Grundsatzdebatte über US-Notenbank:Gelddrucken um jeden Preis

Die US-Notenbank Fed bleibt stur. Sie will ihre lockere Geldpolitik beibehalten, doch immer mehr Ökonomen halten das für einen Fehler: Der Dollar soll ihrer Meinung nach bewusst geschwächt werden - als Mittel gegen Arbeitslosigkeit.

Nikolaus Piper, New York

Amerikas Wirtschaft sieht deprimierend aus. Das Wachstum ist anämisch, die Jobs, die der Privatsektor schafft, reichen nicht, um die Arbeitslosigkeit substantiell zu senken. Dazu die Gefahr, dass die Schuldenkrise Europas die Welt in eine neue Rezession zurückwirft. Was Präsident Barack Obama tun könnte, um die Wirtschaft zu beleben, ist nicht so recht zu erkennen.

Grundsatzdebatte über US-Notenbank: Wie sollen die Vereinigten Staaten mit Inflation und Arbeitslosigkeit umgehen? Die amerikanische Notenbank Federal Reserve in Washington.

Wie sollen die Vereinigten Staaten mit Inflation und Arbeitslosigkeit umgehen? Die amerikanische Notenbank Federal Reserve in Washington.

(Foto: AFP)

Jetzt jedoch hat Obamas frühere Chefberaterin Christina Romer einen bemerkenswerten Vorstoß in dieser Richtung unternommen. Romer, die nach zwei Jahren im Weißen Haus wieder an die Universität von Kalifornien in Berkeley zurückgekehrt ist, schlug in einem Beitrag für die New York Times vor, dass die Notenbank Fed angesichts der hohen Arbeitslosigkeit ihren Kurs von Grund auf ändert. Statt, wie bisher, eine Ziel-Inflationsrate - also etwa "unter 2,0 Prozent" - festzulegen, sollte sie ein bestimmtes Niveau des nominellen Bruttoinlandsprodukts (BIP) anstreben.

Der Unterschied klingt ziemlich akademisch, ist es aber nicht. Im Gegenteil: Würde Notenbankchef Ben Bernanke den Ideen von Romer folgen, dann wären die Folgen mehr Inflation in den Vereinigten Staaten und ein deutlich geschwächter Dollar.

Bisher folgt die Fed bei ihren Zinsentscheidungen mehr oder weniger akkurat der so genannten Taylor Regel, benannt nach dem Standford-Ökonomen John B. Taylor, einem Kandidaten für den Wirtschaftsnobelpreis seit vielen Jahren. Sie lautet, stark vereinfacht: Wenn die Inflationsrate um einen Prozentpunkt über dem angestrebten Wert liegt, dann sollten die Zinsen um 1,5 Prozentpunkte steigen; wenn das Wirtschaftswachstum um einen Prozentpunkt hinter den Erwartungen zurückbleibt, sollte der Zins um 0,5 Punkte sinken.

Momentan spielt die Taylor-Regel in den USA keine große Rolle, denn der Leitzins liegt bei null, und das wichtigste Instrument der Fed ist der Kauf von Staatspapieren, um so Geld in die Wirtschaft zu pumpen.

Um jeden Preis die Lücken schließen

Was würde sich ändern, wenn die Fed das nominelle BIP, also die Addition von realem Wachstum und Inflationsrate als Ziel wählen würde? Christina Romer erklärt: "Die Fed würde in einem normalen Jahr, etwa 2007, beginnen und dabei feststellen, dass das nominale BIP seither mit einer Jahresrate von 4,5 Prozent hätte wachsen müssen. Wegen der Rezession und der ungewöhnlich niedrigen Inflation 2009 und 2010 hinkt das nominelle BIP aber um zehn Prozent hinter diesem Pfad zurück. Wenn die Fed das nominelle BIP als Ziel wählt, verpflichtet sie sich, diese Lücke zu schließen."

