Grundsicherung:432 Euro zum Leben

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In der Pandemie kommen bedürftige Ältere schwerer über die Runden - auch wenn das oft kaum jemand sieht.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Die im Internet veröffentlichte Liste ist acht Seiten lang: Ende vergangener Woche waren mehr als 420 der sogenannten Tafeln, die normalerweise Lebensmittel an Bedürftige verteilen, geschlossen. Die Gründe sind nach Angaben des Vereins Tafel Deutschland, dass weniger Lebensmittel gespendet werden - vor allem aber, dass die Tafelkunden meist ältere Menschen sind, die durch das Coronavirus besonders gefährdet sind. Eine Lebensmittelausgabe auf engstem Raum ist vor diesem Hintergrund ein großes Problem.

Sven Lehmann, sozialpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, fordert die Regierung zum Handeln auf. Derzeit zeige sich verschärft, "dass der Regelsatz in der Grundsicherung kaum zum Leben reicht", sagte er der SZ. Er müsse dringend erhöht werden, "mindestens durch einen Aufschlag in der akuten Krisenzeit". Lehmann verweist nicht nur auf die geschlossenen Tafeln, sondern auch auf die Tatsache, dass günstige Lebensmittel derzeit oft schnell vergriffen seien.

Die Grundsicherung im Alter beruht auf den gleichen Leistungen wie Hartz IV. Zuletzt hatten unter anderem Sozialverbände krisenbedingt auch höhere Hartz-IV-Sätze gefordert. Derzeit liegt der Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen bei 432 Euro im Monat, hinzu kommen die Unterkunftskosten und im Zweifel sogenannte Mehrbedarfe, etwa bei Erkrankungen.

Mit seiner Forderung stützt Lehmann sich auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage seiner Fraktion. Ende 2018, neuere Zahlen gibt es noch nicht, gab es knapp 1,1 Millionen Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, wie die Sozialleistung offiziell heißt. 2010 waren es noch knapp 797 000 gewesen. Experten gehen davon aus, dass viele Berechtigte keine Grundsicherung beantragen, aus Scham, Unwissenheit oder Sorge, dann womöglich in eine billigere Wohnung umziehen zu müssen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schätzt diesen Anteil auf 60 Prozent. Die Bundesregierung betont in ihrer Antwort aber, dass solche Simulationsrechnungen "mit hoher Unsicherheit" einhergingen.

Im Schnitt lag der ermittelte Regelbedarf der Empfänger Ende 2018 bei 792 Euro im Monat. Aus der Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundessozialministerium, Kerstin Griese, geht allerdings hervor, dass der Bedarf besonders in den Städten deutlich über dem Durchschnitt liegt: In München lag er demnach Ende 2018 bei 1015 Euro, in Stuttgart bei 973 Euro und in Frankfurt am Main bei 972 Euro. Auch Städte wie Hamburg, Köln, Düsseldorf und Berlin lagen deutlich über dem Schnitt.

Der Grund sind die hohen Mieten und Lebenshaltungskosten in den Städten. Die für die Regierungsantwort zusammengetragenen Daten zeigen, dass in den Städten auch der Anstieg der Grundsicherungsempfänger besonders stark ist. In Berlin etwa gab es 2010 knapp 60 000 Empfänger, 2018 dann schon fast 82 300. In Hamburg stieg die Zahl im gleichen Zeitraum von knapp 30 000 auf 44 600. Niedrige Zuwächse dagegen hatten vor allem Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern.

Noch gibt es keine Pläne der Bundesregierung, die Hartz-IV-Sätze und damit auch die Grundsicherung im Alter krisenbedingt aufzustocken. Allerdings sagte Sozialminister Hubertus Heil (SPD) vergangene Woche, er werde "alle vernünftigen Vorschläge" prüfen, egal, ob sie von der Regierung oder der Opposition kämen. Lehmann kritisiert, dass die Regierung sich bislang weigert, die Sozialleistungen für Ältere aufzustocken. Das verschärfe das Problem der Altersarmut in der Krise. "Gerade in Zeiten, in denen andere Hilfeleistungen wegbrechen, muss die Bundesregierung endlich Maßnahmen gegen die verdeckte Armut ergreifen."

© SZ vom 06.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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