Guttenberg und sein Ministerium:Der Freiherr des Marktes rudert zurück

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Wirtschaftsminister Guttenberg distanziert sich von einem Papier zur künftigen Wirtschafts- und Industriepolitik. Kam das Konzept zu früh an die Öffentlichkeit?

Massiv in der Kritik - und nun in Erklärungsnot: Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat den ersten Entwurf seines Hauses für ein industriepolitisches Grundsatzpapier in Bausch und Bogen verworfen. Die von Experten aus verschiedenen Referaten zusammengetragenen Vorschläge fertigte der CSU-Politiker mit den Worten ab: "So geht das nicht", wie sein Sprecher Steffen Moritz berichtete.

Massiv in der Kritik: Wirtschaftsminister Guttenberg. (Foto: Foto: Getty)

Stimmungsmache Wahlkampf

Das Papier zur Entlastung von Betrieben hatte den Wahlkampf am Wochenende kräftig angeheizt. Moritz betonte erneut, das Konzept sei eine inhaltlich überholte Stoffsammlung und nur zum internen Gebrauch bestimmt gewesen, nicht zur Veröffentlichung. Zurzeit werde das Konzept überarbeitet. Allerdings trägt das Papier das Datum "Freitag, 3. Juli 2009", ist damit gerade einmal sechs Wochen alt.

Und es wirkt auch nicht, als hätte sich hier eine Gruppe wild gewordener Beamter zu Guerilla-Aktionen entschlossen. Immerhin geht es um ein "industriepolitisches Gesamtkonzept", das den Untertitel "Für eine 'Nachhaltige Industriepolitik'" trägt - so etwas macht man nicht ohne Ermunterung von oben.

Das überarbeitete Konzept soll "so schnell wie möglich" veröffentlicht werden, doch gehe dabei Gründlichkeit vor Schnelligkeit, sagte Moritz weiter. Vorschläge zur Arbeitsmarktpolitik sollten nicht enthalten sein, wohl aber zur Unternehmensbesteuerung, sagte Moritz. Guttenberg wünsche, dass seine Experten "offen und vorbehaltlos" Anregungen einspeisen, der Minister behalte sich aber seine abschließende Bewertung vor.

Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte, dem Konzept aus dem Hause Guttenberg habe kein Auftrag von Kanzlerin Angela Merkel zugrunde gelegen. Der politische Wille von CDU und CSU werde allein vom gemeinsam verabschiedeten Wahlprogramm wiedergegeben.

Dem Papier zufolge sollen Verpflichtungen für die Wirtschaft zur Finanzierung der Unternehmensteuerreform nach der Bundestagswahl wieder rückgängig gemacht werden. Auf der anderen Seite könnten Steuern auf Lebensmittel und Zeitungen steigen.

Klar spricht sich das Konzept für Zeitarbeit und eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes aus - und gegen Mindeststandards in der Gehaltsfindung: "Mindestlöhne verteuern die Arbeit und gefährden so Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung in den betroffenen Unternehmen."

Entsetzte SPD

Kurzum: Hier liegt ein Papier vor, das die Vermutungen der wahlkämpfenden Sozialdemokratie ziemlich präzise bestätigt. SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier zeigte sich entsetzt über die arbeitsmarktpolitischen Vorschläge: "Was Herr zu Guttenberg anstrebt, lässt mich grausen: Arbeitnehmerrechte beschneiden, Mindestlöhne wieder abschaffen und Mehrwertsteuer erhöhen", sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Kritik kam auch von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). "Karl-Theodor zu Guttenberg hat sich selbst abgeschossen", meinte der Vorsitzende Franz-Josef Möllenberg. "Wenn diese Vorschläge nur ansatzweise zutreffen, also Arbeitsmarkt flexibilisieren und Arbeitnehmerrechte beschneiden, Mindestlöhne abschaffen und die Mehrwertsteuer beispielsweise auf Lebensmittel erhöhen, dann ist der Shooting-Star der Union nicht wählbar." Das Papier aus dem Wirtschaftsministerium sei ein Offenbarungseid dessen, was von einer schwarz-gelben Koalition zu erwarten sei.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion, Herbert Schui, erklärte: "Guttenberg will Gewinnsteuern senken und dafür die Mehrwertsteuer erhöhen. Beschäftigte, Rentnerinnen und Rentner und Bezieher von Sozialleistungen sollen also bluten. Die Vorstellung, dass die Reichen für mehr Wachstum sorgen, wenn sie weniger Steuern zahlen, ist jedoch reine Wirtschaftsmystik." Der Konzeptentwurf sei ein "Horrorkatalog für die Beschäftigten und ein Wunschzettel der Arbeitgeberverbände".

Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Rainer Brüderle, lobte die "Stoffsammlung" jedoch. "Der Bundeswirtschaftsminister fordert viel Richtiges", sagte Brüderle der Rheinischen Post.

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