Gruner + Jahr: Bernd Buchholz:"Den Ententanz überlasse ich anderen"

Zeitschriftenchef Bernd Buchholz über neue Geschäfte jenseits der Presse, den Polizeistaat China, die eigene Rolle in Verlegerkreisen - und die Heimat der Journalisten.

Hans-Jürgen Jakobs

Ein früher Abend am Baumwall in Hamburg. Dunkle Wolken ziehen über den Hafen. In der Ecke des Büros von Bernd Buchholz, 49, steht eine E-Gitarre. Der Vorstandschef des Verlags Gruner + Jahr lockert die Auftritte der hauseigenen "All Stars" mit Soli auf. Der promovierte Jurist begann 1996 in dem Zeitschriftenhaus, das er seit Januar 2009 in einem Stil fröhlicher Unruhe lenkt. Dem FDP-Mann, der einst im Kieler Landtag saß, trauen manche noch eine politische Karriere zu.

Bilanz-Pk Gruner + Jahr

"Ich spiele in der Verlegerszene eine handfeste - meinungsbildende Rolle", findet Bernd Buchholz, Chef beim Verlag Gruner + Jahr.

(Foto: dpa)

SZ: Herr Buchholz, das Wochenblatt Die Zeit bescheinigt Ihnen einen Hang zum "großen Auftritt". Denken Sie da mit Wehmut an die frühere Medienzeit zurück, etwa an die achtziger Jahre?

Bernd Buchholz: Wie kommen Sie darauf?

SZ: Ein Verleger wie Gerd Schulte-Hillen, Ihr Vorvorgänger bei Gruner + Jahr, konnte munter eine Zeitung kaufen oder fremde Märkte erobern. Da fiel ein großer Auftritt leichter.

Buchholz: Sicher, das waren bewegende Zeiten. Es gab fast immer Rückenwind. Auf der anderen Seite wandelt sich derzeit so viel, dass man heute vielleicht einen größeren Einfluss hat als früher.

SZ: Sie führen doch einen harten Kampf gegen die Stagnation. Ihre internen Papiere gehen von einem strukturellen Rückgang im Kerngeschäft von bis zu drei Prozent pro Jahr aus.

Buchholz: Stagnation? Das sehe ich nicht so. Prinzipiell ist der Print-Markt zwar rückläufig, aber wir schauen nach neuen Feldern. Es gilt, die journalistische Kernkompetenz dieses Hauses in die digitale Welt zu übertragen. Das ist eine spannende und komplexe Aufgabe. Auf nicht alles habe ich heute die Antwort. Aber einfache Antworten gibt es hier auch nicht.

SZ: Sie sind seit mehr als zwei Jahren im Amt und haben als neue Säule des Verlags "Professional Publishing" ausgeguckt, also den Verkauf von Daten und Informationen an Firmen und Institutionen. Reichlich gewagt, oder?

Buchholz: Der Kern unserer Strategie bleibt, journalistische Inhalte zu erstellen, zu vertreiben und zu vermarkten. Diese Kernkompetenzen wollen wir weiter ausbauen. Da schlägt mein ganzes Herz. Aber das wird nicht ausreichen, Gruner + Jahr insgesamt wachsen zu lassen. Hierfür brauchen wir Diversifikation - und wir haben uns für den Einstieg ins Professional Publishing entschieden. Wir werden dieses Segment schrittweise erschließen. Ich wäre da gerne ein wenig weiter. Aber wir haben keinen Zeitdruck.

SZ: Innerhalb von 24 Monaten ist nichts herausgekommen.

Buchholz: Wir haben immer gesagt, dass wir bis 2012 beginnen wollen und fünf Jahre brauchen, bis die neue Säule auch als solche erkennbar wird. Dazu gehört, sich erst einmal Märkte genau anzusehen. Und manchmal kann man sich bei einem möglichen Target nicht über Kaufpreise einigen, manchmal entdeckt man noch ein Restrisiko, das man nicht eingehen will. Die neue Sparte wird mit dem Geschäft der Publikumszeitschriften nichts zu tun haben. Es gibt eine gefühlte Nähe, das ist es aber auch schon. Der Journalismus unseres Hauses muss unabhängig bleiben von irgendwelchen Kundeninteressen.

