Gutachten des Sachverständigenrats:Wirtschaftsweise warnen Merkel

Von Mindestlohn bis Mietpreisbremse: Die Wirtschaftsweisen kritisieren in ihrem Gutachten viele Pläne der angehenden großen Koalition in Berlin. Die wichtigsten Punkte.

Von Thomas Öchsner

Am Tag der Übergabe zeigt sich die Kanzlerin wohlwollend. Ja, sagt Angela Merkel kurz vor Beginn der fünften großen Koalitionsrunde, sie nehme das Gutachten der fünf Wirtschaftsweisen ernst. Und zu der Warnung des Sachverständigenrats vor einer Politik zulasten nachfolgender Generationen bemerkt die CDU-Politikerin: Es sei "natürlich wichtig, dass wir nicht nur heute gut dastehen, sondern dass das auch morgen und übermorgen der Fall ist".

Ob die Ökonomen mit ihrer Kritik am Betreuungsgeld und an neuen Milliarden-Leistungen wie höheren Mütterrenten, der Aufstockung von niedrigen Altersbezügen und großzügigen Ausnahmen bei der Rente mit 67 bei den Koalitionsgesprächen wirklich noch Einfluss nehmen können, ist allerdings fraglich. Was in dem gut 500 Seiten starken Gutachten Wichtiges steht - ein Überblick:

Konjunktur

Die Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass sich die konjunkturelle Lage aufhellt. Die meisten europäischen Krisenländer hätten die Rezession überwunden. In der Euro-Zone halten sie 2014 ein Wachstum von 1,1 Prozent für möglich - nach voraussichtlich minus 0,4 Prozent in diesem Jahr. Deutschland dürfte dabei weiter voranpreschen. Hier rechnen die Forscher sogar mit einem Plus des Bruttoinlandsprodukts von 1,6 Prozent, nach prognostizierten 0,4 Prozent für 2013.

Haushalt

Dass die Steuereinnahmen sprudeln und Finanzminister Wolfgang Schäuble kurzfristig sogar mit Überschüssen rechnen kann, ist für den Rat eine "Momentaufnahme". Diese sei durch Sonderfaktoren wie die gute Lage am Arbeitsmarkt, Deutschlands Attraktivität für internationale Kapitalanleger und die niedrigen Zinsen bedingt. Die Ökonomen sprechen von einem "demografischen Zwischenhoch. Die Anzahl der Rentenbezieher steigt nur sehr leicht, während die Anzahl der Schüler bereits deutlich sinkt und somit die Betreuungs- und Bildungssysteme entlastet", heißt es in dem Gutachten.

Der Wirtschaftsweise Lars Feld fordert deshalb die Politiker auf, sich gut zu überlegen, was in den nächsten 50 Jahren wirklich benötigt werde. Es sei nicht sinnvoll, "Schulgebäude zu renovieren, in denen kaum noch Schüler sind". Für die Professoren ist klar: Bund und Länder müssen weiter Schulden abbauen. Denn sobald die Sondereffekte "und die gute Konjunktur abklingen, werden die Versäumnisse bei der Konsolidierung wieder offenbar werden".

Immobilien

Der Rat sieht keine Immobilienblase, warnt aber vor Überhitzungsgefahren in einigen Regionen. Dort sei es "zu Entwicklungen gekommen, die sich als nicht nachhaltig erweisen könnten", sprich: Hausbesitzer könnten beim Verkauf Verluste machen. Die Bundesbank hatte kürzlich darauf hingewiesen, dass in manchen Großstädten die Preise für Wohnimmobilien um bis zu 20 Prozent überbewertet seien.

Ökonomen lehnen Mitpreisbremse ab

Mietpreisbremse

Die Ökonomen lehnen die Pläne von Union und SPD ab. Werde bei Neuvermietungen eine Preisgrenze eingezogen, begünstige dies diejenigen, "die über eine Mietwohnung verfügen, während jene benachteiligt werden, die eine neue Wohnung suchen, aber auf dem Markt nicht zum Zuge kommen", heißt es im Gutachten. Der Wohnraum bleibe weiter knapp. Bei der Vergabe würden dann andere Mechanismen eine stärkere Rolle spielen, "wie beispielsweise persönliche Beziehungen oder aber indirekte Zahlungen in der Form von hohen Ablösesummen für in der Wohnung befindliches Mobiliar".

Wohngeld und Wohnungsbau

Die Forscher warnen davor, mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau zu stecken. Dabei würde es sich um "kaum mehr als einen Tropfen auf den heißen Stein handeln". Problematisch sei daran außerdem, dass "Mietern in der Regel nicht gekündigt wird, wenn sie die Bedürftigkeitsschwelle überschreiten". Der Rat hält es für "höchst bedenklich", dass sozial schwache Haushalte immer höhere Wohnkosten zu tragen hätten.

Im Gutachten steht: In 60 der 100 größten deutschen Städte habe eine vierköpfige einkommensarme Familie im regionalen Vergleich abzüglich der Miete weniger Geld zur Verfügung als ein vergleichbarer Hartz-IV-Haushalt. Der finanzielle Anreiz, statt Arbeitslosengeld II einen Job anzunehmen, werde "durch steigende Mietbelastungen weiter reduziert". Die Forscher halten es deshalb für sinnvoll, das seit 2009 ohnehin nicht mehr erhöhte Wohngeld anzupassen, "um einen ausreichenden Abstand zwischen dem Lohn bei Erwerbstätigkeit und dem Transferbezug bei Nichterwerbstätigkeit zu sichern".

Mindestlohn

Die Mehrheit der Ökonomen warnt die Politiker, die Reformen der Agenda 2010 zurückzunehmen. Dazu würde für sie auch die Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro gehören. Der Ratsvorsitzende Christoph Schmidt glaubt, dass dies denjenigen schade, "die Probleme haben, Fuß zu fassen im Arbeitsmarkt", also Geringqualifizierten, Langzeitarbeitslosen und vor allem Menschen im Osten der Republik. Man würde auch kein Medikament auf den Markt bringen, von dem man wisse, es könne Hunderttausenden helfen, aber auch Hunderttausenden schaden, sagt er. Sein Kollege Peter Bofinger hält die 8,50 Euro aber für "vertretbar". Deutschland müsse zu dem aufschließen, "was in allen zivilisierten Staaten Standard sei".

Rente

Die Wirtschaftsweisen machen sich dafür stark, den Rentenbeitrag zu senken und nicht die gut gefüllte Rentenkasse für neue Leistungen zu nutzen. Die von der CSU/CDU favorisierte Mütterrente sei als versicherungsfremde Leistung "sachgerecht aus Steuern zu finanzieren". Außerdem schlagen die Forscher vor, das gesetzliche Rentenalter an die weiter steigende Lebenserwartung anzupassen und das Renteneintrittsalter bis 2045 auf 68 Jahre und bis 2060 auf 69 Jahre anzuheben.

Alles in allem stellen die Ökonomen den Plänen von Union und SPD ein vernichtendes Zeugnis aus. Dazu passt auch dieser Satz in ihrem Werk: Die Bundesregierung "sollte nicht den Eindruck erwecken, von anderen Ländern schmerzhafte Anpassungsprozesse zu erwarten oder gar zu fordern, aber vor unpopulären Maßnahmen im Inland zurückzuschrecken".

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