Süddeutsche Zeitung

Altersvorsorge:Die Grundrente ist undurchdacht und ungerecht

Unbestritten hat die Bundesregierung seit ihrem Amtsantritt auch sinnvolle Dinge beschlossen. Die Grundrente gehört nicht dazu. Besser wäre es, Altersarmut systematisch anzugehen.

Kommentar von Henrike Roßbach

Es ist in Union und SPD zuletzt ein wenig aus der Mode gekommen, die große Koalition als großes Übel zu betrachten. Statt mit der eigenen Regierung zu fremdeln, sind selbst die Sozialdemokraten dazu übergegangen, doch irgendwie alles ganz passabel zu finden. Mit besonderem Stolz erfüllt die Koalition der neueste Spiegelstrich in ihrer Liste vollendeter Taten: die Grundrente, die das Kabinett am Mittwoch beschlossen hat.

Eine schöne Sitzung sei das gewesen, sagte CSU-Innenminister Horst Seehofer und nannte die Grundrente den Baustein, der dem Sozialsystem noch gefehlt habe. CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn zählte die prominenten Unterstützer der Grundrente in seiner Partei auf, und SPD-Sozialminister Hubertus Heil sprach von der wohl größten Sozialreform der Legislaturperiode.

Unbestritten hat diese Regierung seit ihrem Amtsantritt auch sinnvolle, ja notwendige Dinge beschlossen. Die Grundrente aber gehört nicht dazu. Dem Sozialsystem fehlt zwar tatsächlich ein Baustein, damit diejenigen, die lange gearbeitet haben, es im Alter besser haben als jene, die das nicht getan haben. Diese Grundrente aber ist bloß der nächste Mosaikstein, der das rentenpolitische Gesamtkunstwerk der jüngeren Vergangenheit als endgültig misslungen entlarvt.

Die Grundrente ist unsystematisch und letztlich ungerecht: Sie ist kein Mittel gegen Altersarmut, denn arm im Alter sind vor allem jene, die gerade nicht auf die notwendigen 33 Beitragsjahre kommen. Sie unterscheidet nicht, ob eine niedrige Rente auf niedrigen Löhnen oder Teilzeit beruht. Sie belohnt das Modell der nur mitverdienenden Ehefrau. Die Verwaltungskosten sind hoch, und trotzdem ist unklar, ob die geplante Einkommensprüfung funktionieren wird. Rentner, die unterschiedlich viel eingezahlt haben, können künftig trotzdem auf annähernd gleich hohe Renten kommen - andere, die gleich viel eingezahlt haben, dagegen auf unterschiedliche. Und während den einen dank Grundrente der Gang zum Amt samt Bedürftigkeitsprüfung erspart bleibt, müssen die anderen, trotz gleicher "Lebensleistung", weiter dorthin - weil sie vielleicht das Pech haben, in einer teuren Stadt zu wohnen, sodass sie sich mit der Grundsicherung besserstellen.

Wer das jedoch vorzubringen wagt, wird von den Grundrentenbefürwortern schnell der Missgunst verdächtigt. Noch am Mittwoch sagte Heil, Einwände nähme man ernst, "aber nicht jeden Kram, den Leute sagen", nur weil sie es den Rentnern nicht gönnten. Diese Haltung negiert, dass auch Wissenschaftler das Konzept ablehnen und dass selbst die Rentenversicherung beim Ministerium einen für sie ungewöhnlichen Totalverriss eingereicht hat. Heil ist im großen Stil vom Koalitionsvertrag abgewichen, und die Union war am Anfang zu verblüfft, am Ende zu müde, um sein Konzept noch grundsätzlich infrage zu stellen. Die von ihr durchgesetzten Korrekturen konnten die Konstruktionsfehler nicht heilen.

Die wirklichen Probleme durch die Alterung der Gesellschaft kommen erst noch

Vermutlich könnte man die Fans der großen Koalition in Union und SPD nachts um vier Uhr wecken, sie würden ohne Texthänger alle verabschiedeten Projekte der vergangenen zwei Jahre aufsagen. Die schiere Menge gilt ihnen als Nachweis für die eigene Entschlossenheit. Doch in Wahrheit ist es bloß das Geld, das die Regierung zusammenhält, nicht etwa eine gemeinsame, mutige Zukunftsidee. In der Rentenpolitik zeigt sich das besonders deutlich, hier ist es besonders fatal.

Denn die wirklichen Probleme durch die Alterung der Gesellschaft kommen erst noch. Antworten darauf hat die Regierung bislang keine, die soll die Rentenkommission liefern. Nur: Die rentenpolitischen Pflöcke haben Union und SPD längst eingerammt, während die Kommission noch streitet, was notwendig wäre für eine zukunftsfeste Alterssicherung - und welche dieser Notwendigkeiten man überhaupt laut aussprechen will, weil sie im Zweifel, Stichwort höheres Rentenalter, unbeliebt und politisch nicht opportun sind.

Mütterrente, Grundrente, Rente mit 63, Haltelinien: Möglich wurde all das nur durch den sagenhaften Geldsegen, der seit Jahren auf den Bund niedergeht. Doch für die heute Jungen bedeuten diese rentenpolitischen Entscheidungen enorme Lasten, dennoch werden sie als generationengerechte Politik verklärt. Dabei gäbe es so viel zu tun: Wie lange hält die Gesellschaft das Auseinanderdriften von Renten und Pensionen noch aus? Wo ist sie, die günstige, renditestarke Alternative zur Riester-Tristesse? Könnte man das Arbeiten nicht viel weiträumiger über die persönliche Lebenszeit hinweg verteilen? Warum werden Minijobs subventioniert, obwohl sie in die Altersarmut führen? Warum belohnt das Finanzamt die Alleinverdienerehe?

Wer die Rentenpolitik der Regierung ablehnt und dieser stattdessen solche Fragen stellt, dem wirft sie gerne vor, die Generationen gegeneinander auszuspielen. In Wahrheit aber ist sie die Spielerin.

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SZ vom 20.02.2020/vit
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