Verkehrswende:Im Güterverkehr fehlen umweltfreundliche Alternativen

Digitaler Rangierbahnhof München-Nord

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer beim Kuppeln zweier Güterzugwaggons.

(Foto: Florian Peljak)

Der Wirtschaftsverband BDI entwirft eine Strategie für den klimafreundlichen Umbau des Güterverkehrs - und übt harte Kritik an der zögerlichen Modernisierung der deutschen Infrastruktur. Vor allem das Bahnnetz und die Güterzugflotte sind veraltet.

Von Markus Balser, Berlin

Wie viele Güter in Deutschland unterwegs sind? Die Antwort des statistischen Bundesamts fällt ziemlich groß aus. Das Gesamtgewicht liegt bei 4,5 Milliarden Tonnen - dem 15-fachen Gewicht der Weltbevölkerung. Für die immer strengeren Klimaziele Deutschlands wird das zum Problem. Der Verkehr, bislang einer der großen Klimasünder, soll seine Emissionen bis 2030 fast halbieren. Anders als bei Pkw aber fehlen im Güterverkehr bislang oft umweltfreundliche Alternativen.

Die deutsche Wirtschaft ahnt, dass das spätestens nach der Bundestagswahl Ende September zu heftigen Diskussionen führen wird - und geht nun selbst in die Offensive. Ein 48-seitiges Strategiepapier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, listet 33 "Handlungsoptionen für einen nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Güterverkehr" auf. Einfach aber wird der Umbau auch aus Sicht des einflussreichen Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) nicht. "Ein klimafreundlicher und effizienter Verkehrssektor ist eine Mammutaufgabe für die nächste Bundesregierung", sagt Holger Lösch, der stellvertretende BDI-Hauptgeschäftsführer.

Im Zentrum des Papiers steht der Straßenverkehr - er steht für 70 Prozent des Gütertransports. Aus Sicht des BDI könnten auch Lkw bald im größeren Stil batteriebetrieben fahren. Allerdings nur, wenn die Regierung schnell die nötigen Schritte unternimmt. Noch seien batterieelektrische Lkw nur in Kleinserien im Einsatz. Doch die Reichweiten dürften steigen, sagen die BDI-Experten voraus. Damit würden perspektivisch "batteriebetriebene Lkw auch im Fernverkehr ähnlich flexibel einsetzbar sein wie konventionelle".

Noch aber lassen die sich oft gar nicht laden. Sollten nur fünf Prozent der Lkw elektrisch fahren, seien 260 Standorte mit 630 Ladepunkten nötig, rechnet der Wirtschaftsverband vor und macht klar, dass die Politik von sofort an keine Zeit mehr verlieren darf: Es sei nötig, mit dem Aufbau "umgehend" zu beginnen, heißt es in dem Papier weiter. Eigentlich sogar europaweit. "Da Lkw-Verkehre in Europa vielfach grenzüberschreitend verlaufen, müsse der Aufbau der Infrastruktur europaweit erfolgen - zumindest entlang der wichtigsten Verkehrsachsen.

Nicht alle Technologien sind praxistauglich

Bei einer anderen neuen Technologien bremst der BDI die Hoffnung. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sieht in synthetischen Kraftstoffen, aber auch in grünem Wasserstoff, eine Lösung auch für den Straßenverkehr. "Der Mehrbedarf an CO₂-neutralen Energieträgern, insbesondere grünem Wasserstoff, droht absehbar das Angebot zu übersteigen", warnt dagegen BDI-Vizechef Lösch. "Es braucht eine politische Zusage, dass grüner Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen sowohl durch heimische Produktion als auch über Importe möglichst rasch in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht", fordert der BDI. Dies habe fundamentale Bedeutung für die Zukunft von Industrie, Mobilität, Gütertransport und Gebäudesektor.

Dem BDI zufolge könnte auch der Einsatz von bei Umweltschützern umstrittenen Lang-Lkw, ein um zehn Prozent höheres zulässiges Gewicht der Lkw und der verstärkte Einsatz aerodynamischer Anbauten zur Senkung des Luftwiderstands bei herkömmlichen Antrieben zu weniger Emissionen führen. Von zehn bis 15 Prozent weniger CO₂ ist in dem Papier je nach Maßnahme die Rede.

Das Papier richtet sich erkennbar an einen möglichen grünen Verkehrsminister nach der Wahl. Neben den Umbauvorschlägen macht der BDI auch klar, dass die Wirtschaft massive Belastungen des Straßenverkehrs durch eine neue Regierung für gefährlich hält. "Die Wirtschaft ist auf den Straßengüterverkehr angewiesen. Würde dessen Effizienz beeinträchtigt, hätte dies sehr negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Deutschland und Europa, verbunden mit erheblichen gesamtwirtschaftlichen Wohlstandsverlusten."

Zumal die Wirtschaft die Entwicklung bei der Güterbahn kritisch sieht. Zwar sei die Industrie wegen steigender Klimaziele immer mehr auf den Schienenverkehr angewiesen. Doch der BDI attestiert dem System Schwächen und fordert eine "Aufholjagd". Die Güterbahn müsse "durch massive öffentliche Investitionen" ihre Zuverlässigkeit steigern, flexibler und vor allem digitaler sowie automatisierter fahren.

Die Flotte der Güterbahn ist in die Jahre gekommen

Von moderner Technik ist die Güterbahn neuen Zahlen der Bundesregierung zufolge aber noch meilenweit entfernt. Laut einer Antwort des Verkehrsministeriums auf eine Berichtsanforderung des Grünen-Abgeordneten Sven-Christian Kindler verfügt die Bahn in Europa über insgesamt 78 000 Güterwagen und 2700 Lokomotiven. Die Flotte aber ist in die Jahre gekommen. Den Angaben des Ministeriums zufolge sind die Güterwagen im Schnitt 30, die Loks 28 Jahre alt, die Rangierlokomotiven sogar 41.

Den Investitionsbedarf für digitale Kupplungen und digitale Zugsteuerung beziffert das Ministerium auf 1,5 Milliarden Euro. Die Aufrüstung der Züge für den digitalen Betrieb soll 500 Millionen Euro kosten. "Für die Verkehrswende ist eine starke Güterverkehrssparte der Deutschen Bahn notwendig", sagt Kindler. "Das ist die DB Cargo in ihrem aktuellen Zustand leider nicht." Zu sehen sei das "bittere Erbe von zwölf Jahren Autopolitik im CSU-Verkehrsministerium".

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