Das neue Ziel wäre, so Romer, vor allem ein "machtvolles Kommunikationsinstrument": Wenn es darauf ankommt, um jeden Preis die Wachstumslücke zu schließen, dann gelten unorthodoxe Maßnahmen wie der Aufkauf langfristiger Staatsanleihen plötzlich als normal und müssen nicht mehr besonders begründet werden. Und, was orthodoxe Geldpolitiker am meisten erschrecken dürfte: Der neue Kurs dürfte Inflationserwartungen in der Wirtschaft wecken, was Romer als durchaus "hilfreich" bezeichnet. Wenn die erwartete Inflation höher liegt, sinken automatisch die heutigen Realzinsen, Kredite werden billiger und die Menschen können sich wieder mehr Autos, Häuser und Büroausrüstungen kaufen.

Angst vor der "Stagflation"

Es wäre ein klares Konjunkturprogramm. Im Rahmen der neuen Politik könnte die Fed außerdem gezielt versuchen, den Wechselkurs zu senken. Ein billiger Dollar würde die amerikanischen Exporte fördern. Ist die Wachstumslücke einmal geschlossen, so hofft Romer, dann kann die Fed leicht ihren Kurs ändern und wieder zur normalen Inflationsbekämpfung zurückkehren.

Mit ihren Überlegungen steht Romer nicht allein. Der Chefvolkswirt von Goldman Sachs, Jan Hatzius, veröffentliche im Oktober ein Grundsatzpapier zur Geldpolitik. Darin spricht er sich klar für einen Kurswechsel aus. Er rechnet damit, dass die Arbeitslosigkeit in den USA noch steigen könnte, während die Teuerung weiter zurückgehen dürfte. Vor diesem Hintergrund sei eine weitere Lockerung der Geldpolitik angemessen, schreibt Hatzius: "Wir glauben, dass das nominelle BIP als Ziel zusammen mit dem Kauf von Wertpapieren im großen Stil der beste Rahmen wäre, um diese Lockerung zu liefern."

Auch aus dem Kreis der Fed selbst kommen ähnliche Gedanken, wenn auch nicht ganz so radikal. Der Präsident der Federal Reserve Bank of Chicago, Charles Evans, schlug vor, automatische Mechanismen in die Geldpolitik einzubauen. Die Fed sollte sich verpflichten, die Zinsen so lange nicht zu erhöhen, wie die Arbeitslosigkeit nicht unter die Marke von 7,0 bis 7,5 Prozent (derzeit 9,1 Prozent) sinkt und die Kerninflation (also ohne Energie- und Lebensmittelpreise) nicht über 3,0 Prozent steigt. Evans nimmt gegenwärtig turnusgemäß an den Sitzungen des Offenmarktausschusses der Fed teil. Auch sein Vorschlag hätte zur Folge, dass die Fed ihre Politik wesentlich stärker auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und weniger auf Preisstabilität ausrichten würde.

Das Problem bei allen Ideen: Bleibt die Fed glaubwürdig? Kann Ben Bernanke die Finanzmärkte davon überzeugen, dass er dann, wenn es nottut, auch aggressiv die Inflation bekämpfen wird?

Fehlt es an dieser Glaubwürdigkeit, könnte eine Spirale von steigenden Preisen und Zinsen einsetzen. Es wäre im Endergebnis eine Wiederholung der siebziger Jahre mit ihrer Kombination aus hoher Inflation und hoher Arbeitslosigkeit ("Stagflation"). Obama-Berater Paul Volcker warnte schon im September vor der Versuchung, "ein bisschen Inflation" zuzulassen. Die Gefahr liege darin, dass Inflation die wirklichen Probleme der USA nicht löse und die Politiker dann, wenn sie dies merkten, zu immer höheren Dosen griffen: "Aus scheinbar vernünftigen, vorübergehenden vier Prozent werden dann fünf Prozent, dann sechs Prozent und so weiter".

Die Europäer allerdings sollten sich darauf einstellen, dass der Graben zwischen der Fed und der Europäischen Zentralbank (EZB) mit ihrer von der Bundesbank geerbten geldpolitischen Orthodoxie eher noch größer wird.

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