Süddeutsche Zeitung

Grundrente:Verblüffend einfach

Ein Blick in die Steuererklärung könnte zeigen, wer Anspruch auf Grundrente hat. Doch schafft es die Koalition, sich darauf zu einigen?

Kommentar von Michael Bauchmüller, Berlin

Wenn ein Streit schon lange tobt, sich die Fronten verfestigt haben und für die Beteiligten das Prinzip wichtiger wird als die Sache -, dann kann es helfen, mal einen Meter zurückzutreten: Worüber streiten wir hier eigentlich? In Sachen Grundrente, bei der Union und SPD eine Einigung nun abermals um eine Woche vertagt haben, könnte so ein längerer Moment des Innehaltens durchaus helfen.

Worum es nicht gehen sollte, könnte der Koalition dann rasch dämmern: Etwa um die - hypothetische - Frage, ob die SPD-Basis eine Fortführung der Koalition ablehnt, wenn sich die Sozialdemokraten mit der Forderung nach einer Grundrente für möglichst viele, ohne große Vorprüfung, nicht durchsetzen. Genauso wenig kann es darum gehen, eine Leistung für bedürftige Rentner mit einer Gefälligkeit für Unternehmen zu verknüpfen, wie es Unionspolitikern vorschwebt. Parteikalkül und Machttaktik lenken die Koalition nur von der eigentlichen Sache ab.

Die wiederum ist so kompliziert gar nicht: Es geht um Armut im Alter und die Frage, wie sie sich möglichst effizient verhindern lässt. Dass es in diesem Land in zunehmender Zahl Menschen gibt, die nach 35 Jahren Arbeit ihren Ruhestand auf Hartz-IV-Niveau verbringen müssen, ist schwer erträglich. Diese Ungerechtigkeit effizient zu heilen verlangt allerdings auch, die Kosten einer Grundrente im Blick zu behalten. Denn jenseits der Rentner gibt es eben auch noch diejenigen, die das alles bezahlen müssen.

Nur 15 Prozent der Rentner haben Anspruch auf Sozialleistung

Das allein spricht gegen die Idee, eine Grundrente ohne jede Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse einzuführen. Studien zufolge hätten so von Beginn an mehr als drei Millionen Rentner Anspruch auf die Grundrente, von denen aber nur 15 Prozent tatsächlich so bedürftig sind, dass sie Anspruch auf Sozialleistung haben. Die Kosten dafür, mehr als sieben Milliarden Euro, lassen sich denen, die sie über Steuern oder Rentenbeiträge finanzieren müssen, kaum vermitteln. Und in schlechteren Zeiten erwiese sich eine solche Grundrente als schwere Hypothek.

Wenig effizient, womöglich gar abschreckend, wirkt das andere Extrem: die haarkleine Prüfung des Vermögens. Es mag Fälle geben, in denen etwa eine Erbschaft einen Geringverdiener reich machte. Für deren Enthüllung aber alle zur Offenlegung ihres Vermögens zu zwingen, ist schon angesichts des Verwaltungsaufwandes wenig verhältnismäßig. Zumal es viele davon abhalten wird, überhaupt Grundrente zu beantragen.

So schält sich am Ende ein verblüffend einfacher Kompromiss heraus: die Prüfung des Einkommens. Wer genug Einkommen hat, macht eine Steuererklärung. Daraus lässt sich leicht ablesen, ob vermeintlich Bedürftige in Wahrheit noch Mieteinnahmen haben oder einen Ehepartner mit auskömmlicher Rente. Alle anderen dagegen könnten so rasch und ohne großen Aufwand eine Anerkennung für viele Jahre gering bezahlter Arbeit erhalten, die ihnen über die Runden hilft. Und die Koalition hätte den Nachweis erbracht, dass sie das Leben von Menschen spürbar und mit Weitblick verbessert.

Vor allem aber hätte sie dann Zeit, sich um die wahrhaft Altersarmen zu kümmern: Frauen etwa, die nicht auf 35 Jahre Erwerbstätigkeit kommen; Menschen mit Brüchen in der Biografie. Jenseits des Symbols Grundrente gäbe es da noch reichlich Raum für echte Sozialpolitik.

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Quelle:
SZ vom 04.11.2019
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