kasse unterschiedlichen Zusatzbeitrag. Dieser Zusatzbeitrag ist Anfang des Jahres bei den meisten der 94 gesetzlichen Kassen stark gestiegen, deshalb flammt die Debatte derzeit so stark auf. Die TK, Deutschlands größte Krankenkasse, geht daher davon aus, dass ohne politisches Eingreifen die Beiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammen in der nächsten Legislaturperiode über die Marke von 20 Prozent steigen könnten.

Welche Reformansätze gibt es?

Um den rasanten Ausgabenanstieg der Krankenkassen zu dämpfen, gibt es viele Vorschläge. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will unter anderem die Zahl der Krankenhäuser, einer der großen Kostenblöcke, reduzieren, dafür sind aber zunächst Investitionen notwendig. Außerdem gibt es in den gesetzlichen Krankenkassen eine Reihe von Versicherten, die keine Beiträge zahlen. Dafür könnte der Staat mit Steuermitteln aufkommen. Auch eine Abschaffung der privaten Krankenversicherung wird immer wieder diskutiert, diese meist einkommensstärkeren Kundinnen und Kunden müssten dann in die GKV wechseln. Am Ende könnte dann eine Art Bürgerversicherung für alle stehen.

Gibt es das, was Habeck will, in anderen Ländern?

Ja, in Ansätzen gibt es so etwas in Frankreich. Dort unterscheidet man zwischen Sozialbeiträgen auf Arbeits- und Ersatzeinkommen und Sozialversicherungsbeiträgen, den prélèvements sociaux. Diese werden auf Einkünfte aus Vermögen, Investitionen und Kapital erhoben. Dazu zählen Dividenden, Zinserträge, Erträge aus Lebensversicherungen oder Aktiensparplänen sowie auf Gewinne aus dem Verkauf von Wertpapieren oder Immobilien. Die Sozialversicherungsbeiträge betragen in Frankreich derzeit insgesamt 17,2 Prozent und werden zusätzlich zur Einkommensteuer veranschlagt. Sie dienen dazu, den Sozialstaat zu finanzieren. Möglich ist eine Pauschalbesteuerung von 30 Prozent, womit sowohl die Einkommensteuer als auch die Sozialabgaben abgegolten sind. Man kann aber auch entscheiden, die Einkünfte nach dem persönlichen Steuersatz zu versteuern. Um das Staatsdefizit Frankreichs unter die Marke von 5,5 Prozent zu drücken, erwägt die Regierung derzeit als eine von mehreren Möglichkeiten, die Pauschalsteuer von 30 Prozent zu erhöhen. Zum Vergleich: In Frankreich gibt es einige Steuern und Abgaben nicht, die in Deutschland erhoben werden, etwa die Kirchensteuer oder den Solidaritätszuschlag.

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