SZ: Gerade da haben Sie hart gespart. Durch Umorganisationen und Stellenabbau wurden 200 Millionen Euro Kosten reduziert. Sind Sie stolz darauf?

Buchholz: Sicher, da steckt Management Leistung dahinter, weil wir intelligent und nachhaltig gespart haben. Und unsere Journalisten und Mitarbeiter haben alles gegeben, dass die Produkte weiter draußen gekauft werden. Der Beweis für die weiterhin hohe Qualität unserer Produkte sind auch die zahlreichen Journalistenpreise für unser Haus.

SZ: Das Jahr 2010 war für alle Verlage sehr erfreulich. Das Umsatzwachstum Ihres Hauses fällt mit 1,6 Prozent jedoch im Vergleich eher kümmerlich aus.

Buchholz: Einspruch! Wir sprechen von organischem Wachstum im Kerngeschäft und nicht von zugekauftem Umsatz außerhalb des Magazingeschäftes. Unser Anzeigengeschäft in Deutschland war weit besser als der Marktdurchschnitt. Zudem ist Gruner + Jahr sehr international aufgestellt und ein Markt wie Spanien befindet sich eben nach wie vor in einer tiefen Wirtschaftskrise. Aber auch dort sind wir wieder profitabel unterwegs.

SZ: China ist keine Demokratie, sondern ein Polizeistaat. Wie problematisch sind Geschäfte dort für Sie?

Buchholz: Überhaupt nicht. Wir vertreiben dort vor allem Frauenzeitschriften. Wir haben keine Probleme mit Zensur. Aber es gilt: Pressefreiheit ist für uns ein hohes Gut.

SZ: Sie freuen sich über die klingende Münze in China - und gleichzeitig wird der Korrespondent Ihrer Zeitschrift Stern in Schanghai verhaftet. ...

Buchholz: ...und nach drei Stunden freigelassen. In solchen Märkten steht man immer vor der Frage: Kann man mit den eigenen Produkten an einer Demokratisierung teilhaben? Die Antwort ist: Auch unsere Frauentitel sind gut für eine weitere Liberalisierung des Landes. Je mehr sich Firmen aus westlichen Ländern dort engagieren, umso eher ist die Gefahr gebannt, dass sich die Zentralregierung in Peking zurück entwickelt zu einem ganz und gar autoritären Verhalten.

SZ: China ist der Auslandsmarkt, der Ihnen am meisten Freude macht?

Buchholz: Er hat die höchsten Wachstumsraten, allerdings auf niedrigem Niveau. Unsere Kernmärkte im Ausland sind Frankreich, Österreich und Spanien. Hier wollen wir auch weitere Blätter kaufen. Auf der iberischen Halbinsel haben wir die Verlagsgeschäfte von Gruner + Jahr und unserer Stuttgarter Tochter Motorpresse jetzt zusammengelegt, die Redaktionen aber unabhängig belassen. Wir wollen von hier aus in Lateinamerika expandieren. Die Zeit der Verluste ist vorbei.

"Der Stern ist und bleibt das Flaggschiff"

SZ: In Deutschland hat Ihr Verlag lange von Titeln wie Stern, Geo oder Brigitte gelebt. Dieses Geschäft schmilzt ab.

Buchholz: Der Stern liefert viel Geld ab - auch dank der Ableger wie Yuno, Neon, Nido oder dem Stern Gourmet-Heft. Er macht etwas aus seiner Marke und ist publizistisch auf der Höhe seiner Zeit. Der Stern ist und bleibt das Flaggschiff.

SZ: Und doch hat die Auflage gelitten. Fehlen den Chefredakteuren Thomas Osterkorn und Andreas Petzold nach zehn Jahren Amtszeit die Ideen? Kein Gedanke an einen Generationenwechsel?

