Altersvorsorge:Rettet die Grundrente

Älteres Paar

Mit der Grundrente sollen auch Geringverdiener ohne Angst vor Altersarmut in Rente gehen können.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Das Rentensystem bevorzugt Menschen mit hohen Einkommen. Gerecht wäre es, wenn Geringverdiener mehr Rente bekämen, als sie an Beiträgen einzahlen konnten.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Union und SPD beharken sich seit Monaten, wie Wenigverdiener im Alter mehr Geld bekommen könnten. Dabei geht die SPD über die Absprache im Koalitionsvertrag hinaus, weshalb die Union wütenden Widerstand leistet. In diesem öffentlich inszenierten Streit geht völlig unter, worum es bei der Grundrente eigentlich geht. Sollte die Politik handeln, weil die Altersarmut steigt? Und ist es gerecht, Menschen, die wenig verdient haben, mehr Rente zu geben, als sie gemäß ihrer Beiträge an die Alterskasse bekommen? Die neuere Forschung zeigt: Die Antwort auf beide Fragen lautet ja. Es wäre deshalb fatal, wenn die Grundrente im Groko-Zoff begraben wird.

Ökonomen wie der langjährige Wirtschaftsweise Bert Rürup betonen, dass Altersarmut noch kein großes gesellschaftliches Problem ist - aber eines werden wird. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt: Das Armutsrisiko wird in den nächsten 20 Jahren stark zunehmen, jeder fünfte Senior könnte betroffen sein. Da sind jene, die nur im rasant gewachsenen Niedriglohnsektor Arbeit finden. Mütter, die wegen ihrer Kinder aussetzen und nicht mehr richtig in den Beruf kommen. Ostdeutsche, deren Erwerbsbiografie die Wiedervereinigung durcheinanderwirbelte. Für sie alle sollte die Politik etwas tun.

Wer lange gearbeitet hat, darf im Alter nicht auf Sozialhilfe fallen. Das gebietet der Respekt vor der Lebensleistung, ohne den unser Wirtschaftsmodell an Akzeptanz verliert. Doch das Rentensystem bietet noch keine Lösungen für den tief greifenden Wandel des Arbeitsmarkts. Als es im Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit konzipiert wurde, gab es kaum Teilzeit oder ständig wechselnde Jobs. Die Grundrente wäre eine solche Lösung. Daher haben sie einige Länder eingeführt, daher fordert sie die Organisation OECD. Wer den halben Durchschnittslohn verdiente, hat in Deutschland nur gut die Hälfte an Altersbezügen. Im Schnitt der Industriestaaten sind es drei Viertel.

Das Standardargument gegen die Grundrente lautet, sie missachte das Leistungsprinzip der gesetzlichen Altersversicherung. Jeder solle nur so viel Rente bekommen, wie es den Beiträgen entspricht, die er gezahlt hat. In Wahrheit bevorzugt das System Menschen mit hohen Einkommen. Das obere Fünftel Gutverdiener lebt etwa zehn Jahre länger als das untere Fünftel Wenigverdiener. Wer von ihnen in die gesetzliche Alterskasse einzahlte, bekommt entsprechend länger Rente. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung weist nun nach: Die Unterschiede der Lebenserwartung nehmen sogar zu.

Ob jemand früher stirbt, hängt aber nicht nur von selbst verschuldeten Faktoren ab. Sondern hat auch etwas mit körperlich schwerer Arbeit, billigen Wohnungen an Durchfahrtstraßen oder weniger Geld für medizinische Behandlung zu tun. Das alles zeigt, dass es in der gesetzlichen Altersversicherung ohnedies kein echtes Leistungsprinzip gibt. Deshalb wäre es nur gerecht, durch eine Grundrente jenen zu helfen, die wenig verdienen.

Die Zahl der Mindestlöhner mit einer Villa dürfte nicht in die Millionen gehen

Der Dissens zwischen Union und SPD ließe sich beilegen, wenn die Beteiligten das wirklich wollen. Die Union stößt sich daran, dass die SPD nicht prüfen will, ob ein Empfänger wirklich bedürftig ist. Die Sozialdemokraten argumentieren, dann hole sich mancher die Grundrente aus Scham nicht ab. Dieser Konflikt lässt sich entschärfen. Entweder man verzichtet auf die Prüfung mit der Einsicht, dass die Zahl der Mindestlöhner mit einer Villa in Blankenese nicht in die Millionen gehen dürfte. Oder man nimmt eine reduzierte Prüfung vor, die etwa hohe Altersbezüge des Partners berücksichtigt und so die häufigsten Fälle aussortiert, in denen jemand wenig individuelle Rente, aber dennoch viel Geld zum Leben hat.

Es fällt jedoch auf, dass sich Union und SPD zwar an der Prüfung festbeißen oder an Details der Finanzierung, nicht aber an einer viel größeren Ungereimtheit. Eine Grundrente soll nur bekommen, wer 35 Jahre Beiträge gezahlt oder Kinder erzogen hat. Warum sollen Wenigverdiener leer ausgehen, die zum Beispiel nur 30 Jahre eingezahlt haben?

Dieser Widerspruch zeigt schon, dass der Koalitionsstreit nicht nur in Sachfragen wurzelt. Sondern auch in der Sehnsucht der SPD, sich sozialpolitisch deutlicher von der Union abzusetzen. Und in der Erkenntnis der Union, kein Rentenkonzept zu haben, das sich der SPD entgegensetzen ließe.

An solch parteitaktischen Überlegungen droht die Aufgabe zu scheitern, der wachsenden Altersarmut in Deutschland zu begegnen. Das ist fatal, denn die Altersarmut wird deshalb nicht einfach verschwinden.

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