Buchholz: Warum? Sie sind vom Rentenalter mehr Jahre entfernt, als sie in der Doppelspitze verbracht haben. Da ist genügend Bewegung vorhanden - und große Bereitschaft, im Stern Dinge zu verändern. Dieses Magazin wirkt über seine Auguren, also beispielsweise über den Kolumnisten Hans-Ulrich Jörges. An ihm kommt keiner vorbei. Er provoziert in bester Stern-Tradition.

SZ: Ist der Stern für Sie noch der große Vergnügungsdampfer?

Buchholz: Nein. Er ist ein wöchentliches Magazin, das die wichtigsten Themen der Woche einsortiert, relevante Dinge erklärt und Stoffe addiert, die Menschen interessieren, zum Beispiel alles rund um Gesundheit und Bewegung.

SZ: Es fällt auf, dass Gruner + Jahr, der einstige Spezialist anspruchsvoller Massentitel, eine Kleinzeitschrift nach der anderen startet, von Beef bis Dogs. Verzetteln Sie sich?

Buchholz: Die Medienmärkte sind extrem fragmentiert. Da müssen wir auch Nischen suchen, in denen die Menschen hohe Preise zahlen. Beef kostet 9,80 Euro und verkauft 60.000 Exemplare. Sie mögen das für ein Nischenprodukt halten, ich halte es für ein Geschäft. Es wird weitere Neugründungen in diesem Jahr geben, etwa Women's Health. Die Entwicklungs-Pipeline ist ordentlich gefüllt. 25 Prozent der Umsätze werden nun einmal mit Titeln gemacht, die nicht älter als vier bis fünf Jahre sind.

SZ: Die Financial Times Deutschland gibt es schon elf Jahre. Wann wird sie das abliefern, was im Wirtschaftsleben zur Normalität gehört: Gewinn?

Buchholz: Da werde ich mich hier und jetzt nicht festlegen. Die dort handelnden Herrschaften sind aber auf einem guten Weg. 2010 hat noch ein Stückchen zum Gewinn gefehlt.

SZ: Dabei haben Sie die FTD mit Capital, Impulse und Börse Online in einer Mega-Redaktion zusammengespannt. Das ist wie in der Autoindustrie, wo auf einer gemeinsamen Plattform viele unterschiedliche Modelle entstehen.

Buchholz: Quatsch. Die Kritiker haben vor einem Brei gewarnt - und sind durch den täglichen, wöchentlichen oder monatlichen Output widerlegt. Die FTD muss sich vor niemanden verstecken. Ohne sie gebe es weniger Vielfalt und weniger wirtschaftliche publizistische Kontrolle in der Wirtschaft.

SZ: Bleibt die große Frage, wie Qualitätsjournalismus in der digitalen Welt finanziert werden soll?

Buchholz: Genauso wie in der Welt der Druckerzeugnisse. Es wird ein gemischtes Modell sein, mit Einnahmen aus Werbung und dem elektronischen Vertrieb. Wo Menschen Geld ausgeben für journalistische Inhalte, sind sie für werbungtreibende Firmen interessant. Journalismus muss einen Wert - und einen Preis - haben. Wir alle haben gemeinsam den Fehler gemacht, unsere Produkte im Web zu verschenken.

SZ: Und der soll jetzt innerhalb weniger Monate korrigiert werden?

Buchholz: Es kommt eine neue Zeit. Bei Mobilgeräten und bei Tablet-PCs ist eine Bereitschaft da, für Inhalte etwas zu bezahlen. Und zwar nicht nur für Klingeltöne.

SZ: Sie erwarten große Erlösströme aus diesem Markt?

Buchholz: Wenn die Verbreitung der Tablet-Computer weiter steigt und diese nicht mehr 500 Euro kosten, sehe ich die Möglichkeit, dass Abonnenten ihre Tageszeitung auf diesem Weg beziehen. Dann gibt es kein Papier mehr, dafür wird der Inhalt mit Bewegtbild angereichert. Heute handelt es sich allerdings noch eher um Erlösrinnsale als um Erlösströme.

"Nicht alles, was wir uns vornehmen, klappt"

SZ: Die deutschen Verlage sind nicht durch Lust an Innovation aufgefallen.

Buchholz: Es ist sicherlich falsch, einfach Produkte aus der traditionellen Printwelt ins Digitale zu übertragen. Der Abonnent will vielleicht an vier Tagen in der Woche ein Best-of der deutschen Presse auf seinen Computer bekommen, ehe er am Freitag nur die FTD zu Hause ausdruckt. Es wird darum gehen, individuelle Pakete zusammenzustellen.

SZ: Zusammen mit Bertelsmann gründeten Sie eine Online-Plattform, die Artikel und 30.000 Bücher vertreibt. Offenbar ist diese Novität wenig erfolgreich.

Buchholz: Wir haben Pubbles geschaffen, um mit vielen anderen Verlegern gemeinsame Ziele und Wertvorstellungen umzusetzen. Das ist heute noch kein Riesengeschäft. Es ist ein interessanter Anfang.

SZ: Täuscht der Eindruck, dass Gruner + Jahr im digitalen Geschäft hinterher läuft? Dass Axel Springer, die Holtzbrinck-Gruppe oder Burda viel mehr auf die Beine stellen?

Buchholz: Wir machen es anders. Das läuft nicht nach dem Motto: "Lass' uns mal gucken, was wir machen können, Hauptsache es ist digital." Wir kommen vom Journalismus. Wir wollen weder Versandhändler noch Heiratsvermittler werden und auch nicht Kommunikationsorganisator.

SZ: Stern.de hatte angekündigt an, im Internet den Spiegel zu überholen. Der Abstand ist größer geworden.

Buchholz: Nicht alles, was wir uns vornehmen, klappt. Aber wir zeigen, dass der Spruch, mit Inhalten lasse sich im Internet kein Geld verdienen, schlicht falsch ist. Im Foodbereich, also rund um Essen und Trinken und Chefkoch.de, verdienen wir zum Beispiel jährlich einen ordentlichen Millionenbetrag.

SZ: In den vergangenen Jahren rief Ihr Verlag einen Slogan nach dem anderen aus, von "Expand your brand!" bis "Innovation now!" Inzwischen ist es ruhig geworden. Geht Ihnen die Luft aus?

Buchholz: Ich persönlich bin kein Fan immer neuer Slogans. Der Satz, dass wir mit unseren Kernkompetenzen die Zukunft gestalten wollen, reicht schon aus.

SZ: Das könnte ein Mineralölkonzern genauso propagieren wie ein Ökoladen.

Buchholz: Es kommt darauf an, unternehmerisch das Richtige zu machen, und nicht einen Slogan darüber zu schreiben.

SZ: Spricht hier der Verleger der Gruner + Jahr AG?

Buchholz: Ich bin der verlegerisch tätige Vorstandsvorsitzende.

SZ: Der Springer-Chef Mathias Döpfner gibt sich als Verleger. Er hält Aktien des eigenen Verlags und schreibt zu Musik, Kunst, Politik oder Fernsehen. Er ist eine Art Meinungsführer Ihrer Branche.

Buchholz: Ich spiele in der Verlegerszene eine handfeste - meinungsbildende Rolle, zum Beispiel wenn es um den Presse-Vertrieb oder um E-Publishing geht.

SZ: Was fehlt, ist eine programmatische Rede. Die Wenigsten wissen, wofür Bernd Buchholz steht.

Buchholz: Dieses Haus wird, auch durch mich, wieder sehr stark als Heimat der Journalisten einsortiert. Was sehe ich da bei anderen Verlegern? Herzlich wenig. Das gute Ergebnis für 2010 zeigt: Gruner + Jahr ist wieder in der Spur. Das haben wenige so erwartet. Ich stelle mich nicht so gerne wie beim Ententanz auf die Bühne, wackle mit den Armen und erzeuge viel heiße Luft, das überlasse ich gerne anderen.

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